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20. Dezember 2023
Was Experten zur Regulierung der Finanzberatung erwarten
Year 2030 written on a paper with a green pushpin, concept image for business vision or long term prospective. Number two thousand thirty.

Was Experten zur Regulierung der Finanzberatung erwarten

Welche regulatorischen Veränderungen kommen auf Versicherungsmakler in Deutschland bis 2030 zu? Das war das Diskussionsthema eines hochkarätig besetzten Podiums, zu dem Standard Life nach fünf Jahren Pause wieder in die Britische Botschaft in Berlin eingeladen hatte. Ein Bericht von Standard Life

Rund 100 unabhängige Vertriebspartner und Pressevertreter fanden im November auf Einladung von Standard Life den Weg in die Britische Botschaft in Berlin. Auf sie warteten im Rahmen einer Podiumsdiskussion konzentrierte Information und Meinungsaustausch rund um die Themen EU-Kleinanlegerstrategie, Provisionsverbot, Unabhängigkeit der Beratung sowie der Abschlussbericht der Fokusgruppe private Altersvorsorge. Aber auch der lockere Plausch unter Kollegen kam an diesem politischen Abend nicht zu kurz.

Botschaftsvertreter Nick Alexander begrüßte die Besucher aus dem ganzen Bundesgebiet, die der Einladung von Standard Life gefolgt waren, und dankte für ihr Kommen. Dass der Versicherer bereits zum vierten Mal in die Britische Botschaft eingeladen hatte, sei kein Zufall, so Alexander: Schließlich sei die britische Versicherungsbranche, zu der Standard Life und ihre Muttergesellschaft, die Phoenix Group, gehören, die größte Europas und die viertgrößte in der Welt.

Nigel Dunn, CEO von Standard Life International und als oberster Vertriebsmann für die Märkte in der Republik Irland, Österreich und Deutschland zuständig, freute sich ebenfalls, wieder in Berlin zu sein. In seiner Begrüßung betonte der gebürtige Ire, wie wichtig es für Standard Life sei, von den Gästen an diesem Abend Einblicke in ihre Arbeit und tägliche Herausforderungen zu bekommen. Und immerhin winke am Ende der Diskussion ja die Aussicht auf – wenn auch nicht irischen, aber zumindest schottischen – Whisky.

Doch bevor sich die Besucher ein Gläschen des „flüssigen Sonnenlichts“ (wie es der berühmte irische Schriftsteller und Aktivist George Bernard Shaw genannt haben soll) gönnen durften, stellte Moderator Dr. Marc Surminski, Chefredakteur der Zeitschrift für Versicherungswesen, die fünfkopfige Podiumsrunde vor. Diese setzte sich in den kommenden gut anderthalb Stunden intensiv mit einem Dauerthema der Versicherungsbranche auseinander. „Ewig grüßt das Murmeltier – seit Jahrzehnten schon dreht sich die Diskussion um die Regulierung“, so Surminski zum Auftakt. „Heute wollen wir Licht auf den aktuellen Stand der Murmeltierschleife werfen: Was kommt da auf die Finanzberatung 2030 zu?“

Standard Life war es gelungen, erneut hochkarätige Vertreter aus Politik, von Verbraucherschutz und Maklerverbänden sowie aus der Wissenschaft als Diskutanten zu gewinnen. Und so trafen sich auf dem Podium die Bundestagsabgeordneten Stefan Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Carsten Brodesser (CDU), beide Mitglieder des Finanzausschusses des Bundestages; Constantin Papaspyratos, Chefvolkswirt beim Bund der Versicherten (BdV); Norman Wirth, Geschäftsführer des Bundesverbandes Finanzdienstleistung AfW, und Prof. Dr. Jochen Ruß, geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) in Ulm, der zuvor eine der beiden Keynotes gehalten hatte.

CDU-Abgeordneter Brodesser: „Kleinanlegerstrategie ist komplett überflüssig!“

Der erste Block der Runde behandelte die EU-Kleinanlegerstrategie und das damit verbundene Provisionsverbot. Zu dem Vorhaben aus Brüssel fand Brodesser deutliche Worte: „Ich halte die Kleinanlegerstrategie für komplett überflüssig!“ Er zweifelte daran, ob Dokumentations- und Beratungspflichten der Berater sowie ein Provisionsverbot zum wünschenswerten Ergebnis führen würden, Kleinanleger für den Kapitalmarkt zu ertüchtigen. Viel eher „schreckt das die Berater ab, lässt die Produktgeber aussteigen, und die Kunden verstehen es nicht mehr“, so der CDU-Abgeordnete.

Auch AfW-Mann Wirth hatte arge Zweifel an der neuen EU-Strategie: „Ich verstehe nicht, was dazu führen soll, dass sich am Ende mehr Kleinanleger am Kapitalmarkt beteiligen sollen!“ Schmidt sagte, dass die Grünen bekanntermaßen die Honorarberatung stärken und die Provisionsberatung abschaffen wollten. Doch letzteres sei als „langfristiges Ziel“ anzusehen.

