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20. Juli 2022
Provisionsverzichtsklausel: Ächtung und ihre Folgen

Provisionsverzichtsklausel: Ächtung und ihre Folgen

Das OLG Düsseldorf hat im Beschlusswege entschieden, dass die von den Spitzenverbänden der Versicherungswirtschaft erarbeitete Provisionsausschlussklausel unwirksam ist. Welche Gründe dafür aus Richtersicht ausschlaggebend sind und welche Folgen diese Entscheidung haben wird, erläutert Jürgen Evers.

Ein Artikel von Jürgen Evers, Rechtsanwalt der Kanzlei EVERS Rechtsanwälte für Vertriebsrecht

Im Streitfall verlangte ein Ver­sicherungsvertreter vom Ver­sicherer einen Buchauszug mit einem Schwerpunkt auf nachvertragliche Erhöhungsgeschäfte durch Dynamik. Das Landgericht Düsseldorf hat den Anspruch trotz vereinbarten Provisionsverzichts zuerkannt, das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) wies die Berufung zurück. Damit hat das OLG beschlossen und verkündet: Die von den Spitzenverbänden erarbeitete Provisionsausschlussklausel ist unwirksam.

Sie haben richtig gelesen, es handelt sich um die vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV), dem Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e. V. (BVK) und dem Bundesverband für Assekuranzführungskräfte e. V. (VGA) in den Hauptpunkten eines Vertrages für selbstständige hauptberufliche Versicherungsvertreter gemäß §§ 84 Abs. 1, 92 HGB enthaltene Klausel des § 12 Abs. 4. Sie lautet: „Mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses erlischt jeder Anspruch des Vertreters gegen die Gesellschaft auf irgendwelche Provisionen und sonstige Vergütungen; ausgenommen sind etwaige Ansprüche aus § 87 Abs. 3 HGB und § 89b HGB.“

Klausel fällt richterlicher Inhaltskontrolle zum Opfer

Der Senat begründet seine Entscheidung wie folgt: Der mit der Klausel geregelte Provisionsverzicht des Versicherungsvertreters bei Vertragsende widerspreche § 307 BGB. Aus diesem Grund sei er unwirksam und stehe einem möglichen Provisionsanspruch des Vertreters für Überhangprovisionen nicht entgegen.

AGB-Klauseln, die von disposi­tiven Rechtsnormen – also von Normen, von denen durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien abgewichen werden kann – abweichen, unterliegen der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB. Klauseln, die § 87 HGB ausschließen, seien gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen und unwirksam, wenn sie von einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen. Der Ausschluss müsse zudem wegen des Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB stets mit solch einer Klarheit geschehen, dass der Vertreter diesen Umstand ohne Weiteres erkennen könne. Zudem seien AGB- und selbst Individualklauseln stets unwirksam, die gegen zwingendes Recht verstießen.

Ausschluss von Überhangprovisionen

§ 87 Abs. 1 Satz 1 HGB gewähre dem Vertreter einen Anspruch auf Überhangprovision für Erhöhungen, mit denen Lebensver­sicherungen „automatisch“ angepasst werden, wenn der Versicherungsnehmer nicht widerspreche. Damit seien dann in diesem Fall alle für eine Provisionsanwartschaft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt.

Eine Provisionsverzichtsklausel schließe aber Überhangprovisionen aus, die aus nachvertraglichen Erhöhungen entstehen würden. Auch Provisionsbestimmungen für die Lebensversicherung seien wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam, soweit sie Überhangprovisionen aus nachvertraglichen Vertragserhöhungen infolge Dynamik ausschließen. Eine geltungserhaltende Reduktion einer inhaltlich zu weitgehenden formularmäßigen Klausel sei nicht zulässig.

Eine Provisionsverzichtsklausel, die sämtliche Überhangprovisionen ausschließe, verstoße schließlich auch gegen die zwingende Vorschrift des § 87a Abs. 3 Satz 1 HGB, da sie Überhangprovisionen aus verspätet ausgeführten Erhöhungen erfasse.

