Interview mit Oliver Brüß, Vorstand Vertrieb des Gothaer Konzerns
Herr Brüß, welche digitalen Services sollten Versicherer mittlerweile in der Zusammenarbeit mit Maklern anbieten?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Unsere Vertriebspartner – Makler, Vertriebe, Pools, Vergleicher, Banken und andere Kooperationspartner – haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse.
Mit Blick auf Maklerverwaltungsprogramme sollte es gängig sein, dass die TAA-Prozesse – Tarifierung, Angebot und Antrag – zur Verfügung stehen. Dann geht es aber weiter zur Bereitstellung von Kundendaten und Informationen oder auch zur Abrechnung über digitale Schnittstellen. Das sind alles Dinge, die man liefern sollte, wenn man im Maklerbereich mitspielen will.
Allen Anforderungen gerecht zu werden, geht also gar nicht?
Aufgrund der Heterogenität der Anforderungen ist das sehr schwierig. Aber mit den BiPRO-Normen sind sehr sinnvolle Standards gesetzt worden und bei deren Umsetzung sind wir führend. Darauf konzentrieren wir uns, das ist für uns der Schlüssel für den zukünftigen Erfolg.
Wer gibt die Richtung vor?
Die Vertriebspartner. Auch wenn wir nicht alle Anforderungen gleichzeitig erfüllen können, liegt der Fokus bei ihnen. Wir sprechen regelmäßig miteinander und ich glaube, wir als Gothaer sind hier ein Stück weit vor der Welle und können da mehr als andere.
Vor Kurzem haben Sie eine weitere BiPRO-Norm umgesetzt. Worum geht es da?
Wir haben einen wichtigen Meilenstein erreicht und die 430er.4UC-Norm umgesetzt. Es geht dabei um die tagesaktuellen Kunden- und Vertragsdaten und die Bereitstellung der zugehörigen Dokumente. Wenn ein Vertriebspartner tagesaktuell beraten will, braucht er die entsprechenden Informationen. Wir sind jetzt in der Lage, schnell, umfassend und tagesaktuell Bestandsinformationen zu liefern.
Sie sagen, Sie bewegen sich vor der Welle. Ziehen noch zu wenige Versicherer mit?
Die Umsetzungsreife in den einzelnen Versicherungsunternehmen ist schon unterschiedlich. Aber es ist für die Branche auch kein leichtes Unterfangen. Die Komplexität ist hoch, bei der Gothaer müssen die Normen zum Beispiel gleich in drei Sparten umgesetzt und abgebildet werden.
Als Vertriebsvorstand müssten Sie ein Interesse daran haben, dass alles schneller geht. Sind Sie Treiber der Geschehnisse?
Es ist immer ein Zusammenspiel mehrerer Beteiligter. Wir sehen uns aber im Vertriebsressort schon als Treiber und Ersteller der Roadmap: Welche Sparten setzen wir um? Welche Normen setzen wir um? Und wir priorisieren das auch gemeinsam mit unseren Vertriebspartnern. Mit dieser Maßgabe arbeiten wir sehr agil und konzentrieren uns auf den höchsten Nutzen für alle Beteiligten.
Wird das Engagement auch belohnt? Etwa in Abschlüssen?
Das ist schwer zu sagen. Eindeutig zu erkennen ist aber, dass Vertriebspartner dieses Engagement erwarten. Alle haben erkannt, wie wichtig digitale Prozesse sind. Das Produkt ist zunehmend Hygienefaktor. Ein weiteres Leistungsmerkmal im Produkt ist heute weniger bedeutungsvoll als ein funktionierender digitaler Prozess. Die Produktqualität ist insgesamt schon sehr hoch, entscheidend ist immer stärker der Prozess.
Sie haben nun Ihr Maklerportal überarbeitet. Auch ein Wunsch von Vertriebspartnern?
Unser Maklerportal war in die Jahre gekommen. Das betraf das Design, die Usability, aber auch verschiedene Anwendungen. Da gab es Handlungsbedarf. Unser Ziel ist es, unseren Vertriebspartnern die Zusammenarbeit leichter zu machen. Maklerinnen und Makler, aber auch andere Vertriebspartner können das Portal jetzt an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen und so schneller an Informationen kommen, die für sie relevant sind. Wir sehen, dass solche Portale immer noch eine sehr große Bedeutung haben. Wir haben im Schnitt im Monat um die 35.000 Aufrufe.
Was meinen Sie mit „noch“?
