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29. September 2021
BU: Was ist mit vermeintlich temporären Beschwerden?
Hand holding a paper sheet with human head icon broken into pieces over a crowded street background. Concept of memory loss and dementia disease. Alzheimer's losing brain and memory function.

BU: Was ist mit vermeintlich temporären Beschwerden?

Müssen bei Abschluss einer BU auch vermeintlich vorübergehende Beschwerden angegeben werden? Dazu hatte nun das LG Nürnberg-Fürth eine Entscheidung zu treffen. Im konkreten Fall waren verschiedene Beschwerden einer Versicherten nicht bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen angegeben worden.

Wann ist die Beantwortung von Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit dem Abschluss einer selbstständigen BU vollständig und wahrheitsgemäß? Diese Frage beschäftigt deutsche Zivilgerichte immer wieder. Kein Wunder. Immerhin gehen Versicherungsgesellschaften insbesondere bei jüngeren Versicherten – die ihr Erwerbsleben noch vor sich haben – hohe Leistungsverpflichtungen ein, wenn sie einen BU-Anspruch anerkennen.

Versicherer stellt seine Einstandspflicht infrage

Im Falle einer Frau, die aufgrund eines Verkehrsunfalls schwere Verletzungen erlitten hatte und schließlich berufsunfähig geworden war, zweifelte der BU-Versicherer diese wahrheitsgemäße und vollständige Beantwortung der Gesundheitsfragen an und verweigerte die Leistung.

Mit 17 Jahren BU abgeschlossen

Die Frau hatte im Alter von 17 Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter nach Vermittlung durch eine Finanzberaterin einen Antrag auf Abschluss einer selbstständigen BU unterzeichnet. In dem Versicherungsantrag waren verschiedene Fragen unter der Überschrift „Angaben zum Gesundheitszustand“ gestellt worden. Bei diesen hatten Mutter und Tochter sämtlich „nein“ angekreuzt. Unter anderem wurden Fragen zu Krankheiten, Beschwerden oder Funktionsstörungen bei inneren Organen, im Bereich des Nervensystems, der Gelenke sowie der Wirbelsäule, der Augen und der Psyche gestellt.

Versicherer klärt über Folgen der Anzeigepflichtverletzung auf

Ebenso wurde nach Behandlungen der Tochter innerhalb der letzten fünf Jahre vor Abschluss des Versicherungsvertrages sowie nach Krankenhausaufenthalten gefragt. Der Versicherungsantrag enthielt darüber hinaus die Belehrung, dass auch solche Umstände anzugeben seien, denen der Versicherungsnehmer nur geringe Bedeutung beimesse. Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht der Versicherer den Vertrag beenden könne.

Frau wird nach Verkehrsunfall berufsunfähig

Sieben Jahre nach Abschluss der BU erlitt die mittlerweile erwachsene Frau einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. Infolgedessen machte sie Leistungen aus ihrer BU-Police geltend. Der Versicherer hingegen  erklärte in der Folgezeit gegenüber der Frau den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Die Versicherungsgesellschaft begründete diesen Schritt damit, dass die Frau unzutreffende Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht habe.

Versicherte verlangt gerichtliche Klärung

Die Verunfallte wollte sich damit nicht zufriedengeben und klagte gegen den Versicherer. Unter anderem verlangte die Frau die Zahlung von 27.000 Euro als Berufsunfähigkeitsrente für die bisher verstrichene Zeit seit dem Unfall und die gerichtliche Feststellung, dass sie auch künftig einen Anspruch auf monatliche Rente habe.

Versicherer ist wirksam vom Vertrag zurückgetreten

Mit der Klage scheiterte die Frau vor dem Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth. Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass das beklagte Versicherungsunternehmen wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten sei. Die Klägerin habe arglistig ihre vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt. Ein Versicherungsnehmer müsse vor Abschluss des Versicherungsvertrages sowohl die Tatsachen angeben, welche für den Vertragsschluss als solchen, aber auch für den Umfang der vertraglichen Leistungen bedeutsam seien. Letztlich hänge die Entscheidung über die Einstandspflicht jedoch davon ab, ob der Versicherer bei Kenntnis der Umstände Veranlassung gehabt hätte, den Vertrag entweder nicht oder anders abzuschließen.

Verschiedene Beschwerden bewusst verschwiegen

Das Gericht war davon überzeugt, dass die Klägerin die Gesundheitsfragen, die von der Vermittlerin einzeln durchgegangen worden seien, nicht korrekt beantwortet habe. Die Klägerin habe sowohl orthopädische als auch psychische Beschwerden nicht angegeben, wegen derer sie in Behandlung gewesen war. Das Gericht war darüber hinaus auch davon überzeugt, dass die Klägerin ihre gesundheitlichen Beschwerden bewusst verschwiegen habe, da sie eine Fülle von Einzelbeschwerden nicht offengelegt hatte.

Behandlung wegen Migräne nicht angegeben

Einen weiteren Hinweis darauf, dass die Frau und ihre Mutter relevante Beschwerden bewusst verschwiegen haben, sah das Gericht darin, dass die damals noch Minderjährige nur wenige Tage vor Abschluss des Versicherungsvertrages wegen Migräne gleich zweimal bei einem Arzt gewesen war. Nach Migräne war im Antrag jedoch ebenfalls ausdrücklich gefragt worden.

Auch temporäre Beeinträchtigungen müssen angegeben werden

Soweit die Klägerin behauptete, dass sie beispielsweise die orthopädischen Leiden nicht angegeben habe, da diese „wachstums-“ bzw. „pubertätsbedingt“ gewesen seien, verlange die Rechtsprechung nach Überzeugung des Gerichts, dass auch solche Beeinträchtigungen bei Abschluss eines Versicherungsvertrages angegeben werden müssen. Nachdem die Versicherungsgesellschaft die Klägerin auch ausdrücklich über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung belehrt hatte, war das Unternehmen nach Ansicht des LG wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten, sodass die Klägerin daraus keine Leistungen beanspruchen könne. (tku)

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 16.07.2021 – 11 O 4279/20

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