AssCompact suche
Home
Steuern & Recht
10. Januar 2022
Rechtliche Rahmenbedingungen 2022
2022 paragraph background hexagonal design 3d-illustration

Rechtliche Rahmenbedingungen 2022

Das neue Jahr wird rechtlich von den Reformvorhaben der Ampel­koalition geprägt sein. Doch zum Beispiel auch einige aktuelle Urteile werden Auswirkungen haben. Was bleibt, was kommt und was Vermittler 2022 wissen müssen, erläutern Björn Thorben M. Jöhnke und Jens Reichow in ihrem Ausblick.

Ein Artikel von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht, und Jens Reichow, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, beide Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Die Corona-Pandemie hält bedauerlicherweise weiter an und so langsam verspürt man eine gewisse „Gewöhnung“ an die aktuelle Situation. Nichtsdestotrotz waren der Gesetzgeber und die Gerichte im vergangenen Jahr geschäftig. Und auch die neue „Ampel-Regierung“ wird mit ihrem Koalitionsvertrag Einfluss auf die Branche nehmen. Worauf Vermittler also 2022 achten sollten und welche aktuellen Urteile und Gesetzesinitiativen die Arbeit der Makler auch im neuen Jahr beeinflussen werden, ist Gegenstand dieses rechtlichen Ausblicks der Rechts- und Fachanwälte Jöhnke & Reichow aus Hamburg.

Was kommt aus Berlin?

Die Finanz- und Versicherungsbranche hat nicht zuletzt aufgrund vieler neuer Gesetze und Regulierungsvorgaben in den vergangenen Jahren erhebliche Umbrüche erfahren. 2021 war zudem von der Bundestagswahl geprägt und die einzelnen Parteiprogramme sahen teilweise erhebliche Auswirkungen für die Versicherungsbranche vor. Doch was ist von all den Vorhaben tatsächlich geblieben? Nachdem die Parteien der sogenannten Ampelkoalition ihren Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ veröffentlicht haben, stellt sich die Frage, welche konkreten Schritte noch in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten sind.

Bürgerversicherung

Die Bürgerversicherung im Bereich der Krankenversicherung ist ein Thema, das sich gerade die SPD im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben hatte. Eine Einführung hätte weitreichende Folgen für die bislang am Versicherungsmarkt agierenden privaten Krankenversicherer gehabt. Im Koalitionsvertrag findet sich dieser Punkt jedoch nicht wieder. Es bleibt also wohl auch in der kommenden Legislaturperiode bei der Zweiteilung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

Altersvorsorge

Anders ist es allerdings bei der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Die Koalitionsparteien wollen „das System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren“, wie es im Koalitionsvertrag heißt.

Ziel der Koalition ist es dabei, insbesondere die betriebliche Altersvorsorge attraktiver zu gestalten. Dazu soll die Möglichkeit geschaffen werden, auch im Rahmen einer betrieblichen Altersvorsorge Anlageprodukte mit höheren Renditechancen zu wählen. Außerdem soll das bereits auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell umgesetzt werden.

Im Bereich der privaten Altersvorsorge steht vor allem die sogenannte Riester-Versicherung auf dem Prüfstand. Hier soll eruiert werden, welche Anlageprodukte mit höheren Renditen als eine Riester-Versicherung ebenfalls gefördert werden können. Bestehende Riester-Verträge sollen aber Bestandsschutz genießen.

Außerdem plant die neue Koalition die Förderung der Flexi-Rente. Hierdurch soll ein längerer Verbleib der Beschäftigten im Arbeitsleben ermöglicht werden. Der Renteneintritt wird dadurch flexibler gestaltet. Das spätere Renteneintritts­datum wird zukünftig nicht mehr unumstößlich feststehen. Auch die Altersvorsorgeprodukte der Versicherungswirtschaft werden deshalb flexibler werden müssen, um den Bedürfnissen der Versicherungsnehmer weiterhin zu entsprechen.

