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9. März 2022
„Branche jongliert mit Begriffen, die noch keine Standards sind.“

„Branche jongliert mit Begriffen, die noch keine Standards sind.“

Nachhaltigkeit im Vermittlungsgeschäft ist untrennbar mit Regulierung verbunden. Viele Begrifflichkeiten bleiben häufig unklar. AssCompact hat daher bei Norman Wirth (AfW) für eine Klarstellung nachgefragt.

Ein Interview mit Norman Wirth, Vorstand beim Bundes­verband Finanzdienstleistung AfW
Herr Wirth, welche Bedeutung erlangen nachhaltige Geldanlagen gegenwärtig für Finanzberaterinnen und -berater im Vermittlungsgeschäft?

Im Moment nehmen nachhaltige Geldanlagen im Vermittlungs­geschäft noch keine allzu große Bedeutung ein, wobei wir wissen, dass die Nachfrage von Kundenseite wirklich erheblich zunimmt. Entsprechend unserem aktuellen Vermittler-Barometer – eine jährliche Umfrage mit diesmal über 2.000 teilgenommenen Vermittlerinnen und Vermittlern – verspüren die Befragten eine deutlich höhere Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen als noch ein Jahr zuvor.

Wie ist denn die Einstellung beim Thema „Nachhaltige Geldanlagen“ unter den Vermittlerinnen und Vermittlern überhaupt?

Die Vermittlerschaft ist bei diesem Themenkomplex noch recht konservativ eingestellt. Den meisten muss das Thema Nachhaltigkeit noch aktiv nähergebracht werden. Ich habe den Eindruck, dass die Thematisierung im Vermittler­betrieb eher vom Kunden und vom Gesetzgeber aus geht. Sicherlich, es gibt auch viele engagierte Finanz­beraterinnen und -berater. Aber allgemein betrachtet ist es eher so, dass der Impuls für dieses Thema von außen kommen muss.

Welche Bedeutung hat die EU-Transparenzverordnung – auch jetzt schon – für den Vermittler­betrieb und welche Serviceeinheiten, beispielsweise Website, sind davon betroffen?

Für den einzelnen Vermittler oder die einzelne Vermittlerin weist die EU-Transparenzverordnung, die nun seit März 2021 in Kraft ist, zunächst eine recht geringe Bedeutung auf. So ergaben sich daraus für sie nur wenige Pflichten und diese ließen sich auch relativ leicht umsetzen. Die Hauptinformationspflichten aus der Verordnung kann man auf der eigenen Website, sofern man eine hat, abbilden. Für diejenigen, die keine Website haben, gelten die meisten Informationspflichten aus der Transparenzverordnung nicht; der europäische Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, dass alle Vermittlerinnen und Vermittler eine eigene Website haben. Insgesamt fördert die Verordnung unter der Vermittlerschaft also eher das erste Kennenlernen mit dem komplexen Thema Nachhaltigkeit. Ich bezeichne sie daher regelmäßig als einen „kleinen Gruß aus der Küche“ des europäischen Gesetzgebers in Richtung Vermittlerschaft. Auf die Produktgeber dagegen, also die Versicherer, Banken und Investmentgesellschaften, hat die Verordnung indes einen ungleich höheren Einfluss.

Welche neuen Pflichten ergeben sich aus der Verordnung konkret?

Versicherungsmaklerinnen und -makler sind verpflichtet, den Kundinnen und Kunden bestimmte Informationen zu geben. Das muss, wenn vorhanden, auf der Website des Finanzberaters – so der Vermittleroberbegriff in der Verordnung – erfolgen, und das zudem mit den vorvertraglichen Informationen. Dabei geht es unter anderem um Fragen zur

  • Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei der Vermittlung und Beratung und zur
  • Einbeziehung von nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Anlage- oder Versicherungsberatung.

