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4. Mai 2022
„Wir sind irgendwo in der Mitte eines großen Change-Prozesses“

„Wir sind irgendwo in der Mitte eines großen Change-Prozesses“

Das eigene Unternehmen digital und damit zukunftsfähig aufzustellen, bringt für Vermittler zahlreiche Herausforderungen mit sich. An welchen Stellschrauben Makler ansetzen können, darüber sprach AssCompact mit Julie Schellack und Ralph Sanders von MARTENS & PRAHL.

Interview mit Julie Schellack, BDVM-Vizepräsidentin und Partnerin der Holding Martens & Prahl Versicherungskontor GmbH & Co. KG, und Ralph Sanders, IT-Leiter bei Martens & Prahl
Frau Schellack, Herr Sanders, wir wollen über das digitale Maklerbüro reden. Fangen wir im Maklerunternehmen selbst an. Trägt die Digitalisierung heute tatsächlich schon dazu bei, dass Prozesse bei Maklern effizienter laufen?

Julie Schellack Die Prozesse im Maklerbüro sind heute natürlich effizienter als noch vor fünf oder zehn Jahren. Das überrascht kaum, bei all den digitalen Kommunikationsmitteln, die im Arbeitsalltag Einzug gehalten haben. Oder auch mit Blick auf die Möglichkeiten von Videokonferenzen oder dem mobilen Arbeiten. In vielen Maklerunternehmen sind heute digitale Akten, die Nutzung von Maklerportalen und der Datenaustausch über Schnittstellen wie BiPRO fast Normalität.

Ralph Sanders Ja, zum Beispiel durch den einfachen Zugriff auf die Makler-Extranets über die etwas ungeliebte BiPRO-Norm 440. Früher musste der Makler eine Hot­line beim Versicherer anrufen – oft auch mehrfach –, um zu erfahren, ob ein Schaden reguliert ist. Heute kann er mit einem Klick in seinem Maklerverwaltungsprogramm an die entsprechende Stelle im Extranet beim Versicherer abspringen und hat alle dort hinterlegten Informationen. Und das ist keine Zukunftsvision, sondern gelebte Praxis. Zukünftig kann er dann auch noch direkt diese Daten in sein MVP abrufen. Problem ist nur, dass diese Möglichkeiten nicht mit allen Versicherern gleich genutzt werden können – und auch die Einrichtung herausfordernd ist.

Maklerunternehmen sind Mittler und im Zusammenspiel mit mehreren Parteien. Was kann also ein Makler überhaupt selbst tun, um sich digitaler aufzustellen?

JS Wir sind zwar mit Blick auf digitale Prozesse zu einem großen Teil abhängig von den Produkt­gebern. Unabhängig davon kann ein Makler aber auch die eigenen Prozesse unter die Lupe nehmen, optimieren und digitaler gestalten.

RS Und der Makler kann seine Hausaufgaben erledigen in puncto Datenqualität. Nur wenn der Makler seine Versicherungsscheinnummern gepflegt hat, kann er auch erwarten, mit einem Versicherer digital zu kommunizieren. Auch ein zukunftsfähiges Maklerverwaltungsprogramm rechtzeitig einzuführen und korrekt zu bedienen, kann entscheidend zur Digitalisierung beitragen.

Das bedeutet Investitionen. Gibt es hier – vielleicht vom BDVM – Untersuchungen, von welcher Summe man dabei ausgehen muss?

JS Im Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e. V. (BDVM) gibt es eine jährliche Trendabfrage. Nach unserer Umfrage aus 2021 war die Investitionsbereitschaft unverändert hoch. 96,5% der BDVM-Mitgliedsunternehmen haben 2020 im Durchschnitt knapp 11,5% des Umsatzes investiert. In absoluten Zahlen investieren 42% der Mitgliedsunternehmen 10.000 bis 50.000 Euro. Bei 10% der Befragten liegen die Investitionen sogar bei 50.000 bis 100.000 Euro und 10% investierten über 100.000 Euro im Jahr.

Die hohe Investitionsbereitschaft spiegelt sich auch in der Einschätzung zu den aktuell wichtigen Themen wider: Prozessoptimierung und Digitalisierung liegen hier an vorderster Stelle, noch vor Themen wie Vertrieb oder Bestandskauf. Eine Schlüsselrolle liegt nach Einschätzung unserer Mitgliedsunternehmen bei den Bereichen Maklerverwaltungs­programme, digitale Schnittstellen, Datenaustausch und wie oben schon erwähnt BiPRO.

Zu Ihrer Gruppe gehören über 90 Maklerunternehmen. Wie unterschiedlich digital sind diese denn aufgestellt? Wo gibt es Synergien?

JS Die Maklerunternehmen unserer Gruppe sind freie Unternehmer. Diese gelebte Freiheit gilt natürlich auch bei der Digitalisierung. Die Unternehmen sind da unterschiedlich aufgestellt: Sie arbeiten teilweise noch mit Papierakten – wobei das sehr wenige sind –, zumeist aber mit sehr effizienten Prozessen und modernen Lösungen. Hierfür bietet die zentrale IT-Abteilung in der Holding viel Fachwissen und Input.