Prof. Ruß verwies darauf, dass das Prinzip „Value for money“ ja bereits heute gelte und Anbieter ihren Kunden ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis liefern müssen, etwa mit der Prognose von zu erwartenden Renditen unter verschiedenen Marktphasen. Angesichts der drohenden höheren Komplexität warnte der Wissenschaftler jedoch: „Was immer aus Brüssel noch kommen wird: Je komplexer das Produkt, desto kleiner wird der Zielmarkt.“ Das beziehe sich auch auf die Breite der Fondsauswahl, die damit eingeschränkt würde.

Papaspyratos sah die ganze Aufregung um die Kleinanlegerstrategie als verfrüht an: „Der Entwurf wird ein Entwurf bleiben.“ Denn zum einen finde bereits im Juni nächsten Jahres die Wahl zum neuen Europaparlament statt. Zum anderen strebe die irische EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness nach einem Posten in ihrer Heimat. Und auch der Grüne Schmidt erklärte, das Vorhaben „wird nicht komplett beerdigt werden“, aber sicher nicht mehr vor der Europawahl in Gesetzesform vorgelegt werden.

Grünen-Politiker Schmidt: „Beratung gibt’s nicht für lau“

Obwohl das „große allumfassendes Provisionsverbot vom Tisch ist“, seit Frau McGuinness im Frühjahr diesbezüglich einen Rückzieher gegenüber den vorherigen Ankündigungen gemacht hatte: Das Risiko eines Verbots für Versicherungsmakler bei der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten durch die Kleinanlegerstrategie bleibe bestehen, sagte Wirth. Dem AfW seien mittlerweile drei Gutachten zu dem Thema bekannt (eines von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski von der Humboldt-Universtät hatte der AfW selbst in Auftrag gegeben), die angesichts ihrer widersprüchlichen Aussagen nach einer Klarstellung durch die Politik verlangten.

„Ich bin da vergleichsweise entspannt“, meinte Schmidt. „Wir sind uns im Grundprinzip einig: Eine Beratung gibt’s nicht für lau.“ Er glaube deshalb nicht, dass es zur Frage der Unabhängigkeit von Maklern jahrelange Unsicherheit geben werde. Wirth begrüßte diese Aussage: „Das wünschen wir uns auch – einen klaren Wortlaut!“

Papaspyratos als quasi einziger Vertreter des Verbraucherschutzes auf der Bühne – anders als der Bundesverband Verbraucherzentralen, die regionale, staatlich geförderte Einrichtung für Verbraucher, oder der anbietergestützte Gesamtverband der Versicherer (GDV) kümmert sich der BdV nur um Versicherungsangelegenheiten von Privatkunden – warf den Maklern vor, dass viele von ihnen selbst Schuld an der Debatte hätten: „Ich habe ein grundsätzliches Problem damit, wenn Makler auf ihrer Website anbieten, dass ihre Beratung und Gespräche ‚kostenfrei‘ sind. Das Bild hat sich daher verfestigt, dass dass auch so ist.“

Verbraucherschützer Papaspyratos: Beratung von Verkauf trennen

Er frage sich angesichts des „massiven Arbeitsaufwandes“, den Beraterinnen und Berater etwa für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung aufbringen müssen, ob das jetzige Vergütungssystem noch aktuell sei: „Da kann ein Vermittler mehrere Wochen dran sitzen, und dann geht der Kunde auf ein Vergleichsportal, schließt dort ab und bekommt noch einen Gutschein von Amazon dazu.“

Er plädierte deshalb dafür, Beratung und Verkauf von Vorsorgeprodukten voneinander zu trennen und unabhängig zu vergüten. Das sei zwar kompliziert, sagte Papaspyratos, aber er verwies zur Veranschaulichung (nicht das letzte Mal an diesem Abend) auf das eingängige Beispiel vom Einbau einer Wärmepumpe. Auch dort werde mittlerweile der Energieberater als Ratgeber vor dem Kauf einer Anlage beim Heizungsbauer hinzugezogen.

Wirth ermutigte unabhängige Versicherungs-, Anlage- und Finanzierungsberater, von denen der AfW etwa 40.000 vertritt, mit Kunden Servicevereinbarungen für bestimmte Beratungsleistungen abzuschließen. Immerhin handle es sich um einen Mehrwert, mit dem Kunden geholfen werden könne.

AfW-Mann Wirth zur Altersvorsorge: „Wären happy, wenn das so umgesetzt würde!“

Im zweiten Block ging es um die Reform der staalich geförderten privaten Altersvorsorge, in erster Linie die Riesterrente. Hierzu hatte eine Fachkommission, die mit Vertretern aus Wissenschaft, Verbraucherschutz, Branchenverbänden und der Politik besetzt war, im Sommer einen Vorschlag vorgelegt, der von allen Seiten weitgehend begrüßt wurde.

In der vergangenen Legislaturperiode, in der die CDU noch mit in der Regierung war, hatte sie die Reform der Altersvorsorge leider nicht hinbekommen, bedauerte Brodesser. Aber das neue Format unter Beteiligung der Verbände sei gut und habe eine „Agenda für die Riesterrente“ hingelegt.

