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4. Oktober 2022
bAV: „Abkehr von unserem alten Garantiedenken“

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bAV: „Abkehr von unserem alten Garantiedenken“

Versicherungsmakler sind an sich wandelnde Rahmenbedingungen gewöhnt. Aktuell wird es besonders intensiv. Zwei bAV-Experten geben im Interview mit AssCompact ihre Einschätzungen zu den Treibern und Herausforderungen rund um die Betriebsrente ab.

Interview mit Achim Schmeißer, Geschäftsführer der Pension­Secur GmbH, und Jochen Zierl, bAV-Experte der BSC GmbH
Herr Schmeißer, Herr Zierl, mit Absenkung des Höchstrechnungszinses fokussiert sich das Produktangebot der Versicherer im Bereich der bAV auf die beitragsorientierte Leistungszusage. Wie beurteilen Sie das aktuelle Angebot?

Achim Schmeißer Die beitragsorientierte Leistungszusage scheint auch für mich die geeignetste Form der Zusagegestaltung zu sein. Hinsichtlich der Mindestleistungen hat sich innerhalb der letzten Jahre insbesondere aufgrund des anhaltenden Niedrigzinsumfelds ein Wandel in der Rechtsprechung bzw. Rechtsauffassung ergeben. Eine Garantieverzinsung alter Prägung ist aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr darstellbar. Um eine adäquate Verzinsung in den einzelnen Produktlösungen darzustellen, musste schlichtweg eine Abkehr von unserem alten Garantiedenken vorgenommen werden. Nachdem allerdings in der Assekuranz jahrzehntelang die Garantieverzinsung das zentrale Argument für versicherungsförmige Produktlösungen war, muss sich erst ein Umdenken in unseren Köpfen und denen unserer Kunden manifestieren. Weniger Garantie bedeutet nicht zwingend eine schlechtere Rendite.

Eine Garantie so viel als nötig und so wenig wie möglich scheint mir daher das richtige Maß zu sein – bezogen auf die aktuellen Produkt­lösungen im Bereich der bAV ein Garantie­niveau zwischen 60 und 80%. Im Bereich der privaten Altersversorgung kann das durchaus auch niedriger sein.

Jochen Zierl Aufgrund des dargestellten Sachverhaltes führt auch aus meiner Sicht kein Weg an der beitragsorientierten Leistungszusage vorbei. Über die Höhe des Garantieniveaus kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Garantien kosten Rendite und sind gerade bei längeren Laufzeiten eher kontraproduktiv. Interessant finde ich hier die Berechnungen des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass bei einem Garantieniveau von unter 80% zwar die Renditeerwartung steigt, jedoch sich das einzugehende Risiko überproportional erhöht. Meiner Einschätzung nach wird sich in der bAV die 80%-Marke durchsetzen.

Die Versicherer blicken hinsichtlich Reformen auf die Politik. Sie auch?

AS Letztendlich sind wir natürlich alle von den Entscheidungen der Politik abhängig. Mein Eindruck ist auch, dass bei der Entscheidungsfindung der Politiker leider zu wenig Rücksicht auf den Input durch Versicherer, Arbeitgeberverbände sowie Interessen- und Fachverbände genommen wird. Anders kann ich mir die zum Teil unnötigen und sinnlosen Regelungen und Beschränkungen, insbesondere in den steuerrechtlichen Vorgaben, nicht erklären. Hier fehlt es häufig an klarstellenden gesetzlichen Regelungen sowie einem grundsätzlichen Umdenken. Eine Erweiterung des steuerlichen Dotierungsrahmens in der Direktversicherung auf zum Beispiel 10% der Beitragsbemessungsgrundlage (BBG) Renten oder auch unbegrenzt und Abschaffung der Beitragspflicht zur Krankenversicherung bei Leistungs­bezug würde aus meiner Sicht die Bereitschaft bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu mehr Vorsorge stärken sowie den Verwaltungs- und Beratungsprozess erheblich vereinfachen.

JZ Alles in allem ist und bleibt die Beratung in diesem Bereich ein komplexes Thema. Jedwede Vereinfachung hilft für die Verständlichkeit und die Durchführung. Aufgrund der aktuellen Marktlage steigt aber auch die Bereitschaft der Arbeitgeber, sich mit den Möglichkeiten der betrieblichen Versorgung zu beschäftigen. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Arbeitgeber sehr wohl bereit, über einen nennenswerten Zuschuss zu sprechen, wenn man ihnen die Gesamtsituation sowohl der Mitarbeiter als auch der aufseiten des Arbeitgebers entstehenden Kosten erläutert.

Sind wir auf dem Weg zu einem Obligatorium?

AS Ich hoffe nicht! Die Gestaltung der eigenen Vorsorge sollte immer noch jedem Einzelnen überlassen bleiben.

JZ Und mithilfe der Einführung der digitalen Rentenübersicht aller Rentenbezüge ab 2023 wird mehr Transparenz geschaffen und die Motivation gesteigert, sich dem Thema zu widmen. Die systematische Abgabe der Eigenverantwortung halte ich nicht nur hier für bedenklich.

Worauf liegen Ihr Fokus und Ihr Tätigkeitsbereich?

AS Wir haben uns seit Jahren auf die Gestaltung und Finanzierung individualrechtlicher Zusagen für Führungskräfte und Gesellschafter-Geschäftsführer sowie kollektivrechtlicher Versorgungszusagen für kleine und mittelständische Unternehmen spezialisiert und kooperieren hier mit spezialisierten Steuerberatern sowie Anwälten.

Welche Erfahrungen machen Sie dabei aktuell?

AS Insbesondere bei der Gestaltung und Neuordnung von Versorgungszusagen an Gesellschafter-Geschäftsführer, zum Beispiel im Zuge eines angedachten Unternehmensverkaufs oder fehlender Finanzierbarkeit der Zusagen, spüren wir viel Ratlosigkeit, sowohl bei unseren Kunden als auch bei deren steuerlichen Beratern. Neben den hohen fachlichen Anforderungen hat dies insbesondere auch mit fehlenden klarstellenden Regelungen seitens der Finanzverwaltung zu tun. Eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der vorgenommenen Umstellung kann daher oftmals nicht zu 100% ausgeschlossen werden.

 
Ein Interview mit
Jochen Zierl
Achim Schmeißer