RS Wir liefern aus der Holding Services, die Synergien innerhalb der MARTENS & PRAHL Gruppe fördern, etwa den GDV-Datenimport als Dienstleistung, die Nutzung unseres Rechenzentrums als digitale Infrastruktur oder den Betrieb eines einheitlichen Kundenportals, der M&P Cloud powered by ASSFINET.

Viele Entscheidungen werden auch schnell „politisch“. Die Anwendung einer Software führt zu möglichen Abhängigkeiten – etwa bei der Nutzung eines Pool- oder gar Versicherer-MVPs. Doch auch bei „eigenen“ Lösungen wächst die Abhängigkeit vom Software­hersteller. Eine Art Teufelskreis?

RS Abhängigkeiten gänzlich zu vermeiden, wird tatsächlich schwieriger. Aber jedes Maklerunternehmen kann sich nach wie vor entscheiden, wie viel Unabhängigkeit es aufgeben möchte. Und oft kostet diese Unabhängigkeit aber sehr viel mehr Kraft in der digitalen Zusammenarbeit mit Versicherungsgesellschaften.

Dann kommen wir zu der Kommunikation und dem Datenaustausch zwischen Maklerunternehmen und Versicherer. Kann man hier von echten Fortschritten sprechen?

RS Ja. Auch wenn wir hier bestimmt noch nicht am Ziel angekommen sind, funktioniert die digitale Zusammenarbeit heute besser als vor zehn Jahren. Wir sind irgendwo in der Mitte eines großen Change-Prozesses, und das führt manchmal zu Recht zu Frust. Es ist leider noch nicht jede BiPRO Norm implementiert, und auch der GDV-Datensatz hat in der Praxis noch seine Daseinsberechtigung.

Wir haben eine Vielzahl von Versicherungsgesellschaften mit heterogenen Softwaresystemen, und eine Vielzahl von Maklerunternehmen, welche ebenfalls komplett heterogen arbeiten, wie bereits angesprochen. Der Weg zu einer voll digitalen Kommunikation ist ein langer Prozess, aber der Makler sollte nicht warten, bis dieses Ziel erreicht ist, sondern sich schon heute mit den digitalen Tools auseinandersetzen, wie zum Beispiel Makler-Extranets oder Dokumentenlieferung über BiPRO. Die digitale Transformation kann schon heute angegangen werden.

Bleiben wir bei den Maklerportalen und Extranets der Versicherer, die ein ewiges Thema sind. Es beginnt schon beim Zugang und bei der Verwaltung von Passwörtern. Es gibt bereits Lösungen hierfür, aber ideal scheinen diese aus Ihrer Sicht noch nicht zu sein?

RS Authentifizierung ist und bleibt ein Thema, das die Anbindung an die Versicherer für den Makler sehr kompliziert gestaltet. Wir sind aktuell in einer Phase, in der gefühlt alle wollen, also Versicherer, Makler, TGIC und easy Login sowie die großen MVP-Hersteller. Aber die technisch perfekte Lösung lässt leider noch auf sich warten. Mit dem Zusammenschluss der TGIC und easy Login stehen die Zeichen für einen einheitlichen SSO-Provider aber sehr gut, sodass wir zuversichtlich sind, dass dieses Thema in Zukunft auch einfacher wird. Wichtig bleibt für uns, dass das Makler­büro sich als technischer Nutzer gegenüber einem Versicherer authentifizieren kann und wir nicht für jeden Mitarbeiter individuelle Logins verwalten müssen. Das Rollen- und Rechtesystem sollte dem MVP überlassen werden – dort gehört es hin.

Was würde denn mit Blick auf die Portale und den Datenaustausch allgemein helfen? Was kann BiPRO leisten?

RS Mehr Versicherer sollten bei der Implementierung von BiPRO-Normen an einem Strang ziehen und zum Beispiel in den Digitalisierungsoffensiven der BiPRO O einheitliche Ziele verfolgen. Nur so erreichen sie dann auch die nötige Durchdringung bei den Maklern. Für einen Versicherer ist es extrem frustrierend, knappe IT-Ressourcen für die Umsetzung einer BiPRO-Norm zu investieren, dann aber keine Nutzer zu finden. Und ein Makler kann auch nicht seine Prozesse umstellen für ein einziges Versicherungsunternehmen – das funktioniert nicht.

JS Daher ist es wichtig, dass sich möglichst viele Marktteilnehmer und im Besonderen auch viele Maklerunternehmen bei der BiPRO einbringen und Initiativen unterstützen, zum Beispiel die laufenden Aktivitäten zum Abrechnungsverkehr.

Gleichermaßen entstehen aus Maklersicht rechtliche Fragen. Zu diesem Zweck haben Branchen­verbände einen Kodex der digitalen Kommunikation erarbeitet. Die Versicherer scheinen darüber nicht so glücklich zu sein. Wie ist hier der Stand der Dinge?

