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9. September 2022
Wie geht es nach der Leitzinserhöhung der EZB weiter?

Wie geht es nach der Leitzinserhöhung der EZB weiter?

Die EZB hat die größte Leitzinserhöhung ihrer Geschichte angekündigt. Mitte dieser Woche geht es bei den Leitzinsen um 0,75 Prozentpunkte nach oben. Was bedeutet das für die Konjunktur im Euroraum? Wie weit steigt die Inflation noch? Und wie drastisch werden die kommenden Zinsschritte ausfallen?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hebt die Zinsen um 0,75 Prozentpunkte an und damit so stark, wie noch nie zuvor (AssCompact berichtete). Das mag drastisch klingen, an den Kapitalmärkten wurde die Nachricht jedoch gelassen aufgenommen. „Nein, das war keine Überraschung mehr“, meint beispielsweise Carsten Mumm, der Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel. Die Märkte hätten genau diesen Zinsschritt um 75 Basispunkte bereits seit mehreren Wochen erwartet.

EZB will Entschlossenheit beweisen

Auch der Chefvolkswirt der Deka-Bank, Dr. Ulrich Kater, war von der EZB-Entscheidung nicht überrascht. Ein Zinsschritt von nur 0,5 Prozentpunkten wäre den Währungshütern seiner Meinung nach als zu laxe Haltung ausgelegt worden. Die EZB zähle ohnehin in ihrem Kampf gegen die Inflation bereits zu den Nachzüglern unter den Notenbanken. Was unter anderem auch damit zusammenhänge, dass die EZB lange die Fehleinschätzung vertreten habe, die Inflation sei nur ein kurzfristiges Phänomen.

Eingeständnis von Fehlern

Das hatte Christine Lagarde auch auf der Pressekonferenz eingestanden, die sich direkt an die Verkündung des Zinsschritts anschloss. „Wir haben Fehler gemacht.“ Außerdem fügte die EZB-Präsidentin hinzu: „Ich übernehme die Verantwortung dafür, weil ich diese Institution leite.“

Uneinigkeit im EZB-Rat

Dass die EZB der Inflation nun so deutlich entgegentritt, war zwar tatsächlich die vorherrschende Erwartungshaltung der Märkte, aber innerhalb des EZB-Rats nicht unumstritten. So hätte es laut Lagarde unterschiedliche Ansichten am Verhandlungstisch gegeben – letztendlich habe man sich jedoch einigen können.

Refinanzierungsprobleme in Südeuropa

Insbesondere südeuropäische Länder dürften sich innerhalb des EZB-Rats für kleinere Zinsschritte ausgesprochen haben, um die Wirtschaft ihrer Heimatländer nicht zu überfordern.

Rezessionsangst und weiter hohe Inflationswerte

Und die Lage dürfte nicht nur für die Südeuropäer herausfordernd werden. So geht Lagarde davon aus, dass sich die Wirtschaftsentwicklung deutlich verlangsamen werde, während die Inflationsprognose für 2023 noch immer 5,5% beträgt.

Etwas optimistischer ist da Carsten Brzeski. Der Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der ING geht von einer Inflationsrate von 4% im Jahresdurchschnitt für 2023 aus. Und auch Morgane Delledonne, ihres Zeichens Head of Investment Strategy für Europa bei Global X, verbreitet etwas Hoffnung: „Der Silberstreif am Horizont ist: Diese Prognosen deuten nicht auf eine Rezession in Europa hin, sondern auf niedriges Wachstum mit hoher Inflation.“

Weitere Roadmap noch offen

Wie es nun genau weiter geht, ist noch unklar. Die EZB behält sich mittlerweile vor, geldpolitisch verstärkt auf Sicht zu fahren. Man wolle aufgrund der Datenlage von Sitzung zu Sitzung entscheiden, wie reagiert werden müsse. Dass es jedoch noch in diesem Jahr weitere Zinserhöhungen geben wird, hat die EZB bereits in Aussicht gestellt.

Nächste Leitzinserhöhung bereits im Oktober

Kaspar Hense, Senior Portfolio Manager bei BlueBay Asset Management, geht davon aus, dass die Leitzinsen im Oktober um weitere 0,75 Prozentpunkte angehoben werden. Gleichzeitig geht Hense davon aus, dass die Wachstumsaussichten für den Euroraum noch immer zu optimistisch sind. Konstantin Veit, Portfolio-Manager beim Vermögensverwalter PIMCO hingegen geht von Leitzinserhöhungen im Oktober und Dezember um jeweils 0,5 Prozentpunkte aus.

Inflation im vierten Quartal zweistellig?

Etwas weiter voraus blickt Roxane Spitznagel. Die Ökonomin des Vermögensverwalters Vanguard geht von weiteren Zinsanhebungen bis auf 2,5% beim Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte (landläufig: der Leitzins) bis März 2023 aus. Auf diesem Niveau werde der Leitzins dann bis zum Ende 2023 verharren. Gleichzeitig rechnet Vanguard mit einer milden Rezession, die sich über zwei Quartale erstrecken wird. Den Höhepunkt der Inflation (10%) im Euroraum erwartet Spitznagel für das vierte Quartal 2022.

Banken profitieren vom Zinsschritt

Während die Aussichten für die Gesamtwirtschaft also eher durchwachsen bis düster ausfallen, können Banken und Versicherer sich über die anziehenden Zinsen freuen. So applaudiert Dr. Otmar Lang, der Chefvolkswirt der TARGOBANK, in einer Mitteilung zum Notenbankentscheid: „Bravo, EZB! Ein Anfang ist gemacht!“ Die EZB habe sich endlich auf den Weg begeben, die langfristigen Inflationserwartungen zu stabilisieren und die Abwärtsspirale des Euros zu brechen, meint Lang.

Die Aktien von Kreditinstituten und Versicherern zogen dementsprechend nach dem Zinsentscheid auch deutlich an. Der größte Gewinner im Dax war die Deutsche Bank. Ihre Papiere zogen um mehr als 5% an und liegen auch am heutigen Folgetag (09.09.2022) noch einmal mehr als 2% im Plus.

Keine Klarheit über EZB-Kaufprogramme

Der Vorstandssprecher der Gothaer Asset Management AG, Christof Kessler, macht derweil darauf aufmerksam, dass noch immer nicht geklärt ist, wie die EZB mit dem Volumen ihrer Kaufprogramme umgehen will (Stichwort: PEPP und TPI). Dieser Umgang sei neben den Leitzinssätzen für den Rentenmarkt jedoch von entscheidender Bedeutung. Hierzu gab es in der Tat keine neuen und relevanten Aussagen. (tku)

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