Neukundenpotenzial dürfte sich in der Altersvorsorge wohl vor allem für Versicherungsvermittler ergeben, die Selbstständige beraten. Wollen Selbstständige zukünftig nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mitversichert sein, so müssen sie über ein Opt-out-Verfahren ein privates Altersvorsorgeprodukt besparen. Dieses Produkt muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Viele Selbstständige, die bislang noch nicht für ihr Alter vorgesorgt haben, werden sich daher nach einem geeigneten Versicherungsprodukt umsehen müssen.

Pflegeversicherung

Gerade die Corona-Pandemie hat die schwierige Situation im Gesundheitssystem nochmals deutlich vor Augen geführt. Hiervon betroffen ist auch die Pflegeversicherung. Die Koalitionäre wollen die bestehende Pflegeversicherung dahingehend überprüfen, ob sie um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung ergänzt werden kann und dadurch die Übernahme der vollständigen Pflegekosten erreichbar wird. Für private Pflegeversicherungen sollen vergleichbare Möglichkeiten geschaffen werden.

Sustainable Finance

Das Thema Nachhaltigkeit ist ein zentrales Anliegen der neuen Bundesregierung. Das Thema macht dabei auch nicht vor den Finanzen halt. Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken betrachtet die Koalition als Finanzrisiken. Nachhaltigkeitskriterien können daher nicht nur bei der Bewertung der Finanzstabilität von Versicherern stärker in den Fokus geraten, sondern auch bei einzelnen Finanz- und Versicherungsprodukten. Gerade kleine Versicherungs­unternehmen und Pensionskassen sollen stärker reguliert werden.

Förderung der Honorarberatung?

Einzelne Parteien der Ampelkoalition warben in ihren Wahlprogrammen auch für eine Stärkung der Honorarberatung. Das Berufsbild eines einheitlichen Finanzberaters sollte geschaffen werden. Man wollte schrittweise weg von einer Provisionsberatung und hin zu einer unabhängigen Honorarberatung. Zudem wollte man eine einheitliche Aufsicht über Vermittler und Berater unter der BaFin schaffen.

Viele Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler standen sowohl einem Provisionsverbot als auch einer Aufsicht durch die BaFin skeptisch gegenüber. Viele Vermittler wird es daher sicherlich freuen, dass sowohl Provisionsverbot als auch BaFin-Aufsicht im Koalitionsvertrag nicht thematisiert werden.

Das neue TTDSG: Neues Gesetz, neue Pflichten?

Das neue Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG) ist am 01.12.2021 ohne Übergangsfrist in Kraft getreten und soll die Bestimmungen zum Fernmeldegeheimnis und zum Datenschutz bei Telekommunikations- und bei Telemediendiensten regeln. Wichtig ist dabei, dass Website-Betreiber, die Tracking-Dienste und -Cookies nutzen, eine echte und ausdrückliche Einwilligung einholen müssen. Ein „Cookie Consent Banner“ ist damit auf fast allen Webseiten Pflicht. Es gibt jedoch zwei Ausnahmen: Technisch zwingend notwendige Cookies, das heißt solche, die für den Betrieb der Seite unbedingt erforderlich sind, dürfen weiterhin gesetzt werden. Gleiches gilt für Informationen, die ausschließlich der Übertragung von Nachrichten über ein öffentliches Telekommunikationsnetz dienen.

Das Gesetz gilt auch für Instant-Messenger und Apps, denn die Regelungen des TTDSG beziehen sich auf die „Endeinrichtung des Endnutzers“. Ebenfalls betroffen sind demzufolge alle mit dem Internet verbundenen Geräte. Nicht nur E-Mail- und Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Threema benötigen dementsprechend eine „Cookie-Einwilligung“, sondern auch Smart-Home-Anwendungen und jegliche Form des Browser-Fingerprinting. Werden also Cookies gesetzt und/oder Tracking-Dienste verwendet, muss künftig eine echte Einwilligung vorliegen und damit zwingend ein Cookie-Banner gesetzt werden.

