Eine als Fahrdienstleiterin für die Deutsche Bahn tätige Frau leidet unter Einschränkungen ihres Hörvermögens und hat daher mit ihrer Arbeitgeberin schriftlich vereinbart, bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte zu tragen und hierfür vorsorglich auch immer Ersatzbatterien mitführen zu müssen.
Als sie eines Abends ihre Spätschicht absolvierte, fielen ihre Hörgeräte unerwartet aus und sie musste die Batterien wechseln. Um danach neue Ersatzbatterien zu besorgen, machte sie sich am Vormittag des folgenden Tages auf den Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers. Im unmittelbaren Anschluss wollte sie erneut ihre Spätschicht im Stellwerk antreten. Am Bordstein vor dem Geschäft geriet sie ins Straucheln, stürzte und zog sich einen Bruch am Kopf des Oberarmknochens zu.
SG sieht gesetzliche Unfallversicherung in der Pflicht
Das Sozialgericht Potsdam (SG) hatte mit Urteil vom 16.09.2020 entschieden, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf dem Weg bestehe, den die Frau zurücklege, um Ersatzbatterien für ihre Hörgeräte zu besorgen.
LSG: Persönliche Gegenstände sind keine Arbeitsgeräte
Gegen dieses Urteil hat die für die Versicherung der Frau zuständige Unfallkasse jedoch Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) gab der Unfallkasse nun Recht: Persönliche Gegenstände wie Hörgeräte oder Brillen gehören nach Argumentation des LSG grundsätzlich nicht zu den Arbeitsgeräten, deren (Ersatz-)Beschaffung versichert ist. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sie nicht nahezu ausschließlich beruflich genutzt würden. Im konkreten Fall hätten die beigezogenen ärztlichen Unterlagen sowie die eigenen Angaben der Frau ergeben, dass sie zum Unfallzeitpunkt auch privat auf die Benutzung der Hörgeräte angewiesen gewesen sei.
Abreden mit Arbeitgeber dehnen Versicherungsschutz nicht ins Private aus
Auch aus der mit der Arbeitgeberin getroffenen Nebenabrede, wonach die Frau bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und Ersatzbatterien mitführen müsse, lasse sich kein Unfallversicherungsschutz, denn indem er Nebenpflichten begründe, könne der Arbeitgeber den Unfallversicherungsschutz nicht beliebig in den eigentlich privaten Bereich ausdehnen. Es obliege jedem Arbeitnehmer selbst, funktionsfähig zum Dienst zu erscheinen und persönliche Einschränkungen von sich aus soweit wie möglich zu kompensieren, beispielsweise eine im privaten Bereich verordnete Sehhilfe oder eben auch ein Hörgerät zu tragen. Wenn diese Verpflichtung arbeitsvertraglich noch einmal ausdrücklich festgehalten wird, so führt das laut LSG nicht dazu, dass Unfälle, die im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Verpflichtung eintreten, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fallen.
Ersatzbeschaffung hätte auch in der Freizeit erledigt werden können
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Argumentation des LSG zufolge nur dann auf betrieblich veranlasste Vorbereitungshandlungen auszuweiten, wenn diese in einem besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit selbst stünden. Dieser besonders enge Zusammenhang sei im konkreten Fall aber nicht gegeben: Um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sei die Frau nicht darauf angewiesen gewesen, plötzlich und ohne weiteren Verzug Batterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Vielmehr handelte es sich bei dem Kauf der Batterien um die turnusmäßig wiederkehrende Instandhaltung eines Hilfsmittels. Dies hätte sie auch zeitlich flexibel in ihrer Freizeit erledigen oder auch vorausschauend einen Vorrat anlegen können.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das LSG jedoch die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen. (ad)
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.02.2022 – L 3 U 148/20
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