Klingt kompliziert, aber: Gemeinsam haben der AfW und sein Partnerverband VOTUM praxisnahe und leicht umsetzbare Hinweise und Formulierungsvorschläge zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten entwickelt. Viel wichtiger für den Beratungsalltag sind unterdessen die nach aktuellem Stand ab 02.08.2022 geltenden Änderungen bei IDD und MiFID II …

… Sie sprechen hier die Ergänzung der Vertriebsrichtlinie IDD und der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II hinsichtlich des Themas Nachhaltigkeit an …

Richtig. Damit sind wir dann außerhalb der Pflichten nach der Trans­parenzverordnung. Wirklich neue Beratungspflichten ergeben sich aus diesen sogenannten delegierten Verordnungen des europäischen Gesetzgebers. Beide Verordnungen existieren bereits seit mehreren Jahren und wurden nun um das Thema Nachhaltigkeit erweitert. Vermittlerinnen und Vermittler müssen im Beratungsgespräch ergänzend zum Thema „Nachhaltigkeit“ weitere Aspekte erfragen. IDD und MiFID II sind hier relativ gleichlautend und schreiben vor, dass Vermittlerinnen und Vermittler die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundinnen und Kunden abzufragen und sie zum Thema Nachhaltigkeit zu beraten haben. Dazu kommt noch ein sogenannter Geeignetheitstest, das heißt eine Prüfung des Versicherungs- oder Kapitalanlageprodukts dahingehend, ob es für die Kundin/den Kunden vor dem Hintergrund seiner Präferenzen überhaupt geeignet ist. Wo es dann wirklich spannend wird, ist die Regelmäßigkeit dieser Geeignetheitsprüfung. Nehmen wir als Beispiel eine nachhaltige, fondsgebundene Lebensversicherung: Muss ich als Vermittler jährlich prüfen, ob dieses Produkt noch den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entspricht? Beides – also sowohl das Fondsportfolio als auch die Präferenzen – können sich ja im Laufe der Jahre verändern. Wie geht man dann damit um? Und nicht zuletzt ist darauf zu achten, dass mit einem angeblich nachhaltigen Investment kein „Greenwashing“ betrieben wird sowie die Nachhaltigkeitspräferenzen korrekt dokumentiert werden.

Worin bestehen denn hinsichtlich des Themas Nachhaltigkeit gegenwärtig Schwierigkeiten für das Vermittlungsgeschäft?

Das größte Problem ist, dass Vermittlerinnen und Vermittler noch gar nicht wissen können, was unter Nachhaltigkeit konkret zu verstehen ist. Hier liegt der Ball beim europäischen Gesetzgeber – Stichwort „Taxonomie“. Die Taxonomie verfolgt das Ziel, ein EU-weites Klassifizierungssystem für die Bewertung ökologischer Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten zu etablieren. Bei der Diskussion um Atomstrom und Erdgas sieht man sehr plastisch, wie kompliziert das sein kann und auch wie interessengetrieben hier agiert wird.

Hinzu kommt, dass die EU-Kommission gerade erst entschieden hat, dass die Anwendung der sogenannten technischen Regulierungsstandards (RTS) für die Bestimmung der Nachhaltigkeitsfaktoren vom 01.01.2022 um ein Jahr auf den 01.01.2023 verschoben wird. Für das Vermittlungsgeschäft hat das zur Folge, dass man aufgrund fehlender Standards schwerlich klare, wirklich belastbare Aussagen gegenüber den Kundinnen und Kunden treffen kann. Außerdem hat die fehlende Vorgabe zur Folge, dass auch die Vermittlerschaft dem Vorwurf des „Greenwashing“ ausgesetzt ist. Es gibt einfach derzeit nur sehr wenige Siegel oder am Markt, darunter sicherlich dasjenige des Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG), die ein nachhaltiges Investment wirklich sicherstellen. Wenn zum 02.08.2022 die ergänzenden Beratungspflichten in Kraft treten, wird das Dilemma unmittelbar zutage treten. Ich kann doch nicht Kunden über nachhaltige Geldanlagen beraten, wenn seitens des Gesetzgebers keine klaren Definitionen für nachhaltige Geldanlagen vorgegeben sind. Das ist schlicht nicht machbar. Da müssen alle Beteiligten aufpassen, dass dadurch beim Thema Nachhaltigkeit bei der Vermittlerschaft und deren Kunden nicht das Momentum durch Unklarheit, Überbürokratisierung und pures Zerreden verloren geht. Das wäre bedauerlich.

Das erscheint tatsächlich nicht sinnvoll. Was macht der AfW dagegen?

