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27. Oktober 2021
Zwischen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und guter Beratung

Zwischen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und guter Beratung

Nie war persönliche und qualitativ hochwertige Beratung so wichtig und wertvoll wie heute, betont die Entscheiderrunde in der Speaker’s Corner des DKM Forum hybrid rund um die Fragestellung, wie es gelingen kann, die größten Branchenherausforderungen – Nachhaltigkeit und Digitalisierung – gemeinsam zu meistern.

Vieles ist anders und neu beim diesjährigen DKM Forum hybrid, das erstmals das persönliche Treffen vor Ort in der Messe Dortmund und den digitalen Austausch auf events.dkm365.de verbindet. Eine gutbekannte Konstante stellt allerdings die Diskussionsrunde unter Branchenentscheidern dar, die sich mit den aktuellen Fragestellungen zur Zukunft der Versicherungs- und Finanzwirtschaft auseinandersetzt.

Nachhaltig und digital: Schafft die Versicherungswirtschaft den Turn-Around?

Moderiert von Dr. Marc Surminski, Chefredakteur der Zeitschrift für Versicherungswesen, stand die Entscheiderrunde in der Speaker’s Corner diesmal unter dem Titel „Nachhaltig und digital: Schafft die Versicherungswirtschaft den Turn-Around?“ Oder mit Surminskis einleitenden Worten gefragt: Wie kann es gelingen, die beiden großen Herausforderungen für die Branche – Nachhaltigkeit und Digitalisierung – gemeinsam zu bewältigen und die unabhängigen Vermittler erfolgreich auf diesen Weg mitzunehmen? Theodoros Kokkalas (Vorsitzender des Vorstands der ERGO Deutschland AG), Uwe H. Reuter (Vorstandsvorsitzender der VHV Holding AG), Dr. Norbert Rollinger (Vorstandsvorsitzender der R+V Versicherung AG) und Frank Sommerfeld (Mitglied des Vorstands der Allianz Deutschland AG, Vorsitzender des Vorstands der Allianz Versicherungs-AG) lieferten sich dazu eine Diskussion, die über weite Strecken von großer Einhelligkeit geprägt war.

Die Versicherungsbranche habe den internationalen Trend der Digitalisierung schon erkannt und sei in manchem schon weiter als andere Industrien. Die Digitalisierung werde die Vertriebskanäle verändern, deshalb werde aber nicht weniger Beratung gebraucht, stieg Kokkalas in die Diskussion ein. Die Komplexität der Industrie und die Bedürfnisse blieben auch weiterhin bestehen. Die Beratung müsse natürlich digitalisiert werden, das Beratungsbedürfnis aber bleibe. Und Vertrieb sei nach wie vor eine emotionale Angelegenheit, auch in einer wenig haptischen Branche wie der Versicherungs- und Finanzwirtschaft.

Beratungsqualität macht den Unterschied – Digitalisierung als Unterstützung

Gute Berater brauche es weiterhin und man unterscheide sich auch zukünftig durch die Beratungsqualität, die man liefern könne, bekräftigte auch Dr. Norbert Rollinger. Als aktuelles Beispiel zog er die Flutkatastrophe im Ahrtal heran und bezeichnete es als das Verdienst der hauseigenen Berater, dass 70 bis 75% der Kunden in den betreffenden Gebieten eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen hätten. Die Qualität der Versicherung bzw. der Versicherungsberatung zeige sich eben erst im Schadenfall.

Dem unabhängigen Vermittler müsse wegen der Digitalisierung nicht bange sein, betonte im Anschluss Uwe H. Reuter. Den Digitalisierungstrend habe es schon vor Corona gegeben. Die entscheidende Frage sei in diesem Zusammenhang nicht: „Beratung: ja oder nein?“ Die Digitalisierungserfahrung sei es, dass alles etwas unkomplizierter und schneller vonstattengehe – und der Kunde habe jedes Recht, eben auch die Versicherungsberatung schnell, komfortabel, unkompliziert und qualitativ hochwertig zu bekommen. Warum sollte ein Makler seinen Kunden nicht ebenso gut einen Spitzen-Service in digitaler Form bieten können? Vor allem bei komplexen Versicherungsprodukten wie beispielsweise im Bereich der Berufsunfähigkeit sei der Bedarf an guter, qualitativ hochwertiger Beratung ungebrochen. Wichtig sei nur, dass der Makler es nicht verpasse, sich zu digitalisieren.

