Ein Artikel von Dr. Christopher Lohmann, Geschäftsführer The Mulberry Ventures und CIO Eye Security
Beim Symposium des Gesamtverbandes der versicherungsnehmenden Wirtschaft im September nahm Thomas Buberl, CEO der AXA-Gruppe, die Versicherungswirtschaft in die Pflicht. Wolle die Branche relevant bleiben, müsse sie sich viel stärker als bisher auf die Verhinderung von Schäden fokussieren. Prävention sei der Zug der Zeit. Besonders in der Cyberversicherung sah Buberl Potenzial und Handlungsbedarf und kündigte für sein Haus an, mit Partnern nach Lösungen zur Schadenvermeidung zu suchen.
Cyberversicherer unter Zugzwang
Schaut man auf die aktuelle Entwicklung des Marktes für Cyberversicherung, liegt der Schluss nahe, die Rede des AXA-Chefs im September 2024 sei ein Weckruf gewesen. Zahlreiche Versicherer kündigen Kooperationen an und erweitern ihre Angebote in der Cyberversicherung um präventive Elemente.
- Buberls AXA XL arbeitet künftig mit dem amerikanischen Cyberdienstleister Darkweb IQ zusammen, der im Internet die Lieferwege von Cyberkriminellen überwacht, um vor Angriffen zu warnen.
- Chubb hat mit Cyber Stack ein kostenloses Angebot für Unternehmen geschaffen, das Schwachstellen-Scans und Awareness-Trainings vorsieht.
- 2024 meldete Beazley, ein eigenes Team an Security-Experten aufzubauen, um Risikotransfer und Risikoschutz zu ergänzen.
- Allianz und Mitsui unterstützen mit Kapital und Kapazitäten Coalition, den nach eigenen Angaben größten US-Cyber-Assekuradeur. Er scannt Unternehmen auf Schwachstellen.
Die Beispiele zeigen: Der Markt für Cyberschutz verändert sich dynamisch. Immer mehr Versicherer ergänzen traditionelle Cyberpolicen um Maßnahmen zur Prävention. Mit Beazley (weltweit Nr. 1), Chubb (Nr. 2) und AXA XL (Nr. 4) treiben dabei drei der laut Insureamore-Ranking größten Cyberversicherer die Entwicklung. Auch die MunichRe als Nr. 3 hat sich aufgemacht – mit eigenen Kapazitäten für Assekuradeure (etwa die Howden-Tochter Dual) oder ihrer Tochter ERGO (Baobab).
Tech-Assekuradeure mischen den Markt auf
Insbesondere der Erfolg neuer, technologiegetriebener Assekuradeure hat die Branche wachgerüttelt. Junge Anbieter wie Corvus, Stoik, Baobab oder At-Bay setzen wie US-Marktführer Coalition auf datengetriebene Risikoanalysen. Zum Einsatz kommen dabei Surface-Scans, die in unterschiedlicher Intensität und Qualität Unternehmen von außen analysieren und so eine schnelle Einschätzung der IT-Sicherheitslage ermöglichen.
Die Scans ersetzen Teile der aufwendigen Fragebögen, die in der Cyberversicherung zur Einschätzung der IT-Security eingesetzt werden. Technologie senkt so nicht nur die Eintrittshürde zur Cyberversicherung für Makler und Kunden, die Scan-Ergebnisse werden auch zur datenbasierten Bewertung der Risiken im Underwriting eingesetzt, bei Entscheidungen über Deckung, Konditionen und Ausschlüsse. Einige Anbieter nutzen die Analyse darüber hinaus, um ihren Kunden Wege zur Verbesserung ihrer Sicherheit aufzuzeigen.
Die Anbieter Dual und Eye Security gehen in der Bedrohungsabwehr noch weiter. Sie setzen auf den Schutz ihrer Kunden durch Security Operating Center (SOC). Bei dieser Lösung werden die IT-Systeme der Kunden unter Einsatz von Security-Software und Experten rund um die Uhr überwacht, um im Falle eines Angriffs sofort reagieren zu können. Mit Verweis auf ihre Wirksamkeit wird die Lösung von Insidern als „Iron Dome“ der Cyberabwehr bezeichnet. Während Dual eine SOC-Lösung mit einem Partner optional anbietet, gibt es die günstige Cyberversicherung von Eye Security nur, wenn ein Kunde durch Eye Cyber Guard, die SOC-Lösung von Eye Security, geschützt wird. Das Unternehmen wurde von ehemaligen Mitarbeitern der niederländischen Cyber-Geheimdiensteinheit gegründet und will den Mittelstand in Europa mit einem günstigen, weil skalierbaren SOC schützen. Für Restrisiken gibt es die Versicherung.
