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26. Februar 2023
Offen für Innovation? Potenziale von Open Insurance
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Offen für Innovation? Potenziale von Open Insurance

Daten waren in der Versicherungsbranche schon immer ein elementares Wirtschaftsgut. Open Insurance bietet Versicherern, Vertrieben und InsurTechs große Chancen, das eigene Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Eine Bestandsaufnahme zum Status quo und den Potenzialen.

Ein Artikel von Thomas Kuckelkorn, Senior Manager Marketing, Kommunikation & Events beim InsurLab Germany e. V., und Julius Kretz, Bereichsleiter Marketing – Systeme & Plattformen bei der ALH Gruppe sowie Vorstand der Free Insurance Data Initiative (FRIDA) e. V.

Das Aufkommen digitaler Plattformen führt branchenübergreifend verstärkt zu komplett datenbasierten Geschäftsmodellen – und damit zu neuen Möglichkeiten der Wertschöpfung. Mittels konsequenter Aggregation, Analyse und Interpretation von versicherungsbezogenen Daten lassen sich wichtige strategische Wettbewerbsvorteile erzielen. Das setzt jedoch eine andere Denkweise voraus. In der neuen, offenen Datenökonomie geht es darum, Produkte und Geschäftsmodelle zu generieren, die den Kunden einen Mehrwert bieten.

Open Insurance: Einordnung und Definition

Daten waren in der Versicherungsbranche schon immer ein elementares Wirtschaftsgut. Doch warum sollten gerade Versicherer Daten teilen? Verlieren sie dann nicht mühsam geschaffene Wettbewerbsvorteile? Nicht unbedingt, denn Daten werden nicht über, sondern für Kunden verwendet. Lösungs- und Mehrwertorientierung öffnen den Raum zur Optimierung der Prozesse, Verbesserung der internen Datenqualität, Verringerung von Transaktionsaufwänden und vor allem für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die auch aus der Versicherungsindustrie vorangetrieben werden.

Die Frage des Datenaustauschs lässt sich aber auch vice versa stellen: Warum sollten Dritte Daten mit der Versicherungsbranche teilen, zum Beispiel Daten aus dem Fahrzeug zum Fahrverhalten? Auch hier können multidirektionale Mehrwerte entstehen, indem die Customer Experience im Schadenfall erhöht oder Produkte auf das Verhalten bzw. die Risikosituation angepasst werden. Genau bei diesen Kernfragen setzt Open Insurance an. Open Insurance beschreibt den offenen und standardisierten Austausch von versicherungsbezogenen persönlichen und nicht-persönlichen Daten mithilfe von (offenen) Schnittstellen (APIs) sowie definierten Prozessstandards.

Es geht demnach um standardisierte und vernetzte Daten, die den Kunden das Leben komfortabler machen und zugleich Unternehmen der Versicherungsbranche neue Möglichkeiten bieten. Entscheidend ist letztlich, dass Kunden als „Datensouveräne“ selbst entscheiden, ob und wie sie ihre Daten zur Verfügung stellen.

Status quo von Open Insurance

Die Potenziale im Kontext des „Öffnens“ sind in anderen Bereichen bereits gelebte Praxis. So wird beispielsweise im Rahmen von Open Source Quellcode veröffentlicht und Entwicklern damit ermöglicht, neue Funktionen hinzuzufügen oder Fehler zu beheben. Letztendlich können damit innovative, neue Softwareprodukte entstehen und der „Urheber“ des Codes profitiert ebenfalls. Open Innovation, Open Science, Open Government und Open Data lassen sich als weitere Beispiele für die Entstehung von Innovation durch Offenheit nennen. Nicht zuletzt zeigt auch die Finanzbranche insgesamt mit der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 (Open Banking), dass die Entwicklung innovativer und nutzerfreundlicherer Use-Cases gefördert werden kann. Kontoinformationen lassen sich im Rahmen der Bonität verwenden, in Apps lassen sich Konten aggregieren und bestimmte Ereignisse aus den Daten erkennen. Zugleich hat die PSD2 zu einer erhöhten Transaktionssicherheit sowie einem verbesserten Verbraucherschutz geführt.

