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Steuern & Recht
18. Mai 2020
MiFID-II-Überarbeitung: Praktikable Lösungen sind gefragt

MiFID-II-Überarbeitung: Praktikable Lösungen sind gefragt

Von Februar bis April hat die EU-Kommission eine Konsultation zu MiFID II durchgeführt. Sie lässt Kritiker auf eine Überarbeitung der Richtlinie hoffen. Nach neuesten Entwicklungen sind Änderungen beim Taping und bei Pflichtinformationen für Kunden denkbar. Rechtsanwalt Dr. Christian Waigel betrachtet das Konstrukt MiFID kritisch.

In ihrer Konsultation zu einer Überarbeitung der Richtlinie MiFID II hat die EU-Kommission 93 Fragen an die Institute, Verbände und alle Interessierten gestellt. Dabei enthält die MiFID-II-Richtlinie relativ kurze und ausgewogene Regelungen. Die Schwierigkeiten begannen erst mit den sog. „Delegierten Rechtsakten“ zur Konkretisierung, die von der europäischen „Aufsichtsagentur“ ESMA vorgeschlagen und dann von der EU-Kommission verabschiedet wurden. Dieses diabolische Verfahren hat sich die Branche selbst eingebrockt. Die Deutsche Bank war mit Unterstützung verschiedener Bankenverbände vorgeprescht und hatte gefordert, Bankenregulierung dürfe nicht von EU-Abgeordneten gemacht werden, sondern es müssten Profis ran. So wurden die europäischen „Aufsichtsagenturen“ EBA, ESMA und EIOPA gegründet und das Unglück nahm seinen Lauf. Anstatt dort gestandene Revisoren von Banken und Sparkassen tätig sein zu lassen, finden sich Jungakademiker und Aufseher, die das umsetzen, was sie schon immer erreichen wollten.

Viel Theorie, wenig Praxis

Das Ergebnis sind Ausführungsbestimmungen für die MiFID II, die auf 517 Seiten viel Theorie und wenig Praxis bieten. Ergänzt werden sie um mehrere Hundert Seiten Final Reports, Stellungnahmen und Questions & Answers, welche die Delegierten Rechtsakte teilweise wieder relativieren – alles in allem ein Eldorado für Entbürokratisierungskommissionen. Letztlich riefen alle doch wieder nach ihren EU-Abgeordneten. Es wäre eine Gelegenheit, das ganze Konstrukt noch einmal zu überdenken und Kompetenzen in das EU-Parlament zurückzugeben.

Provisionen – Eine never ending Story

Aufs Tapet kommt erneut die Diskussion um die Provisionen. Die MiFID II enthielt einen politischen Kompromiss. Provisionen wurden lediglich in der Vermögensverwaltung und in der Honoraranlageberatung verboten. In der normalen Anlageberatung, in der Vermittlung und bei anderen Bankgeschäften blieben sie erlaubt, wenn sie dem Kunden offengelegt wurden und wenn sie eine Qualitätsverbesserung für den Kunden bezwecken.

Provisionsverbot und -deckel könnten kommen

Darum ist eine endlose Diskussion entbrannt. Ursprünglich war vorgesehen, dass diese Qualitätsverbesserung bei jedem einzelnen Kunden messbar sein muss, und am Ende wurde jede Sparkassenfiliale als qualitätsverbessernd anerkannt. Erneut erheben sich Stimmen für ein vollstän­diges Provisionsverbot. Zwar mahnen die ESMA selbst als auch die Dienstleistungsgesellschaft ver.di zur Besonnenheit, weil ein vollständiges Provisionsverbot zu einer Einstellung der Anlageberatung in weiten Teilen Deutschlands führen kann. Es kann aber noch kommen. Möglicherweise wird man eine einheitliche Regelung für den Wertpapier- und den Ver­sicherungsbereich suchen und in die Debatte auch den Provisionsdeckel einbeziehen. Am sinnvollsten wäre, die jetzige Regelung erst einmal den Praxistest bestehen zu lassen und nicht wieder alles über den Haufen zu werfen.

Keine Erleichterung beim Beratungsprotokoll

Die Hoffnungen auf Erleichterungen beim Beratungsprotokoll haben sich nicht erfüllt. Zwar hat die MiFID II gegenüber dem alten deutschen Beratungsprotokoll ein paar Erleichterungen gebracht, die Verwaltungspraxis von ESMA und BaFin ist aber weitgehend zur alten Form zurückgekehrt. Eine praxisgerechte Lösung wäre eine Zusammenfassung der Beratung mit kurzer Begründung; davon hätte auch der Anleger etwas.