JS Der rechtliche Rahmen für die digitalen Prozesse ist in der Tat unterentwickelt. Insbesondere klare Zugangsregeln, technische Mindestanforderungen oder Regeln zu Sorgfaltspflichten oder rechtskonformen Unterschriften bei der digitalen Kommunikation sind erforderlich. Daher haben die Vermittlerverbände BVK, BDVM, VGA und VOTUM die Initiative ergriffen und zusammen mit einer Fachkanzlei für Vertriebsrecht Entwürfe entwickelt. Dieser Code of Conduct digitale Kommunikation liegt dem GDV seit Längerem vor. Obwohl das grundsätz­liche Problem dort gesehen wird, scheint man aber beim GDV nicht die Möglichkeit eines einheitlichen Handelns zu haben. Aktuell sind die Entwürfe daher an die BiPRO gegeben worden.

Wir hoffen sehr, dass über diesen Weg ein angemessener und vor allem einheitlicher Rahmen gefunden werden kann.

Nun haben wir den Kunden bisher außen vor gelassen. Wie sieht es denn in der digitalen Kommunikation Makler und Kunde aus?

RS Wir haben je nach Kundensegment eine ganz unterschiedliche Durchdringung unserer digitalen Tools. In der Wohnungswirtschaft zum Beispiel arbeiten schon heute viele unserer Kunden in unserem Kundenportal, melden also Schäden „papierlos“ in unsere Systeme. Und auch wir liefern dem Kunden alle Informationen, die er benötigt. Aber auch das passt nicht für jeden Kunden zu seinen Prozessen. Daher arbeiten wir daran, uns mit Intermediären der Wohnungswirtschaft über leistungsfähige Schnittstellen zu verbinden, um zukünftig mit Hausverwalter, Mieter und Handwerkern auf einer Plattform zu kommunizieren.

In Summe lässt sich sagen, dass beispielsweise ein Kundenportal in Ausschreibungen immer häufiger vom Kunden eingefordert wird und dass die Vorstellungen, was ein solches Portal zu leisten hat, immer konkreter werden.

Was könnte sich in der Kundenkommunikation noch verbessern?

RS Wir glauben, dass es dem Kunden bald nicht mehr genügt, sich in ein Portal des Maklers einzuloggen. Er wird vielmehr erwarten, dass seine Schnittstellen bedient werden, und dass der Makler direkt in die Software des Kunden arbeitet bzw. dieser zuarbeitet. Oder dass der Kunde die API des Maklers ansprechen kann. Dies ist der nächste logische Schritt, und Makler sollten sich heute bereits darauf vorbereiten.

Sind Kunden-Apps denn sinnvoll?

JS Auch das kann man nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass Kunden sich die App eines Maklers mit Freude auf ihr Handy installieren. In Spezial­bereichen haben solche Apps aber einen hohen Nutzen. Eine unserer Partnerfirmen setzt beispielsweise für Speditionskunden eine eigene App ein, mit der Fahrer vereinfacht Schäden aufnehmen und melden können. Und das funktioniert auch in Gebieten mit schlechter Netzabdeckung.

Gibt es weitere Tools, die den Makleralltag erleichtern? Oder sind das alles nur Nebensachen?

RS Prozessautomatisierung innerhalb des Maklerbüros ist mehr als nur BiPRO anzuschalten und zu glauben, dass dann alle Prozesse voll automatisiert ablaufen. Ist es noch sinnvoll, mit Tisch-Scannern zu scannen oder besser zentral? Was bedeutet das für meine Arbeitsabläufe? Digitalisierung sollte ganzheitlich im Unternehmen betrachtet werden. Wie arbeite ich heute? Wie möchte ich in drei Jahren arbeiten? Und was muss oder kann ich heute tun, um dieses Ziel zu erreichen?

JS Ja, digitale Themen sollten auf das eigene Unternehmen bezogen und möglichst ganzheitlich und zukunftsbezogen gedacht werden – am besten zusammen mit Spezialisten.

Welche Chancen hat denn eigentlich das digitale Maklerbüro in Zeiten von Big Data oder Ökosystemen, bei denen Versicherer oder auch ganz andere Player aktiv sind?

JS Die Digitalisierung der eigenen Prozesse im Maklerbüro wird bestimmt nicht dazu führen, dass ein einzelner Makler den großen Playern und Datenkraken auf deren Tätigkeitsfeld Konkurrenz macht. Aber wir können von den Entwicklungen lernen, also auf veränderte Erwartungen der Kunden reagieren, effektiver arbeiten und den eigenen Datenschatz heben. Wir Makler sind die unabhängigen Sachwalter und Dienstleister unserer Kunden. Aktuelle Studien belegen, dass gerade der persönliche Service sehr wert­geschätzt wird – eine große Chance für alle Makler, unsere Marktposition durch persönlichen Service und digitale Kompetenz zu behaupten.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 04/2022, S. 92 ff., und in unserem ePaper.

Bild: © IRStone – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Ralph Sanders
Julie Schellack