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15. Juni 2020
Covid-19-Gesetz: Versicherungsnehmer dürfen Prämien verweigern

Covid-19-Gesetz: Versicherungsnehmer dürfen Prämien verweigern

Das von der Politik in Rekordzeit verabschiedete Gesetzespaket zur Abmilderung der Pandemiefolgen enthält auch ein zeitlich beschränktes Leistungsverweigerungsrecht für Versicherungsnehmer, die nicht in der Lage sind, ihre Prämien weiter zu zahlen. Worum es sich bei diesem weithin unbekannten Recht handelt, erklärt die Rechtsanwältin Francesca Visnovic von der Kanzlei Wolter Hoppenberg.

Die Corona-Krise ist nicht nur eine gesundheitliche Krise, sondern vermehrt auch eine finanzielle. Die Wirtschaft spürt bereits deutlich die Folgen des angeordneten „Shutdowns“. Die Maßnahmen, die die Politik getroffen hat, um das Infektionsrisiko einzudämmen, führten zu Kurzarbeit oder gar einem gänzlich fehlenden Einkommen, weil etwa der eigene Betrieb geschlossen worden ist. Dies sorgt dafür, dass etliche Verbraucher wie Unternehmer vor der täglichen Herausforderung stehen, wie die fälligen Rechnungen gleichwohl bezahlt werden sollen.

Gesetzesvorhaben in Rekordzeit umgesetzt

Die Politik hat diese Herausforderung erkannt und hierzu in Rekordzeit ein Gesetzespaket zusammengeschnürt. Mit dem „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 25.03.2020, das am 01.04.2020 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber umfassende Änderungen im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vorgenommen, um die wirtschaftlichen Folgen, die aus der Corona-Krise resultieren, abzumildern. Hierfür hat er für verschiedene Bereiche wie etwa das Miet- und Darlehensrecht Sonderleistungs­störungsrechte geschaffen. Für Versicherungsnehmer und damit für den Versicherungsvertrieb ist mit der Schaffung des Art. 240 § 1 EGBGB und dem darin enthaltenen Moratorium Folgendes von besonderer Relevanz: Unter gewissen Voraussetzungen können Versicherungsnehmer nunmehr ihre Versicherungsprämien aussetzen, wenn sie aufgrund der Corona-Pandemie wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, diese zu leisten.

Leistungsverweigerung gilt für Pflichtversicherungen

Hat ein Verbraucher oder ein Kleinstunternehmer, also ein Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 2 Mio. Euro, vor dem 08.03.2020 einen Versicherungsvertrag geschlossen und handelt es sich hierbei um eine gesetzlich vorgesehene Versicherung, also eine sog. Pflichtversicherung, so steht diesen Versicherungsnehmern ein zeitlich begrenztes Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn sie ihren Verpflichtungen aus diesem Dauerschuldverhältnis aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht mehr nachkommen können, ohne dass des Verbrauchers angemessener Lebensunterhalt oder der von Unterhaltsberechtigten in Gefahr wäre oder bei einem Kleinstunternehmen die Leistung nicht mehr erbracht werden könnte oder die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs gefährdet wäre.

Pflichtversicherungen sind allgemeine Daseinsvorsorge

Das Gesetz gewährt in Art. 240 § 1 Abs. 1 und Abs. 2 EGBGB ein Leistungsverweigerungsrecht nur bei wesentlichen Dauerschuldverhältnissen, worunter all diejenigen Schuldverhältnisse zählen, die zur Eindeckung mit Leistungen der „angemessenen Daseinsvorsorge“ erforderlich sind. Hierunter sind etwa Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste sowie Verträge über die Wasserver- und -entsorgung zu fassen. Häufig wird dabei übersehen, dass hierunter auch eine Vielzahl von Versicherungsverträgen begrifflich zu fassen ist. Der Gesetzgeber versteht unter dem Begriff der allgemeinen Daseinsvorsorge ausweislich der Gesetzesbegründung auch Pflichtversicherungsverträge. Dies gilt für Pflichtversicherungsverträge sowohl von Verbrauchern als auch von Kleinstunternehmern.

