Ein Artikel Dr. Tim Horacek, Rechtsanwalt und Geschäftsführer bei Keen Law Rechtsanwalts GmbH
Warum dieser Beitrag? In der praktischen Abwicklung von Rechtsschutzversicherungsfällen wird ein zentraler, aber oft übersehener Schutzmechanismus vernachlässigt: das Quotenvorrecht (§ 86 Abs. 1 S. 2 Versicherungsvertragsgesetz). Wer es ignoriert, riskiert nicht nur, dass Versicherungsnehmer ihren Selbstbehalt nie wiedersehen – er öffnet auch eine Haftungsfalle für Versicherungsmakler. Der folgende Beitrag erklärt das Konstrukt, zeigt typische Kostenkonstellationen und die daraus resultierenden Pflichten des Maklers.
Das Quotenvorrecht – kurz erklärt
Nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG gehen nach Leistung des Versicherers Ersatzansprüche des Versicherungsnehmers (VN) gegen Dritte auf den Versicherer über. Damit soll verhindert werden, dass der VN doppelt entschädigt wird. Doch § 86 Abs. 1 S. 2 VVG setzt eine klare Schranke: „Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden.“ Übersetzt heißt das: Der VN darf nicht schlechter stehen, als wenn er die Kosten selbst getragen hätte. Dieses Prinzip gilt auch in der Rechtsschutzversicherung, obwohl es dort um Prozess- und Anwaltskosten geht. Besonders relevant ist dies bei den fast immer vereinbarten Selbstbehalten von 150 bis 500 Euro. Das Quotenvorrecht privilegiert diesen Betrag. Er muss dem VN im Fall einer Kostenerstattung zuerst zufließen, bevor sich der Versicherer bedienen darf. In der Regulierungspraxis geschieht jedoch häufig das Gegenteil: Der Versicherer verrechnet sofort mit seinen Vorschüssen, und der VN sieht seinen Selbstbehalt nie wieder. Genau hier lauert Haftungspotenzial.
Typische Kostenkonstellationen
Variante 1: Vollständiges Unterliegen
Verliert der VN den Prozess, gibt es keinen Kostenerstattungsanspruch. Das Quotenvorrecht greift nicht, der Selbstbehalt ist endgültig verloren. Dieser Fall ist klar und unproblematisch.
Variante 2: Vollständiges Obsiegen
Der Gegner trägt sämtliche Kosten. Der Versicherer erhält seine Vorschüsse zurück, und auch der VN bekommt seinen Selbstbehalt erstattet. Eigentlich unproblematisch, nur sehr selten finden sich auch hier Fälle, in denen Versicherer zu Unrecht den Selbstbehalt einbehalten wollen.
Variante 3: Teilobsiegen
Dies ist die Konstellation, in der das Quotenvorrecht regelmäßig übersehen wird. Nach § 92 Zivilprozessordnung (ZPO) wird eine Kostenquote gebildet, je nach Obsiegen und Unterliegen.
- Untervariante 3.1: Obsiegen überwiegt (z. B. 75:25 zugunsten des VN).
In diesem Fall muss der Gegner den Großteil der Kosten erstatten. Ein Beispiel: Es werden 2.500 Euro festgesetzt. Nach dem Quotenvorrecht erhält der VN zuerst seinen Selbstbehalt von 250 Euro zurück, der Rest geht an den Versicherer. In der Praxis wird dies jedoch oft falsch behandelt: Der Versicherer zieht seine Vorschüsse ein und zahlt an den VN nur, wenn danach noch etwas übrig bleibt. Das ist rechtswidrig und widerspricht eindeutig § 86 Abs. 1 S. 2 VVG.
- Untervariante 3.2: Unterliegen überwiegt (z. B. 25:75 zulasten des VN).
Auf den ersten Blick scheint hier kein Raum für das Quotenvorrecht zu bestehen, da am Ende der Kostenfestsetzung meist ein Saldo zugunsten des Gegners steht. Doch dieser Eindruck täuscht. Theoretisch könnte der VN auch in diesem Fall seinen 25-%-Erstattungsanspruch isoliert geltend machen, und genau dann würde zuerst der Selbstbehalt an ihn zurückfließen. Dass die Praxis stattdessen regelmäßig ein Kostenausgleichungsverfahren durchführt, ändert an diesem Grundsatz nichts. Denn durch die Saldierung verliert der VN faktisch seinen Anspruch, während der Versicherer zugleich entlastet wird. Rechtlich entsteht dadurch ein Anspruch des VN aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) gegen den Versicherer. Dies hat etwa das Amtsgericht Bonn (Urteil vom 17.11.1998 – 2 C 226/98) ausdrücklich so festgestellt.