Frank Sommerfeld formulierte es ähnlich: Die Begriffe „digital“ und „Beratung“ schlössen sich ja nicht gegenseitig aus, zumal die hybride Welt nun erhalten bliebe. 70% der Kunden wollten noch immer einen persönlichen Ansprechpartner in Sachen Finanzen und Versicherungen und dies gelte vollkommen altersunabhängig, so Sommerfeld. Für Jüngere bedeute die persönliche Beratung nur nicht mehr, in eine Agentur zu marschieren, sondern sie wollten eben nun eine Beratung per Videochat. Kompetenz, Persönlichkeit und Vertrauen seien aber nach wie vor gewünscht. Man vertraue schließlich jemandem sein gesamtes Vermögen an, wenn es um Finanzen gehe. Dieses wolle man ja nicht verlieren, nur weil man irgendwo online einen falschen Haken gesetzt habe. Auf die Versicherungsbranche bezogen merkte Sommerfeld dann noch an, dass Online- und Vergleichsportalmarkt sich nicht in starkem Anstieg befänden, sondern auf demselben Level blieben.

Amazon als Vorbild in Sachen Kundenorientierung

Hier brachte Moderator Surminski zusätzlich zu den Vergleichsportalen Amazon als weiteren Konkurrenten ins Gespräch und fragte in die Entscheiderrunde, wie man den Amazon-Markteinstieg in Großbritannien bewerte. Könnte sich dies auf Deutschland übertragen zum Gamechanger entwickeln?

Reuter gab daraufhin zu bedenken, dass Amazon in Großbritannien mit Versicherern als Risikoträger und mit Brokern kooperiere, da man wohl erkannt habe, dass die Beratungskompetenz von Versicherern und Maklern nicht so einfach zu toppen sei. Da Amazon nicht über ein eigenes Schadenmanagement verfüge, könne es nicht zum ernsthaften Konkurrenten für die Versicherer werden; und für Vermittler höchstens, was die Standardprodukte von der Stange angehe. Aber ein Makler, der seine eigenen Prozesse digitalisiere, gute Beratung liefere und mit leistungsstarken Versicherern zusammenarbeite, sei auf jeden Fall zukunftsfähig. Auch für sein Unternehmen sei die Kooperation mit Maklern weiterhin von großer Wichtigkeit.

Amazon könne im Hinblick auf die Kundenorientierung ein Vorbild sein, erwiderte Kokkalas im Anschluss auf die Frage, wie sich Makler gegen Amazon positionieren müssten. Sie bräuchten eine neue Definition von Kundenorientierung, die schneller und einfacher werden müsste, wo es nur möglich sei. Und Rollinger ergänzte, dass man darauf achten müsse, die Prozesse mit den Kunden und das Kundenerlebnis so gut wie möglich hinzubekommen. Der Auftrag laute also, in das Thema Digitalisierung, Prozesse und Kundenbegeisterung zu investieren, dann bestehe kein Grund zur Sorge.

Nachhaltigkeit als Profilierungschance?

Soweit so einmütig. Kontrovers wurde es in der Entscheiderrunde allerdings trotzdem noch: Rund um die Fragestellung inwieweit die Nachhaltigkeit auch als Profilierungschance gesehen werden kann – vor allem, wenn es darum geht, im Sinne nachhaltigen Handelns als Versicherer bestimmte Unternehmen nicht mehr zu versichern. Surminski sprach als Beispiel die Bestrebungen in der Industrieversicherung an, keine Kohleunternehmen mehr zu versichern.