Wir setzen uns unmittelbar und aktiv dafür ein, dass die neuen Beratungspflichten erst dann kommen, wenn eine rechtssichere Produktempfehlung im Anschluss an die Ermittlung der Nachhaltigkeitspräferenzen erteilt werden kann. Und das ist frühestens der Fall, wenn verbindliche technische Regulierungsstandards vorliegen. Hierfür gehen wir aktiv auf die BaFin und die EU-Kommission zu.

Welche Folgen hätte denn eine Pflichtverletzung wie eine Falschberatung für Vermittlerinnen und Vermittler?

Das ist schwierig einzuschätzen. Wettbewerbsrechtliche Fragen außer Acht gelassen, rücken insbesondere zwei Rechtskreise in den Mittelpunkt: zum einen das Gewerberecht und zum anderen das allgemeine Schadenersatzrecht. Im gewerberechtlichen Sinne können von der IHK-Aufsicht natürlich Bußgelder bis hin zum Entzug der Gewerbeerlaubnis drohen. Das ist aber für mich nur schwer vorstellbar. Im Zivilrecht sprechen wir über Schadenersatz und vor allem über Rückabwicklung von Verträgen, weil der Kunde das Produkt, das nicht seinen Nachhaltigkeitspräferenzen entspricht, nicht erworben hätte, wenn er das von vornherein gewusst hätte. Er müsste dann also so gestellt werden, wie wenn er das konkrete Produkt nicht und stattdessen ein passendes erworben hätte. Die Frage, ob sich dabei ein ganz konkreter materieller Schaden darstellen lässt, ist dann vom Einzelfall abhängig und dürfte schnell recht komplex werden.

Der europäische Gesetzgeber scheint durch die Ergänzungen bei IDD und MiFID II von einer aufgeklärten Bürgerschaft auszugehen. Womöglich wird es Kundschaft geben, die gar nicht weiß, was sie beim Thema Nachhaltigkeit will.

Dieser Fall kann selbstverständlich eintreten. Wenn Nachhaltigkeit für die jeweiligen Kunden partout kein relevantes Thema ist, spielt sie dann im Beratungsgespräch eben keine Rolle. Aber als engagierte und kundenorientierte Vermittlerin muss ich mich bereits vor den Beratungsgesprächen mit nachhaltigen Themen auseinandersetzen, um auch dem unwissenden Kunden die Chancen und Stärken eines solchen Investments aufzeigen zu können. Das sollte das Ziel der Branche sein.

Inwiefern unterstützt der AfW-­Verband die Beraterschaft bei der Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorgaben?

Wir klären auf und nehmen die Vermittlerschaft bei dem Thema an die Hand. Gemeinsam mit dem VOTUM Verband hatten wir für Vermittlerinnen und Vermittler Vorlagen zur Handhabung der Pflichten aus der Transparenzverordnung entwickelt. Wir haben praxisnahe Erläuterungen und Textbausteine erarbeitet, die auf der AfW-Website für alle frei zugänglich zum Download zur Verfügung stehen. Damit können relativ leicht die schon vorhandenen Pflichten, die sich aus der EU-Transparenzverordnung seit März 2021 ergeben haben, umgesetzt werden. Zudem hatten wir Webinare angeboten, die die Vermittlerinnen und Vermittler an das Thema Nachhaltigkeit herangeführt haben. Wichtig war uns dabei auch das Verständnis dafür, dass es beim Thema Nachhaltigkeit nicht nur um das Klima geht, sondern um viele weitere Themen. Das heißt, wir sprechen dabei die Grundlagen der Nachhaltigkeitsdebatte an, also die UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung. Etwas pathetisch ausgedrückt handelt es sich dabei ja um einen globalen Plan zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten – eingeschlossen solche Themen wie Beseitigung von Armut, Hunger und Krieg sowie Förderung von Gesundheit, Bildung und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.

Die Schwierigkeiten haben wir bereits oben thematisiert. Welche Vorteile ergeben sich denn für Finanzberaterinnen und -berater durch die EU-Regulierung?

