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27. Februar 2021
Online-Beratung erfordert eine Strategie

Online-Beratung erfordert eine Strategie

Vor der Pandemie standen viele Vermittler der Online-Beratung skeptisch gegenüber. Doch dann kam der erste Lockdown und eine schnelle Lösung musste her – nur eine Strategie fehlte meist, sagt Jan Helmut Hönle, Gründer und Geschäftsführer der HÖNLE.training GmbH.

Die Corona-Pandemie hat die Versicherungswelt faktisch zur digitalen Beratung gezwungen. Die Arbeitsweise musste sich schnell ändern, vielen Beratern blieb da nicht genügend Zeit, sich ausführlich mit der Online-Beratung zu befassen. Sie griffen zur erstbesten Lösung, dem Bildschirmstreaming: Immerhin war es dadurch möglich, die Kundenbetreuung und die Beratungstätigkeit aufrechtzuerhalten. Allerdings setzt das alleinige Übertragen des Bildschirms der Beratung von Haus aus enge Grenzen. Interaktive Elemente sind nicht integrierbar, der Kunde ist mehr oder weniger ausschließlich zum Zuhören gezwungen. Eine aktive, haptische Einbindung ins Gespräch gestaltet sich schwierig.

Doch genau Letzteres macht ein gelungenes Online-Gespräch aus: Der Kunde muss von Anfang an am Geschehen teilnehmen. Sonst schwindet die Aufmerksamkeit schnell. Denn nur das Zeigen eines Vergleichsrechners, des Antragsformulars oder die Übertragung des eigenen Videobilds macht noch keine erlebbare Online-Beratung. Diese Elemente sind höchstens ein Teil eines begeisternden Online-Gesprächs, das Bildschirmstreaming das Tor zu unzähligen spannenden Möglichkeiten. Denn was eine erfolgreiche Online-Beratung wirklich charakterisiert, ist die richtige Strategie.

Ein aktivierter Kunde ist ein aufmerksamer Kunde

Nur wer seinen Kunden von Beginn an in das Online-Beratungsgespräch einbezieht, sichert sich während des gesamten Zeitraums dessen Aufmerksamkeit. Selbst wenn es nur um eine Kleinigkeit wie eine Schadenmeldung geht: Ein Kunde, der sich telefonisch meldet, sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit online genommen und aktiv am Gespräch beteiligt werden. Sobald der Kunde auch haptisch eingebunden wird, ist er ganz anders bei der Sache, als wenn nur Informationen abgefragt werden.

Beispielsweise erlauben es viele Tools, dass der Kunde auf bereitgestellte Folien zeichnet oder Teile eines Antrags für eine Schadenmeldung wie die Kontaktdaten oder die Beschreibung des Unfallhergangs selbst ausfüllt. So werden nicht nur Fehler vermieden, der Kunde hat zudem das Gefühl, unmittelbar zur Lösung seines Problems beitragen zu können.

Positiver Nebeneffekt: Durch das aktive Einbeziehen erhöht sich die Aufmerksamkeitsspanne, das Interesse bleibt beim Berater und dem Thema. Diesen Umstand kann sich der Vermittler nun im nächsten Schritt zunutze machen. Denn die Online-­Beratung bietet zahlreiche Möglichkeiten, um aus einer simplen Anfrage heraus ins Cross-Selling einzusteigen.

Cross-Selling-Potenzial nutzen

Sobald der eigentliche Grund der Anfrage geklärt ist, sollte die Chance zum Cross-Selling genutzt werden. Gerade in der Online-Beratung lässt sich sehr geschickt zu einem anderen Thema überleiten, unter anderem mit audiovisuellen Inhalten wie Videos. Angenommen, der Kunde hat eine Versorgungs­lücke im Bereich Pflege – ein thematisch passendes Video weckt Emotionen und setzt im Kunden einen Prozess in Gang. Er öffnet sich für das Thema. Nun hat der Berater die Möglichkeit, Kernpunkte zunächst grob zu umreißen. Denn jetzt ist noch nicht der Zeitpunkt für ein ausführliches Beratungsgespräch, das den Abschluss zum Ziel hat.

