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4. Juni 2023
Grundfähigkeitsversicherung: Inflation der Leistungsauslöser?

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Woman finger joint pain due to arthritis. Concept of health problems.

Grundfähigkeitsversicherung: Inflation der Leistungsauslöser?

In der Grundfähigkeitsversicherung ist eine hohe Dynamik zu beobachten. Inzwischen ist nicht mehr nur die Rede vom Verlust von Grundfähigkeiten, sondern von Leistungsauslösern. Bei der Anzahl von Grundfähigkeiten und Leistungsauslösern scheinen sich die Versicherer gegenseitig überbieten zu wollen.

Ein Gastbeitrag von Dr. Jörg Schulz, Geschäftsführer der infinma GmbH

Die Grundfähigkeitsversicherung (GF) wurde einst eingeführt als leicht verständliche und kostengünstige Alternative für die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), vor allem für Menschen, die eher körperlich tätig sind, aufgrund von Vorerkrankungen keine BU mehr bekommen oder sich diese schlicht nicht leisten können.

Allerdings hat in den letzten etwa zwei Jahren ein regelrechter Wettbewerb um die Anzahl an Leistungsauslösern bzw. versicherten Grundfähigkeiten eingesetzt. Eine ähnliche Entwicklung konnte man vor vielen Jahren auch in der Dread-Disease-Versicherung beobachten. Dieser Wettbewerb war dem Produkt an sich nicht dienlich, lief doch der Vergleich der versicherten Krankheiten häufig auf einen Streit unter Gutachtern hinaus. Maßgeblich für einen solchen Wettbewerb sind und waren aber nicht zuletzt auch Ratingagenturen, die in aller Regel eine Vielzahl an Leistungsauslösern auch besonders gut bewerten.

Modulare Produkte im Trend

Das Produkt Grundfähigkeitsversicherung hat sich längst wegentwickelt von der Absicherung der wichtigsten körperlichen Fähigkeiten wie Sehen, Hören, Sprechen, Gehen, Stehen, Hand- bzw. Armgebrauch und Ähnlichem. Die Versicherer gestalten ihre Produkte zunehmend modular. Das geht naturgemäß zulasten der Transparenz und Vergleichbarkeit. Bei einem Anbieter lassen sich schon jetzt 1.024 unterschiedliche Produktkonstellationen ermitteln. Das liegt auch daran, dass immer neue Grundfähigkeiten „erfunden“ bzw. hergeleitet werden. So werden inzwischen beispielsweise auch Beeinträchtigungen der Lungen-, Herz- oder Nierenfunktion als Grundfähigkeit abgesichert. Auch Grundfähigkeiten wie Smartphone/Tablet bedienen, auf einer Tastatur tippen, Pedelec fahren oder E-Mobilität kommen immer häufiger in den Leistungskatalogen der Anbieter vor. Diese Entwicklung ging also zu einem großen Teil von den Versicherern selber aus.

Je mehr Leistungsauslöser, desto besser

Wenn nun bei der Beurteilung von Grundfähigkeitsversicherungen etwas despektierlich von einer Inflation der Leistungsauslöser gesprochen und eine Entfremdung der Grundfähigkeitsve­rsicherung von ihrem ursprünglichen Gedanken bemängelt wird, dann ist das jedoch nur die eine Seite der Medaille. Aus Kundensicht muss man deutlich sagen: Je mehr Leistungsauslöser, desto besser. Wenn ein Kunde nicht mehr in der Lage ist, eine Wasserflasche auf- und wieder zuzudrehen, dann möchte er, dass seine Grundfähigkeitsver­sicherung leistet. Dabei ist es ihm egal, ob die ver­sicherte Grundfähigkeit nun mit Fingerfertigkeit, Handgebrauch oder Greifen überschrieben ist.

Die Absicherung mehrerer Grundfähigkeiten, die ähnliche körperliche Beeinträchtigungen umfasst, könnte auch dadurch sichergestellt werden, dass die Grundfähigkeiten nicht immer kleinteiliger definiert werden, sondern im Gegenteil viel globaler. So könnten unter der Überschrift Gebrauch der oberen Extremitäten all die konkreten Beispiele und damit Leistungsauslöser aufgelistet werden, die man ansonsten unter den oben genannten Grundfähigkeiten wiederfindet. Im Leistungsfall ist die O von  einigen bemängelte Inflation also für den Kunden alles andere als nachteilig.

Die Crux mit den abgeleiteten Grundfähigkeiten

Ein häufiges Argument vieler Versicherer gegen „neue“ bzw. zusätzliche Auslöser sind die sogenannten abgeleiteten Grundfähigkeiten. Es wird dann so argumentiert, dass jemand, der nicht mehr gehen kann, auch nicht schieben und ziehen können wird. Das mag in vielen Fällen sogar stimmen. Das Problem ist aber, dass die Argumentation oft anders herum nicht passt. Wer nicht mehr ziehen oder schieben kann, zum Beispiel weil das Objekt zu schwer ist, der wird möglicherweise trotzdem noch gehen können. Jemand, dem die Fingerfertigkeit abhandengekommen ist, kann seine Hand (in Grenzen) trotzdem noch gebrauchen. Abgeleitete Leistungsauslöser sind daher in aller Regel qualitativ nicht gleichwertig.

Der Versicherer, der Gehen auf der einen und Schieben und Ziehen auf der anderen Seite absichert, bietet einen qualitativ höheren Ver­sicherungsschutz, als der Anbieter, der nur Gehen absichert. Im Übrigen: Was spricht eigentlich gegen die Nennung aller drei genannten Grundfähigkeiten?

Die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit ihrer Produkte steht in vielen anderen Fällen auch nicht im Vordergrund. Oder ist es vielleicht doch die Furcht vor zusätzlichen Leistungsfällen?

Seite 1 Grundfähigkeitsversicherung: Inflation der Leistungsauslöser?

Seite 2 Die Frage des Preises

 
Ein Artikel von
Dr. Jörg Schulz

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Ralph Quandel … am 10. Juni 2023 - 09:01

Verehrter Dr, Schulz,

warum nicht den umgekehrten Weg gehen und die nicht versicherten Risiken in der Police auflisten? Auf jeden Fall würde das für den Verbraucher in eine verlässlichere Position bringen. Natürlich auch den Vermittler ;-)

Beste Grüße

Ralph Quandel