Ein Artikel von Dr. Marc Spielberger, Partner der Kanzlei ALTENBURG Fachanwälte für Arbeitsrecht
In den letzten Jahren hat sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Urlaubsrecht grundlegend fortentwickelt. Viele Arbeitgeber wissen nicht oder ignorieren, dass noch offene Ansprüche auf Urlaub in der Regel nur untergehen, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich auf diese Rechtsfolge hinweist. Nachfolgend wird dargestellt, inwieweit Ausschlussfristen und die Regeln der Verjährung auf aufgelaufene Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche anzuwenden sind.
Einleitung
Der EuGH entschied 2018, dass Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich nur dann zum 31.12. oder 31.03. des Folgejahres untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den noch offenen Urlaub umfassend mindestens einmal pro Jahr unterrichtet und ihn darüber informiert, dass sein Urlaub untergeht, falls er nicht innerhalb der gesetzlichen Frist geltend gemacht wird (EuGH vom 06.11.2018 – C-684/16). Diese Rechtsprechung hat das BAG übernommen (BAG vom 19.02.2019 – 9 AZR 432/16).
In einer Reihe von wichtigen Entscheidungen haben sich der EuGH und das BAG mit den Folgefragen befasst: Greifen Ausschlussfristen in Verträgen und/oder Verjährungsvorschriften ein, wenn die erforderliche Information des Arbeitgebers zum Jahresurlaub unterblieben ist? Nach § 7 Abs. 3 S. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) muss der Urlaub im Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs bis 31.03. des Folgejahres ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe das rechtfertigen, § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG. Nach bisherigem Verständnis verfiel daher noch offener Urlaub grundsätzlich zum 31.12. oder jedenfalls spätestens zum 31.03. des Folgejahres automatisch. Von diesem gesetzlichen Modell ist der EuGH im Jahr 2009 abgewichen und hat entschieden, dass der Urlaubsanspruch nicht zum 31.12. verfällt, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund (durchgehender) Erkrankung kein Urlaub mehr im Urlaubsjahr gewährt werden konnte. Diese Rechtsprechung wurde dahingehend fortentwickelt, dass bei fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der Urlaubsanspruch jedenfalls 15 Monate nach dem 31.12. (also am 31.03. des übernächsten Jahres) verfällt.
Problemstellung
Fraglich war nun, ob bei unterlassenem Hinweis des Arbeitgebers der Urlaub unbegrenzt über Jahre aufläuft?
Entscheidungen des EuGH
Der EuGH konnte am 22.09.2022 gleich in drei Fällen zu den angesprochenen Fragen Stellung nehmen.
Im ersten Fall des EuGH vom 22.09.2022 (C-120/21) machte eine Arbeitnehmerin nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gegenüber ihrem Arbeitgeber Urlaubsabgeltungsansprüche geltend. Der Arbeitgeber war seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen und berief sich auf Verjährung. Der EuGH entschied, dass ein bereits erworbener Urlaubsanspruch nicht nach Ablauf von drei Jahren beginnend mit Ablauf des Entstehungsjahres verjährt, wenn der Arbeitgeber seiner jährlichen Hinweispflicht nicht nachkommt. Das heißt, der Urlaubsanspruch läuft unbegrenzt fort, wenn kein jährlicher Hinweis gegeben wird.
In zwei weiteren Fällen des EuGH vom 22.9.2022 (C-518/20 und C-727/2/0) machten die Arbeitnehmer Ansprüche auf bezahlten Urlaub für das Urlaubsjahr geltend, in dessen Verlauf sie teilweise arbeitsunfähig bzw. vollständig erwerbsgemindert wurden. Die Arbeitnehmer beriefen sich jeweils darauf, dass der Urlaubsanspruch nicht verfallen sei, da der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen sei. Der EuGH entschied, dass, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr teils auch tatsächlich gearbeitet hat, der Urlaubsanspruch bei unterjähriger Arbeitsunfähigkeit oder voller Erwerbsminderung nicht verfällt, und zwar in dem Fall auch nicht nach 15 Monaten.
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