Und obwohl die Grünen unterschiedliche Auffassungen gegenüber den Koalitionspartnern von der FDP hätten, was Langlebigkeit und Verrentung anbelangt, zeigte sich Schmidt zuversichtlich: „Anfang 2024 wird es hoffentlich ein Gesetz geben.“ Eine Reform in der Riesterrente sei überfällig, so Schmidt. Er sei weder zufrieden mit der Anzahl der aktuellen Riesterverträge noch mit der Akzeptanz der Kunden. Aktuell würden von den rund 16 Millionen abgeschlossenen Riesterverträgen nur noch etwa zehn Millionen aktiv bespart.

An dieser Stelle machte ein Zuhörer seinem Ärger Luft: Politiker aller Parteien hätten die Riesterrente doch permanent „schlecht geredet“ und an den 100-prozentigen Garantien festgehalten. Schmidt gab dem Makler zwar Recht, sah seine Partei aber nicht in der Verantwortung: „Man hätte die Reform früher angehen sollen – aber den Schuh muss ich mir nicht anziehen.“ Der Grund für die Reform der Riesterrente sei es, die Rentenlücke zu schließen, und „viele Menschen wünschen sich einen Neustart.“

Ungewohnte Schützenhilfe bekam der Grünenpolitiker von Brodesser: Er unterstütze dessen Aussage, dass alle Menschen eine geförderte Altersvorsorge erhalten sollten. Die „Geburtsfehler“ der Riesterrente w[rden jetzt korrigiert. Das nächste Projekt sei eine Reform der betrieblichen Altersvorsorge, so der CDU-Finanzexperte, denn dort sei die Akzeptanz stark abhängig von der Unternehmensgröße: „Ob ich bei Bäckermeister Surminski oder bei Bayer Leverkusen angestellt bin, macht einen Riesenunterschied in der bAV!“

Prof. Ruß erinnerte daran, welchen Erfolg die Riesterrente bereits darstellt: Der Anteil der Menschen in Deutschland, die außer der gesetzlichen Rente keine andere Altersvorsorge hatten, lag „vor Riester“ noch bei 70%, sank nach deren Einführung aber auf nur noch 30%.

Zurück zu den Vorschlägen der Reform der Altersvorsorge monierte Papaspyratos lediglich: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Fokusgruppe Freiheit bei der Verrentung gewährt.“ Wirth bezeichnete das Ergebnis hingegen als „deutlich mehr, as wir erwartet haben. Wir wären happy damit, wenn das so umgesetzt würde!“ Die Reformvorschläge stellten quasi ein „Arbeitbeschaffungsprogramm für den Vertrieb“ dar, nicht nur für die Lebensversicherer.

Wissenschaftler Ruß: „Für Transformation zu nachhaltiger Wirtschaft brauchen Menschen Beratung“

In der Abschlussrunde forderte Moderator (nicht Bäckermeister) Surminski die Podiumsteilnehmer auf, abgesichts dieser Regulierungslage kurz die Zukunftsperspektiven für den Vertrieb zu beschreiben. Norman Wirth ergriff als Erster das Wort. Es gehe um Qualität und darum, Kunden unabhängig zu beraten, sowie um Finanzbildung, die bereits in den Schulen beginnen müsse. Wirth, der geglegentlich selbst an Schulen zu diesem Thema spricht, forderte seine Maklerkollegen deshalb auf: „Versuchen Sie sich da selbst einzubringen!“

Auch Carsten Brodesser forderte, dass die „wirtschaftliche Alltagstauglichkeit“ bei Schulabgängern ausgebaut werden müsse. Aber weil viele Menschen komplexe Finanzentscheidungen nicht alleine treffen können, sei Beratung wichtiger denn je – eine „hochwichtige, qualifizierte Aufgabe, auf die man stolz sein darf.“ Stefan Schmidt sprach das Potenzial von 82 Millionen Menschen in Deutschland an, von denen viele sehr internetaffin seien, aber trotzdem Bedarf an individueller Beratung hätten.

Prof. Dr. Jochen Ruß schlug in dieselbe Kerbe. Er konnte sich einen Seitenhieb auf eine Lieblingsforderung der Grünen aber nicht verkneifen, als er sagte, dass sich „82 Millionen individuelle Lösungen“ schlecht mit einem Staatsfonds für alle vetragen. Ein anderer Aspekt, in der Diskussion zu kurz gekommen, war dem Aktuar aber wichtig: „Wenn wir die Transformation zu nachhaltiger Wirtschaft erreichen wollen, dann brauchen die Menschen Beratung zu alternativen Anlagen. Da kann uns das Internet nicht helfen!“

Constantin Papaspyratoss‘ Schlusswort klang halb wie eine Drohung, halb wie eine Verheißung für den Vertrieb: „Sie werden mehr zu tun haben, als Sie glauben wollen. Nutzen Sie die Regulierung als Chance, um Risiken zu entdecken.“

Bild: © Olivier Le Moal – stock.adobe.com