Eine in aller Stille vollzogene Ächtung

Die Entscheidung wurde in aller Stille abgesetzt. Eine Veröffent­lichung erfolgte erst im Nachgang auf Bitte der Kanzlei Evers um Überlassung einer Kopie zum Zwecke der Kommentierung. Damit wurde klammheimlich die von den Spitzenverbänden gemeinsam erarbeitete Regelung geächtet. Ein solch drastischer Schritt hätte mehr Begleitmusik verdient, zumal noch immer viele Obergerichte von der Wirksamkeit des Provisionsverzichts ausgehen.

Folgen der Entscheidung

Zunächst geht es wohl nur um Dynamikprovisionen in der Lebensversicherung, die vom Handelsvertretersenat des OLG als Überhangprovisionen qualifiziert werden. Dabei wird allerdings darüber hinweggesehen, dass die Erweiterung des Begriffs der Überhangprovision auf bloße Erhöhungsoptionen des Kunden die im Gesetz angelegten Strukturen auflöst. Denn die Provision war bisher die Vergütung für ein Geschäft. Mit dem Geschäft verschafft der Vertreter dem Unternehmer einen klagbaren Erfüllungsanspruch. Der Ausgleich hingegen vergütet die Geschäftsverbindung, also die darin verkörperten Hoffnungen und Chancen, weitere Geschäfte mit dem Kunden zu schließen. Dies alles kann nicht mehr gelten, wenn man für Erhöhungsgeschäfte Überhangprovisionen gewährt, die im Belieben des Kunden stehen.

Schwerwiegender sind die Folgen im Sachgeschäft: Hat sich erstmal herumgesprochen, dass der Ausschluss von Überhangprovisionen unzulässig ist, wird es dort bald nicht mehr nur um Provisionen wegen der Anpassungen infolge Dynamik gehen. Vielmehr wird es dort auch um die Folgeprovision aus den über das Agenturvertragsende hinaus fortbestehenden Sachver­sicherungsverträgen gehen. Denn auch hier stehen Überhangprovisionen in Rede. Sie betreffen jeweils die einzelnen Versicherungsperioden der Laufzeit der Verträge, die infolge versicherungsvertraglicher Verlängerungsklausel „automatisch“ fortbestehen.

Tragik der Entscheidung

Die Vertreter werden es sich nicht nehmen lassen, Überhangprovisionen zumindest für Ver­sicherungsperioden zu verlangen, für die der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung gebunden ist. Für den darüber hinausreichenden Zeitraum werden sie einen Ausgleich verlangen.

Dabei blieben sie jedoch unter ihren Möglichkeiten: Denn überwiegend wird davon ausgegangen, dass Provisionen aus vermittelten Dauerschuldverhältnissen, die über die Beendigung des Agenturver­trages hinaus bestehen, ebenfalls Überhangprovisionen darstellen. Mit dieser Begründung könnten Vertreter die Folgeprovision als Überhangprovision beanspruchen, solange der Sachversicherungs­vertrag besteht.

Den Versicherern bleibt da nur die Berufung darauf, dass die Folgeprovisionen bloße Tätigkeitsvergütungen seien. Die Vertreter werden dem unter Hinweis auf den Schicksalsteilungsgrundsatz entgegenhalten, es handele sich um erfolgsqualifizierte Provisionen. Gleich, wer sich durchsetzt, wird das früher oder später den Argwohn der Finanzverwaltung wecken, ob da nicht Umsatzsteuer zu generieren ist. Die Tragik dieser Entwicklung liegt darin, dass nicht zu erkennen ist, wohin dies alles führen soll.

Weitergehende Informationen zur Entscheidung und ihrer Bedeutung sind dem EversOK – eine Online-Datenbank für Vertriebsrecht der Kanzlei Evers – zu entnehmen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2022, S. 116 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Stockwerk-Fotodesign – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Jürgen Evers