Zunächst erachten wir als sehr positiv, dass eine Angleichung der gesetzlichen Pflichten sowohl im Versicherungsvermittlungs- als auch im Finanzanlagenvermittlungsbereich beim Thema „Nachhaltigkeit“ stattfindet. Allerdings geben die ergänzten Richtlinien derzeit nur recht pauschal vor, was genau zu beachten ist. Was wir nicht wissen, ist, wie genau das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft abzufragen ist: Ist das in drei Fragen zu machen oder braucht es dafür künftig 30 Fragen oder noch mehr? Wie sieht es dauerhaft mit Atomkraft oder Waffenproduzenten aus? Genügen auch die UN-Nachhaltigkeitskriterien? Die Branche jongliert mit Begrifflichkeiten, die aber wegen der noch unscharfen Taxonomie in vielen Bereichen keine verbindlichen Standards darstellen.

Und wie agiert nun der AfW-Verband in einer solch ungewissen Situation?

Man muss sich abstimmen! Es gibt verschiedene Brancheninitiativen wie das German Sustainability Network (GSN) von V.E.R.S. Leipzig, die Initiative „Nachhaltigkeit in der Lebensversicherung“, das Forum Nachhaltige Geld­anlagen (FNG), den Arbeitskreis „Beratungsprozesse“ oder auch das Deutsche Institut für Normung (DIN), die sich intensiv mit dem Thema befassen und teilweise für sich anstreben, Nachhaltigkeitsaspekte in der Beratung in eine einheitliche und allgemein gültige Form zu gießen. Der AfW ist in all diesen Netzwerken selbstverständlich auch vertreten. Unser Ziel als Verband für Vermittler­innen und Vermittler ist, dass wir möglichst branchenweit einheitliche Standards haben. Allerdings sind hier auch ganz unterschiedliche Partikularinteressen im Spiel, die eine solch wünschenswerte Standardisierung erschweren. Am Ende kommt dann vielleicht auch noch die BaFin mit einem Rundschreiben um die Ecke und stellt alles auf den Kopf, was man sich gerade mühsam erarbeitet hat. Nach heutigem Stand der Dinge kann ich nicht abschätzen, ob und wann die Initiativen gemeinsame und untereinander geteilte Standards anbieten können. Vielleicht wird es das auch gar nicht geben. Aber das wäre ein ärgerlicher Zustand. Die Präsenz der maßgeblichen Maklerpools und Verbünde beim AfW gemeinsam mit der guten Kooperation mit dem VOTUM Verband könnten aber für die Entwicklung einheitlicher Standards oder zumindest von gemeinsamen, klaren Positionen ein Vorteil sein.

Wie bewertet abschließend der AfW-Verband die „neue“ Pflicht, dass Vermittlerinnen und Vermittler in der Beratung Nachhaltigkeitskriterien einfließen lassen müssen?

Wir begrüßen alle Schritte in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Das ist eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, insbesondere auch für die nachfolgenden Generationen. Wir halten insofern auch die Einführung von Beratungspflichten zur Berücksichtigung der Nachhaltigkeitspräferenzen für absolut richtig und notwendig. Zudem ist es aus Sicht des AfW auch eine große Chance, was Neugeschäft und Umsatz betrifft. Diejenigen Vermittlerinnen und Vermittler, die diese Chance bereits ergriffen haben, berichten davon, dass sie mit dem Thema Nachhaltigkeit offene Türen einrennen, insbesondere bei den jüngeren Kundinnen und Kunden!

Ist es tatsächlich Aufgabe von Finanzberaterinnen und -beratern, diesen gesellschaftlichen Wandel mitzu­gestalten?

Unsere Branche kennt das doch bereits: Auch bei der privaten Altersvorsorge übernehmen Beraterinnen und Berater durch Vermittlung entsprechender Produkte eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die vom Gesetz­geber gewollt ist. Ganz ähnlich verhält es sich nun beim Thema „Nachhaltigkeit“. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass die Mitgestaltung des Wandels jetzt auch Aufgabe der Finanzberaterinnen und -berater ist. Gigantische Finanzströme sollen in nachhaltige Bahnen gelenkt werden und da spielen die Beraterinnen und Berater nun eine große Rolle. Ich möchte aber dabei betonen, dass an erster Stelle stets der Anlegerschutz steht und erst dann kommen andere Themen wie Nachhaltigkeit.

Das Interview führte Dr. Alexander Ströhl, AssCompact

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2022, S. 96 ff., und in unserem ePaper.

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Bild: © j-mel – stock.adobe.com

 
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