Kfz, Haftpflicht, KV

Damit können Zahlungen der Versicherungsprämien beispielsweise für Kfz-Haftpflichtversicherungen, Krankenversicherungen oder Berufs- oder –Betriebshaftpflichtversicherungen verweigert werden, sofern es sich für den Versicherungsnehmer hierbei um eine Pflichtversicherung handelt. Auch Prämien der substitutiven Krankenversicherung fallen hierunter. Ob dies auch für andere Versicherungen gilt, bei denen es sich zwar nicht um Pflichtversicherungen handelt, aber für die Versicherungsnehmer von existenzieller Bedeutung sind, ist bislang nicht abschließend geklärt.

„Einrede“ ist verpflichtend

Wichtig ist, dass das Leistungsverweigerungsrecht einredeweise geltend gemacht werden muss. Dies bedeutet, dass sich der Versicherungsnehmer als Schuldner der Leistung ausdrücklich auf dieses Leistungsverweigerungsrecht berufen und grundsätzlich auch belegen muss, dass er wegen der Covid-19-Pandemie nicht leisten kann.

Forderungen zeitweise nicht durchsetzbar

Durch das Leistungsverweigerungsrecht wird die Vollstreckbarkeit der vereinbarten Leistung gehindert und damit auch die Entstehung von Sekundäransprüchen, die an die Nichterbringung von Leistungspflichten geknüpft sind. Verzug, Schadens- und Aufwendungsersatz oder die Möglichkeit eines Rücktritts bestehen also gerade nicht. Ein Kündigungsrecht, das dem Versicherer nach Prämienverzug gem. § 38 VVG zusteht, erwächst aus der Geltendmachung der Einrede also nicht. Es bleibt vielmehr bei der grundsätzlichen Leistungspflicht, die spätestens nach Ablauf des 30. Juni 2020 oder aber bei erneuter Zahlungsfähigkeit zu erfüllen ist. Die Ansprüche entfallen demnach nicht, es wird jedoch die Durchsetzbarkeit der Forderung gehindert. Dadurch soll den Verbrauchern und Kleinstunternehmern die Möglichkeit verschafft werden, diese Prämien für den genannten Zeitraum auszusetzen, um in der Krisenzeit einen größeren finanziellen Spielraum zu haben. Hier ist zu beachten, dass der Gesetzgeber berücksichtigt hat, dass der Zeitraum der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie möglicherweise über den 30.06.2020 hinausgehen könnte und damit eine mögliche Verlängerung der Maßnahme bereits in Aussicht gestellt hat. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber angesichts der nun gewährten Lockerungen weiterhin davon ausgeht, dass die finanzielle Lage der Verbraucher und Kleinstunternehmer so gefährdet ist, dass ihnen ein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht über einen längeren Zeitraum zugestanden werden soll.

Ausschluss Unzumutbarkeit

Um auch die Gläubiger zu schützen, kann sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht dann nicht berufen, wenn dies zu gleichen Ergebnissen beim Gläubiger führen würde, die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts also für diesen unzumutbar wäre, Art. 240 § 1 Abs. 3 EGBGB. Dies ist anzunehmen, wenn der Gläubiger der Prämie selbst durch die Nichtzahlung ebenfalls in eine finanzielle Notlage gerät. In diesem Fall sieht das Gesetz jedoch vor, dass dem Schuldner dann ein Kündigungsrecht zusteht. Bei der Leistungsverweigerung einer Pflichtversicherungsprämie ist jedoch eine solche Situation nicht zu erwarten. Die Annahme einer Unzumutbarkeit für ein Versicherungsunternehmen als Gläubiger der Leistung wegen einer möglichen Gefährdung des Erwerbsbetriebs ist bislang jedenfalls sehr unwahrscheinlich.

Gesprächsanlass für Vermittler

In der Praxis sollten Vermittler die Möglichkeit der Einrede mit den Kunden erörtern. Dies gilt umso mehr, falls Anzeichen dafür bestehen, dass sie durch die Corona-Krise an die Grenzen ihrer finanziellen Kapazität gelangen. Hierbei ist aus Vertriebssicht insbesondere zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Pflichtversicherungen existiert, viele Versicherungsnehmer aber entweder keine Kenntnis von dem neu geschaffenen Leistungsverweigerungsrecht haben oder davon, dass sich dieses auf Pflichtversicherungen bezieht.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 06/2020 und in unserem ePaper.

Bild: © Nuthawut – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Francesca Visnovic