Wir stellen fest, dass die Daten nicht über das MVP kommen, sondern viele Vertriebspartner direkt auf die Seiten der Versicherer gehen. Die Aufrufe bleiben relativ stabil. Und wir denken, dass die Aufrufe durch das intuitivere, personalisierbare Portal, das wir jetzt gebaut haben, eher noch steigen werden.
Die Aussage überrascht, eigentlich fordern Makler gerne einen einheitlichen Zugang zu mehreren Versicherern.
Letztendlich entscheidet dies der Vertriebspartner. Natürlich könnte man sagen, eine einheitliche Lösung mit mehr Normen und Standards wäre für alle besser. Für die Versicherer ist das ein Wettbewerb, den man nicht unbedingt haben müsste, weil es ein teures Spiel ist. Aber die Realität ist, wie sie ist. Der Markt ist heterogen, das Angebot von MVPs, von Pools oder von Vertrieben ist bunt. Und auch das führt dazu, dass Vertriebspartner sich entschließen, weiter den direkten Weg zum Versicherer zu suchen.
Wir arbeiten deshalb weiter an diesen Themen, aber die Gothaer unterstützt eben auch die Felder Normung und Vereinheitlichung. Mir persönlich ist das sehr wichtig, weil es die Voraussetzung dafür ist, dass die Digitalisierung der Branche zum Erfolg wird.
Welche nächsten Schritte plant dann die Gothaer?
Im neuen PartnerPortal ist schon einiges drin, was wir uns vorgenommen haben. Wir werden sukzessive und am Bedarf unserer Vertriebspartner die Services weiter ausbauen. Mit Blick auf das Portal sind wir zunächst noch auf das Feedback gespannt.
BiPRO bleibt des Weiteren Priorität auf unserer Roadmap. Wir werden im nächsten Jahr dann weitere Normen umsetzen. Im Bereich der 430er.4UC-Norm stehen die Themen Gewerbe und Kfz ganz oben auf der Agenda. Auch da werden wir tagaktuelle Bestands- und Ereignisdaten plus Dokumente zur Verfügung stellen.
Ein wichtiges Thema ist für uns auch die digitale Risikoprüfung. Ich bin sicher, dass wir da in den nächsten Jahren noch weitere Schritte in der Branche sehen.
Sie sind langjähriger Vertriebsvorstand. Hätten Sie irgendwann mal gedacht, dass Sie sich mit Digitalisierung auseinandersetzen müssen?
Ja, wenn Sie mich so fragen, hat die Digitalisierung große Auswirkungen auf meinen Job. Digitalisierung und Database-Marketing waren mir aber eigentlich seit Beginn meiner Tätigkeit immer wichtig. Ich glaube, das erste Digitalisierungsprojekt hatte ich Mitte der 1990er. Ich beschäftige mich also schon sehr lange mit diesen Themen.
Die Digitalisierung hat aber stark an Bedeutung gewonnen. Wir reden immer noch über Vertrieb, aber eben über digitale Prozesse im Vertrieb oder für den Vertrieb. Der entscheidende Faktor ist, wie weit man in der Lage ist, sich auf die Geschäftsprozesswelt des Partners einzustellen und dort auch die Daten bereitzustellen.
Wo wir beim Stichwort „Daten“ sind: Wir werden künftig alle mehr aus Daten lernen müssen, um Services besser machen zu können. Aus diesen Daten zu lernen, das ist natürlich im Vertrieb elementar.
Die Corona-Pandemie gilt als Beschleuniger in der Digitalisierung. Verändert die Pandemie Ihre Pläne?
Anfangs hat die Pandemie unsere Pläne massiv beeinflusst, insbesondere in der eigenen Organisation. Im Maklerbereich lief die Umsetzung der digitalen Prozesse aber natürlich schon weit vorher an.
Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass Digitalisierung allein nicht die Zukunft sein wird. Die persönliche Beratung hat in den letzten Monaten noch einmal massiv an Bedeutung gewonnen. Insbesondere dort, wo es um komplexere Absicherungssysteme geht. Die Menschen sind dankbar, einen physischen Ansprechpartner zu haben. Kundinnen und Kunden wollen auch nicht den ganzen Tag am Bildschirm sitzen, sie wünschen sich den Kontakt mit echten Menschen und menschliche Kompetenz.
Die Pandemie ist insofern ein Treiber der Digitalisierung, aber auch die Bestätigung für den hybriden Ansatz, künftig für Kundinnen und Kunden digital und persönlich ansprechbar zu sein.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 01/2022, S. 28 f., und in unserem ePaper.
Bild: © RoBird – stock.adobe.com

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