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26. März 2022
Es grünt so grün: Die EU-Taxonomie im Fokus
EU-Taxonomie

Es grünt so grün: Die EU-Taxonomie im Fokus

Erderwärmung, Umweltzerstörung, Ressourcenverbrauch – Erklärtes Ziel der EU ist es, dass Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Erde wird. Herzstück dieser gesamteuropäischen Aufgabe ist die EU-Taxonomie. Doch warum überhaupt braucht es dieses Regelwerk und was soll es leisten?

Ein Artikel von Dr. Alexander Ströhl, AssCompact

Alles beginnt mit einem Deal: Mit dem europäischen „Green Deal“ wollen die 27 EU-Mitgliedsstaaten bis 2050 klimaneutral werden. In einem ersten Schritt sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber dem Stand von 1990 sinken. Zur Verwirklichung der Ziele des europäischen „Green Deals“ sind daher erhebliche Umweltinvestitionen nötig. Um die derzeitigen Klima- und Energieziele bis 2030 zu erreichen, müssen nach Schätzungen der EU-Kommission jährlich mindestens 260 Mrd. Euro zusätzlich in Infrastruktur, Technologie und Unternehmen investiert werden. Das entspricht etwa 2% des Bruttoinlandsprodukts aller 27 EU-Staaten des Jahres 2020 – Zahlen, die verdeutlichen, dass die grüne Transformation nur durch die Mobilisierung privaten Kapitals zu stemmen ist.

Was ist die Taxonomie?

Herzstück der Neuorientierung im Finanzsektor hin zu Investitionen in klima- und umweltfreundliche Aktivitäten ist die sogenannte EU-Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen – kurz: die EU-Taxonomie. Dieses komplexe Regelwerk legt EU-weit fest, was künftig als ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Aktivität gilt. Nach Artikel 1 der Taxo­nomie-Verordnung lautet der Anspruch, mit den festgelegten Kriterien „den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können“. Das Klassifizierungssystem soll so verhindern, dass Unternehmen, Fondsgesellschaften oder Investmentfonds Greenwashing betreiben – sich also als grüner ausgeben, als sie es wirklich sind. Im besten Fall werden dadurch Unternehmen, die von 2022 an glaubhaft nachweisen, dass bestimmte Umsatzanteile Taxonomie-konform sind, attraktiver für Investorinnen und Investoren. Die EU beabsichtigt damit, das Vertrauen unter den Anlegerinnen und Anlegern in nachhaltige Finanzprodukte zu fördern, um verstärkt privates Kapital in klima- und umweltfreundliche Aktivitäten zu lenken.

Wie definiert die Taxonomie Nachhaltigkeit?

Um entsprechend der Taxonomie innerhalb der EU als nachhaltige Wirtschaftsaktivität zu gelten, muss sie – erstens – einen signifikanten Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele der EU-Klima­politik leisten.

Die sechs Umweltziele der EU-Klimapolitik:
  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Schutz von Wasser und Meeren
  • Übergang zur Kreislaufwirtschaft
  • Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmtuzung
  • Schutz der Ökosysteme

Laut Taxonomie ist beispielsweise der Ausbau klimaneutraler Mobilität wie durch den Elektro­motor ein solcher wesentlicher Beitrag zum Umweltziel „Klimaschutz“. Zweitens darf eine Wirtschaftsaktivität innerhalb der anderen fünf Umwelt­ziele keine erhebliche Beeinträchtigung anrichten. Beim Umweltziel „Klimaschutz“ trifft das beispielsweise auf alle Aktivitäten zu, die zu erheblichen Treibhausgasemissionen führen wie eben die Produktion von Verbrennungs­motoren durch die Autohersteller. Drittens muss eine Wirtschaftsaktivität auch sozialen Kriterien entsprechen. Diese beziehen sich auf anerkannte international gültige Rahmenwerke wie beispielsweise die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ der Vereinten Nationen (UN) sowie die „Leitsätze für multinationale Unternehmen“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Eine Wirtschaftsaktivität, die nachweislich alle drei Definitionskriterien erfüllt, ist Taxonomie-konform und gilt dann innerhalb der EU als nachhaltiges Geschäftsmodell.

