Ein Beitrag von Gerald Mützel, Nachfolgeberater bei MÜTZEL BSV, ehem. Inhaber und Vorstand der MÜTZEL Versicherungsmakler AG
Es gibt einen Satz, der mir nach dem Verkauf meines Unternehmens nicht mehr aus dem Kopf ging: „Du hast jetzt alles erreicht – was machst du jetzt mit deinem Leben?“
Und er kam nicht von außen. Er kam aus mir selbst.
Ich hatte mein Maklerunternehmen über 25 Jahre aufgebaut. Höhen erlebt. Krisen gemeistert. Entscheidungen getroffen, die Verantwortung bedeuteten – für Mitarbeiter, Mandanten, Familie. Es war mein Lebenswerk. Aber was passiert, wenn man dieses Werk abgibt? Was bleibt dann? Nur Geld auf dem Konto? Oder beginnt dann vielleicht ein anderes Werk – eines, das nur noch mit einem selbst zu tun hat?
Der Übergang: Kein Bruch, sondern ein Wandel
Die wenigsten Unternehmer erleben den Verkaufsprozess als bloß wirtschaftlichen Vorgang. Er ist Abschied, Bilanz, Selbstbefragung. Was viele unterschätzen: Es endet nicht alles mit der letzten Unterschrift – es verschiebt sich nur.
Früher war mein Alltag geprägt von Zahlen, Terminen, Verträgen, Verantwortung. Jetzt? Von Ideen, Gesprächen, Zeit, Neugier. Aber dieser Übergang kam nicht von allein. Ich musste bewusst loslassen, um Platz zu schaffen für etwas Neues.
Vom Werk zum Wunsch: Was will ich eigentlich wirklich?
Die erste Zeit nach dem Verkauf war gefüllt mit Reflexion – und mit einer einfachen, aber tiefgehenden Frage: Was war in den letzten 25 Jahren wirklich „meins“ – und was war einfach nötig, weil ich Chef war?
Plötzlich war ich nicht mehr verpflichtet, ein Unternehmen zu führen. Aber ich war frei, mich selbst zu führen. Und das ist viel schwieriger.
Ich begann, mir folgende Fragen zu stellen:
- Was habe ich aufgeschoben, weil „die Firma wichtiger war“?
- Wofür brenne ich – ganz unabhängig von wirtschaftlichem Erfolg?
- Was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielt?
- Wer bin ich, wenn ich nicht mehr „der Makler“ bin?
- Die Antwort: Mein Lebenstraum war nie materiell
Ich stellte fest: Mein Lebenstraum bestand nicht aus einem Porsche, nicht aus Luxusreisen, nicht aus einem Ruhestand und nicht aus einer Villa am Gardasee.
Mein Traum war:
- Frei zu entscheiden.
- Wirklich Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir wichtig sind.
- Erfahrungen weiterzugeben, ohne Erwartungsdruck.
- Neues zu lernen – ganz ohne Zweckbindung.
- Gesund, aktiv und wach zu bleiben.
Ich habe lange gedacht, mein Lebenswerk sei mein Unternehmen. Aber heute weiß ich: Mein wahres Lebenswerk beginnt erst jetzt – mit mir selbst.
Was man loslassen muss, um den Lebenstraum zu leben
Ein Lebenstraum lässt sich nicht leben, wenn man sich innerlich noch an alte Rollen klammert. Ich musste lernen:
- Nicht alles besser wissen zu wollen.
- Dem neuen Inhaber Raum zu lassen – auch emotional.
- Nicht ständig zurückzublicken – sondern zu vertrauen.
- Mich neu zu definieren, ohne mich zu verlieren.
Das ist nicht leicht. Viele Unternehmer bleiben unbewusst „unsichtbar verhaftet“ in ihrem alten Werk. Ich habe mich bewusst verabschiedet – um wirklich neu beginnen zu können.
Konkrete Schritte in meinen neuen Lebensentwurf
Ich habe mir keine Bucket-List gemacht. Ich habe einfach angefangen:
- Fahrrad fahren– um mein Denken zu entschleunigen.
- Lesen – um Klarheit zu finden.
- Gespräche mit jungen Maklern – nicht als Coach, sondern als Mensch.
- Zeiten der Langeweile zugelassen – und sie plötzlich als Luxus entdeckt.
- Mich engagiert, wo mein Herz schlägt, nicht mein Portemonnaie.
Ich habe gelernt: Ein Lebenstraum ist kein Ziel. Es ist eine Haltung. Und er wächst mit jedem Tag, an dem ich mich traue, ihn zu leben – jenseits von Leistung.
Fazit: Das Lebenswerk ist ein Fundament – nicht das Dach
Viele sehen im Verkauf einen Schlussstrich. Ich sehe darin einen Doppelpunkt. Das Lebenswerk ist die Basis – aber der Lebenstraum ist das, was darauf wachsen darf. Ohne Zwang. Ohne Rechtfertigung. Ohne Bilanz.
Ich habe meinen Beruf geliebt – aber jetzt lerne ich, mein Leben zu lieben. Und vielleicht ist genau das das größte Werk von allen.
Fortsetzung folgt
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe aus insgesamt fünf Artikeln zum Thema Unternehmensnachfolge und -verkauf. Im dritten Artikel der Reihe geht es um „die plötzliche Leere“: Wie man mit dem „Zuviel“ an Zeit nach dem Verkauf umgeht – und warum neue Routinen wichtiger sind als neue Aufgaben.
Bisherige Texte:

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