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11. Februar 2020
So gefährlich sind die politischen Unruheherde für die Finanzmärkte

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So gefährlich sind die politischen Unruheherde für die Finanzmärkte

Reagieren die Finanzmärkte zu Recht gelassen auf die Unruheherde?

Ja. Eine gewisse weltpolitische Unruhe gehört immer dazu. Zudem erleben wir, dass Trump sowohl im Handelskonflikt mit China als auch im Streit mit dem Iran vor den ganz großen Konflikten zurückscheut. Trump schürt zwar fleißig Konflikte, aber einen echten Krieg hat er noch nicht angezettelt.

Wie genau stellt sich die Situation in Deutschland aktuell dar?

Deutschland ist in der westlichen Welt das Paradebeispiel einer gespaltenen Konjunktur. Im vergangenen Jahr sind der private Verbrauch, der Wohnungsbau oder auch der Staatsverbrauch gut gelaufen. Die Unternehmensinvestitionen und die Ausfuhr haben dagegen faktisch stagniert. Große Teile der Binnennachfrage laufen also gut, alles andere läuft schlecht. Diese Kluft ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Entweder werden die Verbraucher irgendwann unsicher und geben weniger Geld aus oder der Außenhandel und die Investitionen der Unternehmen kommen in Schwung. Die deutschen Verbraucher sind gut gelaunt. Ihre Einkommens- und Vermögenslage ist gut. Sie haben keinen Grund, sich zurückzuhalten. Stattdessen spricht viel dafür, dass die Investitionen und die Ausfuhr in diesem Jahr wieder etwas mehr in Gang kommen können.

Einige Experten befürchten dadurch aber eine Blasenbildung am Immobilienmarkt. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr ein?

Eine gefährliche Blase sehe ich nicht. Drei Gründe sprechen gegen die Gefahren, die manche Beobachter heraufbeschwören. Erstens ist der Anstieg der letzten Jahre weitgehend gerechtfertigt durch die unerwartete Entwicklung der Bevölkerungszahlen. Zweitens stellen wir eine starke Entwicklung weg vom Land hin zu den mittleren und großen Städten fest. Der Preisanstieg in diesen Städten und deren direktem Umland ist dadurch weitgehend gedeckt. Drittens muss man sich bei Immobilienpreisen immer anschauen, ob sie kreditgetrieben sind. Übertreibungen am Immobilienmarkt sind erst gefährlich, wenn sie zu stark kreditgetrieben sind und Käufer ihre Kredite im Falle eines Zinsanstiegs nicht mehr bedienen oder den Kredit im Zweifel durch den Verkauf des Hauses nicht mehr tilgen können. Das ist derzeit in Deutschland aber nicht der Fall. Selbst im nahezu ausgeschlossenen Extremfall eines Rückgangs der Wohnungspreise um 30% wäre das wahrscheinlich keine gesamtwirtschaftliche Katastrophe, weil sowohl Banken als auch Verbraucher alles in allem bei Krediten hinreichend vorsichtig geblieben sind.

Inwiefern?

Früher hätten die Verbraucher bei diesem Zinsniveau viel exzessiver Kredite aufgenommen. Man könnte sagen, dass die Zinsen heute so extrem niedrig sind, weil sonst noch weniger Menschen einen Kredit aufnehmen würden. Trotz der Niedrigstzinsen ist das Kreditwachstum heute normal, nicht übertrieben.

Dennoch beschäftigt und frustriert das Thema Zinsen die deutschen Sparer seit Jahren. Was können sie diesbezüglich von der neuen EZB-Chefin Christine Lagarde erwarten?

Eine Politik der ganz ruhigen Hand, unter der sich für Sparer vorerst nichts ändert. Die Inflation ist einfach nicht hoch genug, um innerhalb der EZB eine Mehrheit für steigende Zinsen zu finden. Die Konjunktur ist auf der anderen Seite aber auch nicht so schwach, dass man eine weitere Zins­senkung befürchten müsste. Vorläufig wird sich also voraussichtlich gar nichts ändern. Frau Lagarde wird stattdessen versuchen, innerhalb der Zentralbank die Wogen zu glätten und außerhalb der Zentralbank den Bürgern besser zu erklären, warum die Geldpolitik der EZB so ist, wie sie ist – vor allem im deutschen Sprachraum. Das war in den letzten Jahren ein Versäumnis von Mario Draghi. Er hat es nach einigen frühen Versuchen weitestgehend aufgegeben, sich dem Gegenwind zu stellen, vor allem im deutschen Sprachraum. Frau Lagarde lernt dagegen bereits Deutsch und dürfte gerade hier kommunikativ einiges verbessern. An der eigentlichen Politik wird sich vorläufig aber nichts ändern. (mh)

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 02/2020, Seite 56f, und in unserem ePaper.

Bild: © freshidea – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Dr. Holger Schmieding