Das Gesetz ist zwar „neu“, die Pflichten jedoch nicht. Eine konkrete Einwilligung musste auch vor dem Inkrafttreten des TTDSG schon eingeholt werden, wie zahlreichen einschlägigen Gerichtsentscheidungen zu entnehmen ist. Die Pflicht ergab sich bereits aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vom 25.05.2018. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem TTDSG das Ziel, das TMG (Telemediengesetz), das TKG (Telekommunikationsgesetz) und die DSGVO zusammenzuführen, da die europäische ePrivacy-Verordnung immer noch nicht in Kraft getreten ist. Mit dem neuen „Gesetzes-Wirrwarr“ dürfen sich nunmehr die Juristen befassen. Für Webseitenbetreiber, die bereits DSGVO-konforme Cookie-Layer eingesetzt haben, ergeben sich kaum Änderungen. Die meisten Plug-in-Anbieter für Cookies dürften entsprechende Richtlinien und gesetzliche Neuerungen mittlerweile umgesetzt haben.

Änderung des UWG: Neue Vorschriften, neue Pflichten?

Am 01.10.2021 ist über das „Gesetz für faire Verbraucherverträge“ der neue § 7a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in Kraft getreten. Die Regelung schreibt vor, dass Einwilligungen in Telefonwerbung entsprechend dokumentiert und ferner fünf Jahre lang aufbewahrt werden müssen. Die Vorschrift stellt damit eine Ergänzung des bisherigen § 20 UWG (Bußgeldvorschriften) dar. Damit gilt: Wer mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher wirbt, hat dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung in die Telefonwerbung zum Zeitpunkt der Erteilung in angemessener Form zu dokumentieren und fünf Jahre aufzubewahren. Die werbenden Unternehmen haben der nach § 20 Abs. 3 UWG­zuständigen Verwaltungsbehörde den Nachweis auf Verlangen unverzüglich vorzulegen.

Die neue Regelung dient mit den Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten einer effizienteren Gestaltung der Sanktionierung von unerlaubter Telefonwerbung. Allerdings sorgt der neue § 7a UWG nicht für eine grundlegende Neuerung. Denn Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern – ohne deren ausdrückliche vorherige Einwilligung – war vorher bereits unzulässig (vgl. § 7 Abs. 2 UWG). Der Unternehmer musste die Einwilligung des Verbrauchers in die Telefonwerbung nach bisherigem Recht gemäß Art. 7 Abs. 1 DSGVO nachweisen. Letztendlich ergeben sich für die Unternehmer kaum Änderungen. Denn ihnen obliegt ehedem eine umfangreiche Dokumentationspflicht, um der bisherigen Beweispflicht zum Vorliegen einer Einwilligung zur Telefonwerbung zu genügen. Gänzlich neu ist nur die fünfjährige Aufbewahrungspflicht. Es empfiehlt sich, die diesbezüglichen Prozesse im Vermittlerbüro zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen respektive anzupassen – insbesondere in Bezug auf die Dokumen­tation des Vorliegens einer konkreten Einwilligung der Kunden zur Telefonwerbung.

Die DSGVO: Ein „zahnloser Tiger“?

Nein, gewiss nicht. Denn Datenschutzfälle beschäftigen die Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichte seit Inkrafttreten der DSGVO. Die einzelnen Vorschriften der DSGVO haben Einzug in die meisten Rechtsgebiete erfahren. Mittlerweile konnte die Branche auch umfangreiche Erfahrungen mit der DSGVO sammeln. Von der Pflicht zur „detaillierten“ Auskunftserbringung über die Voraussetzungen einer Einwilligung bis hin zur Pönalisierung von Unternehmen, die gegen die DSGVO verstoßen, gilt, dass sowohl Gerichte als auch Datenschutzbehörden sicher nicht an einem Mangel an Datenschutzverfahren leiden.

Auch den Vermittlern bereitete die damalig neue DSGVO durchaus „Kummer“. Es musste sehr viel Zeit und Geld aufgewandt werden, um – zumindest nahezu – datenschutzkonform zu arbeiten, ganz gleich, ob es um die Übermittlung personenbezogener, meist auch sensibler Daten im Sinne des Art. 9 DSGVO im Rahmen von Risikovoranfragen geht oder um die Überprüfung der gesamten technischen Ablauf­prozesse innerhalb des Vermittlerhauses.