Die Nachhaltigkeitsthematik allgemein sei nicht nur eine politische Frage, so Frank Sommerfeld. Auch die Kunden seien inzwischen hochgradig daran interessiert, ein sense of urgency sei in der Gesellschaft angekommen. Allerdings bestehe im Sachversicherungsbereich im Gegensatz zum Kapitalanlagenbereich laut Allianz-Studien, noch keine höhere Zahlungsbereitschaft für explizit nachhaltige Produkte. Des Weiteren dürfe man nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren, so Sommerfeld, aber es brauche gewisse Mindeststandards, an die sich alle gewöhnen bzw. halten sollten. Er verwies aber auch auf die Zeichnungsrichtlinien, die jeder Versicherer habe und betonte, dass es seiner Meinung nach durchaus legitim sei, dass jeder Versicherer für sich selbst entscheide, wie er hier vorgehen wolle bzw. wen oder was er konkret ausschließen wolle. Im Anlagebereich geschehe das schließlich ganz genauso. Damit konterte Sommerfeld energisch das Statement von Dr. Norbert Rollinger, der betont hatte, dass die R+V hier eher den Weg des Dialogs mit dem Kunden gehen wolle. Es sei der Anspruch der R+V, beim Thema Nachhaltigkeit zu helfen, indem man den Kunden auf seinem Weg begleite, nachhaltiger zu werden – anstatt ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen, indem man ihm „oberlehrerhaft“ verkünde, ihn in Zukunft nicht mehr zu versichern. Man wolle Dekarbonisierung, jedoch keine Deindustrialisierung, und die Politik dürfe die Versicherungswirtschaft nicht für Dinge in die Haftung nehmen, die sie selbst nicht lösen könne.

Solange nicht richtig festgelegt sei, was unter „nachhaltig“ zu verstehen sei, herrsche sowieso Orientierungslosigkeit. Die Politik müsse hier für Orientierung sorgen und Fakten schaffen, meinte Uwe H. Reuter, der den Vermittlern empfiehlt, in Ruhe abzuwarten, da die Politik ihnen zu gegebener Zeit minutiös und millimetergenau zeigen werde, was in Sachen nachhaltigen Handelns zu tun sei.

Kontrovers: Die Branche, die Politik und die Altersvorsorge

Die Politik brachte auch Dr. Norbert Rollinger in seiner Eigenschaft als Angehöriger des GDV-Präsidiums ins Spiel, als er von Moderator Dr. Marc Surminski auf die kontroverse Situation im Frühjahr 2021 angesprochen wurde. Damals hatte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen von einem rein digital vertriebenen Riester-Standardprodukt gesprochen, seine Aussagen jedoch im Nachhinein ergänzt und entschärft. Dennoch waren sie von BVK-Präsident Michael H. Heinz als Kampfansage an die Vermittlerschaft aufgefasst worden (AssCompact berichtete). Es habe darum auch heiße Diskussionen im GDV gegeben, so Rollinger, der das Ganze aber so verstanden wissen will, dass der Verband das Produkt aus „Angst vor einer generellen Verstaatlichung der Altersvorsorge“ vorgeschlagen habe. In dieser „Notsituation“ habe man eben gehofft, dass für die Versicherungsbranche – und damit natürlich auch für die Vermittler, die man habe mit im Spiel halten wollen – etwas für die private Altersvorsorge übrig bleiben müsse. Sonst würden der Branche die Felle davonschwimmen. Wenn man den Anspruch habe, der Staat müsse alles richten, dürfe man nämlich nicht vergessen, dass wir alle der Staat seien. Und in der Branche kenne man sich schließlich mit Kollektiven aus: Jedes Kollektiv brauche Leute, die einzahlen.

Von den Querelen im Frühjahr wieder zurück zum DKM Forum hybrid 2021: Die Schlusssätze, um die Moderator Dr. Marc Surminski jeden Diskussionsteilnehmer am Ende der Entscheiderrunde bat, lassen Vermittler trotz aller Kontroversen und Herausforderungen positiv in die Zukunft blicken:

Theodoros Kokkalas ermutigte die Vermittler, sich in Sachen Digitalisierung keinen Stress zu machen, aber auch nichts zu unterschätzen, denn die Beratungsintensität bleibe auf jeden Fall erhalten. Frank Sommerfeld betonte, das „New Normal“ sei mehr als Pandemie, nämlich persönlich und digital. Die Allianz sei hier an der Seite der Vermittler auf der Reise. Uwe H. Reuter ermutigte die Zuhörer, zuversichtlich zu sein und Veränderungen als Chancen zu sehen, um besseren Service für die eigenen Kunden leisten zu können und Dr. Norbert Rollinger resümierte schlicht: Nie war persönliche Beratung so wertvoll wie heute. (ad)

Bild v. l. n. r.: Konrad Schmidt, Dr. Norbert Rollinger, Theodoros Kokkalas, Dr. Marc Surminski, Frank Sommerfeld, Uwe H. Reuter