Von einer vergleichbaren konkreten Regelung zur Öffnung von Daten für Dritte ist die Versicherungsbranche noch ein Stück entfernt. Um einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, forciert die (inter-)nationale Gesetzgebung allerdings verstärkt die branchenübergreifende Öffnung von Datenschnittstellen. Zudem beschäftigen sich in Deutschland verstärkt bekannte Verbände und Initiativen mit der Idee hinter dem Begriff Open Insurance.

Veränderungstreiber

Open Insurance ist zweifellos keine temporäre Erscheinung, sondern wird in den nächsten Jahren – vergleichbar zum Banking – die Entwicklung neuer Produkte, Services und Geschäftsmodelle begünstigen. Maßgeblich beeinflusst und vorangetrieben wird diese Entwicklung insbesondere vom Markt und den damit verbundenen Erwartungen der Kunden, wie man nicht zuletzt am Erfolg von PSD2 sieht. Auch der gesetzliche und regulatorische Druck aus Europa ist hierbei zu nennen. So leitet sich etwa aus der European Strategy for Data eine Data Finance Strategy der EU-Kommission ab. EIOPA griff dies 2021 mit einem Discussion Paper zu Open Insurance auf, in dem Mechanismen zum Datenaustausch im Sinne von Open Insurance ganz klar befürwortet werden. Überdies forciert die Datenschutzgrund­verordnung den Zugang zu Daten.

Nicht zuletzt fördern zudem vielversprechende innovative Anwendungsfälle die Verbreitung von Open Insurance, laut EIOPA Discussion Paper vor allem in den Bereichen Schadenmanagement, Pricing und Underwriting, (Post) Sales und Vertrieb. Auch Versicherungsvertriebe können hiervon direkt oder indirekt profitieren.

Verschiedene Einsatzmöglichkeiten

Ein konkreter Anwendungsfall ist beispielsweise die Altersvorsorgeberatung, in deren Rahmen mithilfe der Zustimmung der Kunden Bestandsdaten zu Verträgen in Echtzeit aggregiert und in der Folge ausgewertet werden könnten. Diese Ansätze sind auch im Bereich Claims oder Cyber denkbar. So könnten beispielsweise Daten zur Risikosituation eines Unternehmens, die heute bereits mithilfe von Assistance-Systemen gesammelt werden, für die Beratung und den Bestand genutzt werden. Des Weiteren lassen sich durch Open Insurance übergeordnete Themen wie parametrische Versicherungen fördern. In den USA gibt es erste Anwendungsbeispiele, unter anderem in Bezug auf Naturkatastrophen, Altersvorsorge, Gesundheitssystem und Kfz-Versicherung. Diese Use Cases gilt es weiterzuentwickeln. Dafür ist beispielsweise die deutsche Initiative Free Insurance Data (FRIDA e. V.) angetreten, die unter Berücksichtigung des Datenschutzes und der Datensicherheit Open Insurance aktiv fördert.

Fazit: Eine Vision – vielversprechend

Aktuell ist Open Insurance vor allem noch eine Vision, die der Förderung, Konkretisierung und (Weiter-)Entwicklung bedarf. Die Idee dahinter ist vielversprechend: eigene Wertschöpfungsketten für die Digitalisierung öffnen und mit neuen Produkten sowie Services Mehrwerte generieren – für Kunden, Versicherungsvertriebe, Versicherer und Innovatoren.

Open Insurance versetzt Fin- und InsurTechs in die Lage, eine wesentliche Rolle innerhalb der Wertschöpfung zu spielen, sich mit innovativen Lösungen und Plattformen zu positionieren sowie Teil eines digitalen Ökosystems zu werden. Versicherer hingegen können sich mittels Open Insurance als vertrauenswürdige, sichere Marktteilnehmer für Datenanalyse und Datenaggregation positionieren. Ob Datentransparenz und -vollständigkeit, neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle auf Basis von Finanz- und Versicherungsdaten oder bessere und umfassendere Beratungsmöglichkeiten – die Potenziale von Open Insurance sind vielfältig. Diese gilt es nun zu nutzen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2023, S. 92 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Thapana_Studio – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Julius Kretz
Thomas Kuckelkorn