Strategisches Vorgehen

Strategisch vorzugehen, bedeutet in der Online-Beratung nämlich, zunächst einmal den tatsächlichen Bedarf des Kunden zu ermitteln. Er wird sozusagen vorqualifiziert. Bei der Überleitung zu einem Cross-Selling-Thema geht es also in erster Linie darum herauszufinden, ob der Klient grundsätzlich Interesse an einem bestimmten Versicherungsprodukt hat – in diesem Fall der Pflegeversicherung –, und ob er die zugehörigen Konditionen akzeptiert. Ist beides nicht der Fall, endet das Online-Gespräch an dieser Stelle. Der Berater hat sich und seinem Kunden durch die Vorqualifizierung viel Zeit für eine aufwendige Beratung gespart.

Hat der Kunde jedoch Interesse und stimmt zudem den Konditionen zu, gilt es, ihn verantwortungsvoll und ethisch zum Abschluss zu führen.

Interaktiv in Richtung Abschluss

Neben dem Ansprechen von Emotionen ist das zentrale Element der Online-Beratung die interaktive Komponente. Ein Kunde, der selbst in Folien zeichnen oder animierte Grafiken anklicken kann, erschließt sich das Produkt eigenständig. Der Berater leitet lediglich an, liefert Hintergrundinformationen und unterfüttert die Präsentation mit wissenswerten Fakten.

Genau an diesem Punkt stehen sich viele Berater oft selbst im Weg: Sie haben das Gefühl, dem Kunden jedes Detail zu einem Produkt ausführlich erklären zu müssen. Dementsprechend überfrachtet sind die Präsentationen, die in der Online-Beratung zum Einsatz kommen. Hier gilt ganz klar: Weniger ist mehr! Auf die Folien gehört das Wesentliche, die Kernaussage. Unterfütternde Informationen werden vom Kunden und vom Berater auf der Tonspur und händisch ergänzt – Stichwort Haptik.

Die Salestory ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Sie nimmt den Interessenten für das Produkt ein, weckt Bedarf, triggert Schmerzpunkte und Gefühle. Daher sollte die Sale Story spannend aufgebaut sein, der Kunde sollte ihr Held sein und sich möglichst frei durch die Online-Beratung bewegen können.

Lernen loszulassen

Den Kunden auf diese Art von der Leine zu lassen, kostet viele Berater einiges an Überwindung. Schließlich haben sie viele Jahre erfolgreich auf andere Weise in ihrem Beruf gearbeitet. Doch das Beratungsgespräch im Kundenwohnzimmer oder am Agenturschreibtisch unterscheidet sich in vielen Aspekten vom Online-Gespräch. Verkaufsstrategien und -methoden, die im direkten Kontakt wunderbar funktionieren, scheitern in der Online-Welt. Ganz einfach weil dort die persönliche Ebene auf eine andere Weise aufgebaut werden muss: durch Interaktion, durch Emotionen, durch Strategien der Gesprächsführung. Letztere werden im besten Fall als Gesprächsleit­faden schriftlich dokumentiert.

Fassen wir also noch einmal zusammen: Das Bildschirmstreaming ist ein wunderbarer Einstieg in die Online-Beratung. Doch es beschneidet den Vermittler in den zahllosen Möglichkeiten, die ihm diese Beratungsform bietet. Interaktive Elemente, die den Kunden aktiv ins Geschehen einbeziehen, sind ebenso unerlässlich wie audiovisuelle Inhalte und gute Sale Storys, um Emotionen zu triggern. Minimalistische Präsentationen verfügen über viel mehr Überzeugungskraft als überfrachtete Folien, die ein Produkt bis ins kleinste Detail erklären wollen.

Die Gesprächsführung sollte nicht auf gut Glück, sondern idealerweise standardisiert, basierend auf einem Gesprächsleitfaden, stattfinden. So lassen sich Erfolge wiederholen, Routine spielt sich ein. Das Auftreten online wird sicherer. Mit diesem Wissen ist Online-Beratung nicht mehr nur eine Krücke, die gezwungenermaßen eingesetzt wird, um den Betrieb auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten. Dieses Wissen ermöglicht es, eine Agentur zukunftsfähig und krisensicher aufzustellen und den Kunden die Gewissheit zu vermitteln, jederzeit für sie da sein zu können.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2021, Seite 95 f., und in unserem ePaper.

Bild: © MicroOne – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Jan Helmut Hönle