Telefonaufzeichnung in Deutschland strenger als gefordert

Bei der Telefonaufzeichnung ist Deutschland über die MiFID II hinausgegangen. Die Richtlinie selbst hätte eine so strenge Aufzeichnungspflicht nicht erfordert. MiFID II verlangt nur die Aufzeichnung von Telefonaten, die sich auf Kunden­orders beziehen, und will Fehlorders und Marktmanipulationen verhindern. Dazu ist es nicht erforderlich, das gesamte Beratungsgespräch mit dem Kunden aufzuzeichnen. Wünschenswert wäre eine pragmatische Lösung, zum Beispiel die Aufzeichnung einer Zusammenfassung der Empfehlung am Ende des Gesprächs. Damit wäre auch den Anforderungen des Datenschutzes Genüge getan, denn in Beratungsgesprächen werden sensible Informationen besprochen – von der privaten Lebenssituation über die weitere Lebensplanung bis hin zu Krankheiten – und nicht alles geht die Innenrevision oder Bankaufsichtsbehörden etwas an. Mit einer Zusammenfassung, die über ein Mobiltelefon aufgezeichnet werden kann, würden auch die Realitäten einer flexiblen Arbeitswelt anerkannt.

Ex-ante-Kostentransparenz im freien Vertrieb nicht umsetzbar

Auch bei der Ex-ante-Kostentransparenz ist der Regulator übers Ziel hinausgeschossen. Die BaFin verlangt eine genaue Kostenoffenlegung bezogen auf das vom Kunden gewünschte Wertpapier und auf die geplante Ordergröße. Das ist technisch extrem herausfordernd und verlangt eine aufwendige IT-Struktur. Im Kundengespräch zu Hause und außerhalb des Büros ist das nicht möglich. Die Banken behelfen sich mit elektronischen Postfächern, in die diese Informationen eingestellt werden, aber kaum ein Kunde nutzt sie.

In der Beratungssituation des freien Vertriebs ist diese Lösung nicht umsetzbar. Innovative Orderwege werden abgeschnitten, weil bei Orders über soziale Netzwerke, SMS oder WhatsApp die Infrastruktur für die Kostentransparenz nicht gewährleistet werden kann, genauso werden auch althergebrachte Orderwege wie der klassische Brief oder das Fax unmöglich gemacht. Vor allem gegenüber professionellen Kunden ist nicht nachvollziehbar, warum diese vor jeder Order die Preisinformation auf Basispunkte heruntergerechnet benötigen. Pauschale Kosteninformationen wären ausreichend, und zwar bezogen auf Standardanlagebeträge. Ein bisschen Dreisatzrechnen ist jedem Kunden zumutbar.

Product Governance – „Bürokratischer Overkill“

Der bürokratische Overkill ist beim Prinzip Product Governance und den Zielmärkten eingetreten. Eigentlich müssten nicht nur die Emittenten Zielmärkte für alle ihre Wertpapiere bestimmen, sondern auch jeder Vertreiber, das heißt, jeder Berater, Vermittler und Vermögensverwalter soll noch einmal eigene Zielmärkte für jedes Wertpapier definieren. Bei mehreren Hunderttausend Wertpapieren eine Anforderung, die niemand leisten kann. Eine Zielmarktbestimmung durch den Emittenten ist vollkommen ausreichend.

Wenig nachvollziehbar ist die Anforderung auch, wenn man sie mit dem Geeignetheitstest vergleicht. Berater und Vermögensverwalter müssen dem Kunden bezogen auf seine Anlageziele, Kenntnisse und Erfahrungen und finanziellen Verhältnisse geeignete Finanzinstrumente empfehlen. Die Zielmärkte bestehen weitgehend aus Kriterien, die auch in der Geeignetheitsprüfung zu beurteilen sind. Es kommt zu bürokratischen Doppelungen ohne Mehrwert für den Kunden. Dieser Mehraufwand sollte bei einem Review vermieden werden.

Nachhaltigkeitsziele künftig zu berücksichtigen

Bei der Neufassung muss auch die neue Herausforderung durch Sustainable Finance berücksichtigt werden. In Zukunft sollen die Anlageziele des Kunden zu Ökologie, sozialer Gerechtigkeit und Good Governance abgefragt und in seiner Anlage berücksichtigt werden. Das wird nur mit praktikablen Lösungen funktionieren, die jetzt in MiFID II eingebaut werden müssen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact Print 05/2020, Seite 100.

Bild: © MQ-Illustrations – stock.adobe.com

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Ein Artikel von
Von Dr. Christian Waigel