Kombination aus Versicherung und Service als Erfolgsmodell
Keine Frage, die Cyberversicherung ändert sich dynamisch. Dabei ist die Verknüpfung von Risikotransfer und präventiver Dienstleistung in der Cyberversicherung keineswegs neu: Als vor zehn Jahren die ersten Cyberpolicen auf den Markt kamen, umfassten sie neben dem Risikotransfer ein breites Spektrum an Services über Kooperationspartner – für Incident Response, Forensik, Rechtsberatung oder Krisenkommunikation. Mit ihrem Fokus auf Prävention und der festen Verdrahtung von Services und Versicherung gehen die neuen Angebote allerdings weit über diese Anfänge hinaus.
Angesichts der wachsenden Cyberbedrohung ist das gut so. Aktuelle Studien belegen eine alarmierende Zunahme von Cyberangriffen auf deutsche Unternehmen. Laut der Bitkom-Studie „Wirtschaftsschutz 2024“ waren 74% der Unternehmen von Datendiebstahl betroffen, der Gesamtschaden durch Cyberkriminalität erreichte 178,6 Mrd. Euro. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) beschreibt die IT-Sicherheitslage in Deutschland als „besorgniserregend“ und weist auf die zunehmende Professionalisierung und Aggressivität cyberkrimineller Akteure hin.
Ransomware-Attacken, Datendiebstahl und Systemausfälle bedrohen Unternehmen aller Größen. Die Frage ist daher nicht, ob ein Unternehmen angegriffen wird, sondern wann. Präventive Maßnahmen sind entscheidend, um Schadenfälle zu minimieren – und damit auch die Kosten für Versicherer und Kunden. Angesichts der geopolitischen Polarisierung wird sich dieser Trend weiter verstärken.
Die Rolle der Makler: Sind sie bereit für Cyber 2.0?
Die erweiterten Versicherungsangebote zum Cyberschutz sind nicht nur eine Antwort auf diese Entwicklung. Sie erfordern auch neue Qualität und Kompetenz in der Beratung. Sind Vertriebe darauf vorbereitet? Sind sie also in der Lage, auch technisch anspruchsvolle Lösungen zu bewerten, um ihren Kunden wirklich „best advice“ zu geben? Angesichts der neuen Lösungen sowie der Bedrohungslage reicht es nicht mehr, sich auf die einfachsten Lösungen oder Partner und Konzepte zu verlassen, die man schon lange kennt.
Viele Makler werden den Anforderungen gerecht – oder werden sich entwickeln. Ein Blick zurück gibt Grund für Optimismus. Noch vor zehn Jahren hatten die allermeisten Makler keine Cyberexpertise. Während sie – überspitzt – mit jedem Feuerwehrmann ihrer Kunden auf Du und Du waren, war der IT-Leiter völlig unbekannt. Das hat sich geändert. Heute gibt es Vermittler, die sich detailliert mit IT-Sicherheitsrisiken auseinandersetzen und Kunden fundierte Lösungen dafür aufzeigen können. Erfolgreiche Cybermakler haben Experten eingestellt und eigene Analyseansätze entwickelt. Andere binden die Expertise von Plattformen wie Cyberdirekt, Finlex oder Howden in ihre Vertriebsprozesse ein.
Richtig ist aber auch: Diese Transformation ist bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Sehr viele Makler stehen erst am Anfang der Entwicklung hin zu einer fundierten Beratung ihrer Kunden beim Schutz vor Cybergefahren. Sie müssen investieren in Expertise, und sie müssen ihren Vertrieblern die Angst nehmen, das Thema Cyber beim Kunden anzusprechen. In vielen, auch großen Häusern bleibt viel zu tun.
Eines ist dabei klar: Wenn Makler sich des Schutzes gegen Cyberrisiken ihrer Kunden nicht angemessen annehmen, werden andere die Lücke füllen. IT-Systemhäuser etwa genießen bei Unternehmen Vertrauen in IT- und Cyberfragen. Warum sollten sie nicht auch Versicherungen ansprechen? Genau hier, am Point of Sale, droht jener Bedeutungsverlust, vor dem Thomas Buberl gewarnt hat. Die Versicherungsbranche muss sich dieser Herausforderung stellen, will sie für eines der größten Risiken ihrer Kunden als relevanter und kompetenter Risikomanager wahrgenommen werden.
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Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 05/2025 und in unserem ePaper.

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