Hell-, mittel- und dunkelgrüne Aktivitäten

Allerdings ist sich die EU-Kommission des Problems bewusst, dass sich nicht alle relevanten Wirtschaftssektoren rasch an die Definitionskriterien der EU-Taxonomie anpassen lassen oder werden. Daher unterscheidet das Regelwerk drei unterschiedliche Stufen von klima- und umweltfreundlichen Wirtschaftsaktivitäten: Die höchste Stufe – per se nachhaltig – erreichen klassisch nachhaltige Aktivitäten wie das Betreiben einer Windkraftanlage. Eine Stufe darunter definiert die Taxonomie sogenannte ermöglichende Aktivitäten, die die Aktivitäten der höchsten Stufe unterstützen. Dazu zählt zum Beispiel ein Hersteller von Rotoren für eine Windkraftturbine. Die niedrigste Stufe ist reserviert für sogenannte Übergangsaktivitäten. Diese Technologien werden zwar auf dem Weg zu einer klima- und umweltfreundlichen Wirtschaft benötigt, aber nach Erreichung der Klimaneutralität in der EU eben nicht mehr. Hierzu zählen neuerdings beispielsweise Atom- und Gaskraftwerke.

Was ist die Taxonomie nicht?

Die EU-Taxonomie wirkt wie ein universelles Investitionsregelwerk. Allerdings trifft dieses Merkmal nicht zu. Die EU-Taxonomie bewertet nicht in „gute“ und in „schlechte“ Unternehmen. Die EU-Taxonomie ist außerdem keine verpflichtende Investitionsliste. Nach wie vor kann in jede gesetzlich erlaubte Wirtschaftsaktivität investiert werden. Die EU-Taxonomie definiert nur, ob es sich dabei nach EU-Maßstäben um eine umwelt- und klimafreundliche – Taxonomie-konforme – Investition handelt oder nicht. Abschließend leistet die EU-Taxonomie auch keine Beurteilung über die finanzielle Vorteilhaftigkeit einer nachhaltigen Investition.

Auswirkungen auf die Finanz- und Versicherungswirtschaft

Versicherer oder Vermögensverwalter, die zu einem nicht-finanziellen Reporting verpflichtet sind, müssen gemäß der EU-Taxonomie ab 2022 erstmalig angeben, wie und in welchem Umfang ihre Tätigkeiten mit als nachhaltig einzustufenden Wirtschaftsaktivitäten verbunden sind. 2022 erstreckt sich diese Offenlegung nur auf die beiden ersten EU-Umweltziele „Klimaschutz“ und „Klimaanpassung“, ab dem 01.01.2023 auch auf die weiteren vier EU-Umweltziele. Diese von den Unternehmen veröffentlichten Informationen sind relevant, um Transparenz dahingehend zu schaffen, inwieweit ihre Produkte wie Geldanlagen mit als nachhaltig einzustufenden – Taxonomie-konformen – Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Umgekehrt können Versicherer oder Fondsgesellschaften mittels Integration dieser EU-Nachhaltigkeitskriterien „grüne“ Produktlinien entwickeln. Aber auch für Vermittlerinnen und Vermittler stellt die Offenlegung von Taxonomiekonformität eine wichtige Orientierungshilfe bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit von Kapitalanlagen und Versicherungslösungen dar; zumal ab August 2022 voraussichtlich eine verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen im Beratungsgespräch zu erfolgen hat.

Zusammensetzung der Wirtschaftsaktivitäten

Um Klimaneutralität innerhalb der EU zu erreichen, müssen viele Wirtschaftssektoren neu ausgerichtet werden. Die Umstellung trifft daher insbesondere CO2-intensive Wirtschaftszweige. Infolgedessen sind nur folgende Aktivitäten berechtigt, im Rahmen des Regelwerks auf Nachhaltigkeit geprüft zu werden: Landwirtschaft, Industrie, Verkehr, Energie­wirtschaft, Bau, Wasserwirtschaft, Informations- und Kommunikationstechnologie. Insgesamt stehen diese Taxonomie-berechtigten Wirtschaftsaktivitäten nach Angaben der EU-­Kommission für mehr als 80% aller EU-Treibhausgasemissionen. Weniger CO2-intensive Geschäftsmodelle wie viele Dienstleistungstätigkeiten unterliegen keiner Nachhaltigkeitsprüfung durch die EU-Taxonomie.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 03/2022, S. 42 f., und in unserem ePaper.

Bild: © hkama – stock.adobe.com