Weniger Bürokratie und weniger Komplexität in der Beratung, das sind zentrale Forderungen der deutschen Finanz- und Versicherungsvermittlerverbände. Nicht neu sind deshalb die Appelle, die Verhandlungen zur EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy – RIS) einzustellen.
EU-Kleinanlegerstrategie passt nicht zu geplantem Bürokratieabbau
Generell scheint ein Umdenken sowohl in Brüssel als auch in Berlin zu erfolgen, bei dem der Bürokratieabbau in den Fokus rückt und Regulierungsvorhaben auf den Prüfstand kommen. „Der glaubwürdigste Aufbruch für einen echten Bürokratieabbau wäre die Einstellung des Trilogs zur Retail Investment Strategy. Keiner ihrer Regulierungsansätze ist geeignet, Europa wettbewerbsfähiger zu machen“, so Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des VOTUM Verbandes, in einem aktuellen Statement.
Weniger Meldepflichten statt mehr
Klein begrüßt einen medialen Vorstoß von Finanzminister Lars Klingbeil und seinem französischen Amtskollegen Éric Lombard zu einer wirtschaftspolitischen Neuausrichtung Europas. In entsprechenden Artikeln erklären die Finanzminister, dass man die Meldepflichten der Unternehmen um 25% und mehr reduzieren möchte. Im laufenden Trilog zur Retail Investment Strategy würden dagegen neue umfassende Meldepflichten verhandelt und ersonnen, so Klein.
VOTUM: „Finance Europe“ verstärkt komplexe Beratung
Auch die Einführung des neuen „Finance Europe“-Labels bewertet der VOTUM Verband mit Zurückhaltung. Die Idee, über ein freiwilliges Siegel Kapital in europäische Unternehmen zu lenken, möge gut gemeint sein – sie ersetze jedoch keine strukturellen Reformen. Das geplante Label, das auf eine Initiative von sieben EU-Ländern, darunter Deutschland, zurückgeht, soll Sparprodukte auszeichnen, die in Europa investieren, und ist Teil der „Savings and Investments Union“ (SIU), einer Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion. Geplant sind dabei auch steuerliche Investitionsanreize.
Die starre Vorgabe, mindestens 70% der Anlagewerte im europäischen Wirtschaftsraum zu investieren, limitiert die Diversifikation und erhöht das Beratungsrisiko ohne erkennbaren Mehrwert für Kundinnen und Kunden, erläutert Klein seine Sicht auf die Pläne. Der fehlende europaweite steuerliche Ordnungsrahmen verhindere eine wirksame Lenkung, während die Selbstzertifizierung durch Produktanbieter Fragen hinsichtlich Transparenz, Vergleichbarkeit und Kontrolle aufwerfe.
Martin Klein: „Zusammengefasst bedeutet das ‚Finance Europe'-Label – (unklare) Steuervorteile für Europatriotismus. Berater werden sich zukünftig in der Situation wiederfinden, ihre Kunden vor die Frage zu stellen: Willst du eine Anlage mit Steuervorteilen, die zu über zwei Drittel in Europa allokiert ist und eine Mindesthaltedauer von fünf Jahren hat, oder eine Anlage ohne Steuervorteile, dafür weltweit unbegrenzte Anlageoptionen und keine Kapitalbindung? Welche der Anlagen die bessere Nachsteuerrendite haben wird, bleibt der Glaskugel vorbehalten.“
GDV und BVI bewerten EU-Label unterschiedlich
Der GDV unterstützt die Initiative und hat diese fachlich mitgestaltet. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte das Label aus Sicht des Versichererverbands funktionieren und setzt sich gemeinsam mit europäischen Partnerverbänden dafür ein, dass auch kapitalbildende Versicherungsprodukte das geplante EU-Label tragen können.
Der Fondsverband BVI steht dem Siegel kritischer gegenüber. Nach Vorstellung des Labels Anfang Juni erklärte BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter: „Das Ziel, mehr Menschen an die Kapitalmärkte zu bringen und die europäische Wirtschaft zu finanzieren, ist gut. Allerdings kann sich das Label nicht an unerfahrene Sparer richten, weil es unter anderem Anlagen mit geringer Liquidität ermöglicht. Auch für die Altersvorsorge eignet sich das Siegel nicht, denn das engere Anlageuniversum führt langfristig zu geringeren Renditechancen. Zudem ist fraglich, ob die EU-Länder es schaffen, die notwendigen steuerlichen Anreize zu gewähren.“ Deutschland solle sich nicht verzetteln. Die Reform der privaten Altersvorsorge müsse Priorität haben. Neue Label-Produkte auf EU-Ebene könnten eine ergänzende Rolle spielen.
Freiwilliges Label hat Praxistest noch vor sich
Wie immer kommt es bei solchen Vorhaben darauf an, ob es sich in der Praxis etabliert und bewährt, zumal das Label keine Pflicht werden soll. Ein schlechtes Bespiel hierfür ist etwa das Paneuropäische Private Pensionsprodukt (PEPP), das als gescheitert gilt. (bh)
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