Bedeutung für Makler
Das Quotenvorrecht ist kein akademisches Randthema, sondern betrifft das tägliche Massengeschäft in der Rechtsschutzversicherung. Makler müssen ihre Kunden nicht nur über die Existenz des Selbstbehalts informieren, sondern auch über dessen Rückflusschance. Unterbleibt dieser Hinweis, droht Haftung. Denn der Makler ist nach ständiger Rechtsprechung treuhänderischer Sachwalter des VN. Er schuldet nicht nur die Auswahl eines geeigneten Versicherungsschutzes, sondern auch die Aufklärung über wesentliche Risiken und Besonderheiten. Wird das Quotenvorrecht übersehen, kann der Makler im Ergebnis so behandelt werden, als wäre er selbst Versicherer. Ohne eine saubere Beratungsdokumentation ist die Verteidigung schwierig. Den Makler trifft eine sekundäre Darlegungslast: Er muss darlegen können, dass er ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Ohne schriftliche Unterlagen gelingt dies selten.
Verjährung als Risiko
Besonders gefährlich ist die Verjährung. Ansprüche gegen den Rechtsschutzversicherer beginnen regelmäßig mit Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände, also meist mit Vorliegen des Kostenfestsetzungsbeschlusses. Ob der VN die Rechtslage richtig einschätzt, spielt keine Rolle. Viele Ansprüche verjähren daher, ohne dass sie je geltend gemacht werden. Gegen den Makler sieht es anders aus: Der VN darf darauf vertrauen, korrekt beraten zu werden. Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs beginnt erst, wenn der VN erkennt, dass er falsch beraten wurde. Das führt in der Praxis dazu, dass Ansprüche gegen den Versicherer längst verjährt sind, die Maklerhaftung aber noch offen ist. Dieses Auseinanderfallen der Fristen verschärft das Haftungsrisiko erheblich. Kunden, die Jahre später von der Existenz des Quotenvorrechts erfahren, wenden sich nicht mehr an den Versicherer – sondern an den Makler.
Handlungsempfehlungen für Makler
Makler sollten ihre Beratungsunterlagen so gestalten, dass das Quotenvorrecht zwingend erwähnt wird. Empfehlenswert sind standardisierte Merkblätter, die bei Vertragsabschluss übergeben und vom Kunden quittiert werden. Nach einem Prozessausgang sollte überprüft werden, ob der Selbstbehalt tatsächlich zurückerstattet wurde. Gerade bei Teilobsiegen oder Kostenausgleichungen muss der Mandant darauf hingewiesen werden, dass ihm ein Bereicherungsanspruch zustehen kann. Es ist zudem ratsam, Fristen zu überwachen und den Mandanten aktiv darauf hinzuweisen, dass er seinen Anspruch rechtzeitig geltend machen muss. Selbst wenn es im Einzelfall nur um wenige hundert Euro geht, summieren sich diese Beträge im Massengeschäft erheblich. Kommt es dann zu einer Welle von nachträglichen Regressen, sind Makler die ersten Adressaten. Prävention ist daher rechtlich wie wirtschaftlich geboten.
Fazit: Aufklären, dokumentieren, begleiten
Das Quotenvorrecht ist ein elementarer Schutzmechanismus des Versicherungsnehmers. Gerade in der Rechtsschutzversicherung mit ihren typischen Selbstbehalten kommt ihm erhebliche praktische Bedeutung zu. Wer als Makler diesen Aspekt übergeht, läuft Gefahr, für den Verlust von Ansprüchen einzustehen. Besonders die Verjährungsproblematik macht das Risiko brisant: Während der Anspruch gegen den Versicherer oft verjährt ist, kann der Makler noch Jahre später in Anspruch genommen werden. Die Lösung ist einfach: Aufklären, dokumentieren, begleiten. Nur so lässt sich Haftung vermeiden. Am Ende entscheidet nicht nur die juristische Dogmatik, sondern die Qualität der Beratung – und die zeigt sich darin, ob Mandanten ihren Selbstbehalt zurückerhalten oder nicht.
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