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27. Oktober 2021
„Wir werden die Pandemie überwinden. Das wird vorbei sein.“

„Wir werden die Pandemie überwinden. Das wird vorbei sein.“

In der Speaker’s Corner des DKM Forum hybrid 2021 hatte Birgit Gräfin von Bentzel die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats zu Gast. Im Interview sprach die Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien, Dr. Alena Buyx, über das Thema der Stunde: die Corona-Pandemie und ihre Folgen.

Bei den meisten Vorträgen auf dem DKM Forum hybrid 2021 handelt es sich um Fachveranstaltungen, die tief in branchenrelevante Themen eintauchen. Ein paar Veranstaltungen wiederum dienen hauptsächlich der Unterhaltung. Und wieder andere treten ein paar Schritte vom Alltäglichen zurück und betrachten die ganz großen Linien unserer Zeit.

Eine derartige Veranstaltung fand am Mittwoch, den 27.10.2021, in der Speaker’s Corner des DKM Forum hybrid 2021 statt. Die Moderatorin Birgit Gräfin von Bentzel hatte die renommierte Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien, Dr. Alena Buyx, zu Gast. Frau Dr. Buyx ist Professorin an der TU München und zugleich die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, dessen Ratschläge sich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie als hochrelevant erwiesen haben. Ungeachtet dessen, dass die Politik nach Einschätzung von Buyx im Laufe der Pandemie gerade einmal in 50% der Fälle entsprechend der Handlungsempfehlungen des Gremiums entschieden habe.

Stand der Impfkampagne

Gefragt nach dem Stand der Impfkampagne, gab Buyx zunächst zu bedenken, dass eine Impfquote von 65%, wie sie aktuell in Deutschland angenommen wird, vor einem Jahr noch eine fantastische Nachricht gewesen wäre. Heute sähe es unter dem Eindruck der Delta-Variante jedoch anders aus. Gerade die Zahl der Ungeimpften in der Altersgruppe 60 plus löse bei der Ethikprofessorin tiefe Besorgnis aus.

Eine allgemeine Impfpflicht, wie sie immer wieder öffentlich diskutiert wird, erachtet Buyx jedoch als hochproblematisch, da die Gefährdung durch das Coronavirus je nach Alter und Vorerkrankungen in der deutschen Bevölkerung sehr unterschiedlich sei und eine Impfpflicht dementsprechend wohl unverhältnismäßig wäre.

Anders schätzt die Ethikprofessorin die Lage bei einzelnen Berufsgruppen ein. Menschen, die in der Langzeitpflege oder im Krankenhaus arbeiteten, hätten berufsbedingt eine besondere Verantwortung. Über eine berufsbezogene Impfpflicht könne dementsprechend debattiert werden. Diese Debatte sei jedoch ergebnisoffen zu führen und zweifellos noch nicht entschieden.

Wie steht es um die Gesellschaft?

„Völlig irre, dass wir nach 1,5 Jahren in einer absoluten Ausnahmesituation noch so gut funktionieren.“ So fasst Buyx den aktuellen Stand der Gesellschaft in der Sondersituation Corona-Pandemie zusammen. Als Menschen passen wir uns zwar schnell an, sagt Buyx, wir hätten es aber versäumt, die Situation auch zu reflektieren.

„Wir hatten alle ein zutiefst verstörendes Erlebnis“, sagt Buyx. Die Lösung für dieses Problem sei eine kollektive Heilung der Gesellschaft. Zwar verfügten wir in Deutschland weiterhin über einen stabile gesellschaftlichen Zusammenhalt, dank dem zwischen 75% und 80% weiterhin sehr solidarisch miteinander umgingen und sich an die Regeln hielten. Die Wahrnehmung sei aber mittlerweile eine andere. Während der Beginn der Pandemie von einem „Wir gegen das Virus“-Gefühl getragen wurde, nähmen die Menschen nun verstärkt eine Polarisierung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wahr. Darüber zeigt sich die Ethikprofessorin besorgt.

Jugend muss in den Fokus genommen werden

Die größten Sorgen macht sich Buyx aber im Hinblick auf die Kinder und Jugendlichen in der Pandemie. Handfeste Daten zeigten, dass gerade die Widerstandsfähigkeit in der jungen Generation mittlerweile Risse aufweise.

Die Jugend hatte sich zu Anfang der Krise als außerordentlich resilient erwiesen. Doch nachdem mittlerweile für mehr und mehr Jugendliche zentrale Momente der Identitätsfindung unwiederbringlich verloren gegangen seien, gelange die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Generation an ihre Grenzen.

Jetzt müsse der Blick laut Buyx dringend auf diese Generation gerichtet werden. Junge Menschen bräuchten nun allen voran Unterstützung, nachdem so lange die vulnerablen Gruppen im Fokus standen und große Teile des gesellschaftlichen Lebens unter Rücksichtnahme auf sie zurückgefahren werden musste.

Jeder Ungeimpfte wird erkranken

Zum Abschluss räumte die Vorsitzende des Ethikrats noch mit einem Missverständnis auf. Ungeimpfte, die sich auch weiterhin nicht impfen lassen möchten, gleichzeitig aber davon ausgingen, nicht zu erkranken, würden sich einer Illusion hingeben. Das Virus werde endemisch werden und jeder, der sich nicht impfen lässt, müsse über kurz oder lang damit rechnen, an Covid zu erkranken.

Gleichzeitig dürfe man jedoch auch nicht mehr auf einen drastischen Anstieg der Impfquote hoffen. Die Abschaffung der kostenlosen Corona-Tests habe lediglich dazu geführt, dass weniger und weniger Menschen sich testen ließen. Eine verstärkte Bereitschaft zur Impfung sei jedoch ausgeblieben – genau wie von zahlreichen Epidemiologen erwartet.

Gleichzeitig sei ein Zurück zu den kostenlosen Tests aus ethischer Perspektive kaum zu begründen. Schließlich werde auf diesem Wege unsolidarisches Verhalten quersubventioniert.

Wir werden diese Pandemie überwinden

Das Gespräch mit der Ethikprofessorin endete jedoch mit einem Hoffnungsschimmer. Gefragt danach, ob wir einfach mit dem Virus leben lernen müssten, antwortete Buyx: „Wir werden gut damit leben. Wir werden diese Pandemie überwinden. Das wird vorbei sein.“ (tku)

Über Prof. Dr. Alena Buyx

Prof. Dr. Alena Buyx ist seit 2018 Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin sowie Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der Medizinischen Fakultät der TU München. Zudem ist sie Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. In diesem Jahr hat sie den Deutschen Nationalpreis für ihren Einsatz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt während der Corona-Pandemie erhalten.