Auch Versicherungsunternehmen blieben nicht verschont. So mussten sich diese häufig vor Datenschutzbehörden verantworten, nachdem Betroffenen mit der DSGVO „schnelle und einfache Mittel“ an die Hand gegeben wurden, um sich gegen große Unternehmen in datenschutzrechtlicher Sicht effektiv durchzusetzen. Versicherer wurden zur umfassenden Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten verurteilt – beispielsweise in Bezug auf Telefonnotizen, Aktenvermerke, Gesprächsprotokolle, E-Mails, Briefe und Zeichnungsunterlagen für Kapitalanlagen (vgl. BGH vom 15.06.2021 – VI ZR 576/19; OLG München vom 04.10.2021 – 3 U 2906/20).

Auch gab es bereits gerichtliche Entscheidungen sowie Stellungnahmen von Landesdatenschützern, dass sogar der Einsatz eines Tele­faxes zur Übermittlung personenbezogener Daten nicht mehr datenschutzkonform sei. Es ist damit zu rechnen, dass die Gerichte und Datenschutzbehörden weitere „Grenzen“ der Datenverarbeitung setzen werden und die Branche sich entsprechend anzupassen hat.

Eingeschränkte Marktgrundlage

Zu guter Letzt ist auf die jüngste gerichtliche Entscheidung zum § 60 Abs. 1 VVG hinzuweisen, die für Versicherungsmakler im neuen Jahr durchaus bedeutsam sein könnte (vgl. auch Evers in Asscompact 12/2021).

Verivox wurde dazu verpflichtet, auf seinen Vergleichsportalen deutlicher auf das eingeschränkte Angebot an Versicherungen bzw. Versicherungstarifen hinzuweisen (OLG Karlsruhe vom 22.09.2021 – 6 U 82/20). Nach Auffassung des OLG Karlsruhe erstreckt sich die Marktuntersuchungspflicht des Maklers nämlich auch auf Tarife von Versicherungen, die den Vertriebsweg über Versicherungsmakler ausschließen. Damit reiht sich das Gericht bedauerlicherweise in eine Reihe von weiteren gerichtlichen Entscheidungen ein:

  • LG Konstanz vom21.01.2021 – Me 4 O 90/19;
  • LG Frankfurt/Main vom 06.05.2021 – 2-03 O 347/19;
  • LG Heidelberg vom 06.03.2020 – 6 O 7/19.

Diese gerichtlichen Entscheidungen sind allesamt jedoch nicht nachvollziehbar, denn sie setzen sich mit vielen wichtigen Aspekten gar nicht auseinander. Zum Beispiel der Tatsache, dass Versicherungsmakler dann Versicherer berücksichtigen müssten, die überhaupt nicht mit Versicherungsmaklern zusammenarbeiten. Der Makler hat aus diesem Grund in der Regel auch keine umfassenden Informationen zu Tarifen dieser „Außenseiter-Versicherungen“. Müsste der Makler ebendiese Tarife jedoch „empfehlen“, so würde er für die Vermittlung keine Courtage erhalten. Der Makler könne seine Informations- und Marktgrund­lage nach Ansicht des OLG zwar „im Einzelfall“ wirksam beschränken, müsse dem Kunden dann jedoch letztlich offenlegen, dass er nicht in der Lage sei, den Gesamtmarkt zu überschauen. Denn Makler sollen Kunden eine eingeschränkte Beratungsgrundlage derart offenlegen, dass die Kunden erkennen können, was diese Beschränkung für ihre konkrete Abschlussentscheidung bedeutet. 

Welche Auswirkungen diese Entscheidung des OLG noch nach sich zieht, werden die kommenden Jahre zeigen. Der BGH hat sich zu dieser Rechtsfrage noch nicht geäußert und wird das auf absehbare Zeit auch nicht tun. Das Urteil des OLG Karlsruhe ist mittlerweile rechtskräftig, nachdem Verivox kein Revisionsverfahren angestrebt hat. Versicherungsmaklern ist zu empfehlen, ihre vertraglichen Unterlagen zu überarbeiten, und zwar unter Maßgabe der vorbezeichneten gerichtlichen Entscheidungen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2022, S. 116 ff., und in unserem ePaper.

Bild: © wetzkaz – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Björn Thorben M. Jöhnke
Jens Reichow