AssCompact suche
Home
Assekuranz
14. Juni 2022
Nachhaltigkeit – Eine Betrachtung aus aktuarieller Perspektive

3 / 4

Businessman using binoculars looking direction.

Nachhaltigkeit – Eine Betrachtung aus aktuarieller Perspektive

Ich möchte auch auf nachhaltige Versicherungsprodukte zu sprechen kommen: Inwiefern ist die Aktuartätigkeit hier involviert?

FB Das Produktdesign ist für uns ein weiterer Beratungsschwerpunkt und hier werden mittlerweile die ersten nachhaltigen Zusatzleistungen angeboten und bepreist. Ein wichtiger Punkt ist hierbei die nachhaltige Schadenregulierung beispielsweise durch monetäre Belohnungssysteme bei der Anschaffung energieeffizienterer Geräte oder der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitssiegeln bei der Kaufentscheidung nach einem Schadenfall. Dadurch steigt rein kalkulatorisch betrachtet aber der aktuarielle Preis des Risikos, weil in einem Teil der Schadenfälle durch die Anschaffung verbrauchsarmer Geräte höhere Kosten entstehen. Gibt man diesen höheren Preis an den Kunden weiter? Oder ist der Kunde nach Anschaffung eines energieeffizienten Gerätes sogar ein besseres Risiko für den Versicherer, sodass die Preiserhöhung nicht vollständig weitergegeben werden muss? Bei dieser Kalkulation der Wechselwirkungen kommen dann wieder wir Aktuare ins Spiel.

OS Diese Produktfeatures beobachten wir bei MSK sehr genau, nicht nur national, sondern europaweit. MSK verfügt darüber hinaus über eine eigene Produktdatenbank, die wir auch in den Beratungsgesprächen mit Mandanten heranziehen. Unserer Einschätzung nach haben viele Versicherer das O Thema Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung seit etwa zwei Jahren sehr weit oben auf der Agenda. Denn gemäß EU-Regulierung ist ja vorgesehen, Nachhaltigkeit im Vertriebsprozess konsequent anzusprechen.

Stichwort Regulierung: Wie beeinflusst die EU-Umwelttaxonomie Ihre Arbeit?

FB Damit eine Leistung in der Sachversicherung als taxonomiekonform gilt, muss sie sechs Kriterien erfüllen. Zwei davon, nämlich die Nutzung modernster Modellierungstechniken sowie das Angebot von Anreizen zur Risikominderung – zum Beispiel durch Rabatte – haben unmittelbar Einfluss auf die Produktentwicklung und Tarifierung. Allerdings bleibt uns die Regulierung noch ein paar Antworten schuldig. So bleibt unklar, wann genau die Kriterien wirklich erfüllt sind.

OS Auch die Konsequenzen der Taxonomiekonformität bleiben unklar: Kann man ein Versicherungsprodukt, das den Taxonomiekriterien nicht genügt, irgendwann nicht mehr verkaufen? Hier sind die Ansätze sicherlich noch nicht zu Ende gedacht.

Gibt es denn auch Schwierigkeiten bei der Gestaltung nachhaltiger Produkte?

FB Ein klassischer Trade-off existiert zwischen Aktuaren, die das Risiko möglichst genau bepreisen wollen, und den Vertriebsexperten, die ein möglichst einfaches Produkt mit möglichst wenig Fragen bevorzugen. Will man beim Produktabschluss, dass der Kunde den Energieausweis vorlegt? Das könnte recht aufwendig, aber im Sinne der Nachhaltigkeit und auch der Risikodifferenzierung richtig sein. Nur der Vermittler möchte diese Praxis wohl vermeiden. Klar sollte sein, dass so ein Produktabschluss keine Raketenwissenschaft sein sollte.

OS Aus aktuarieller Sicht spannend sind auch Fälle der Untertarifierung, also Versicherungslösungen mit einer zu geringen risikoadäquaten Prämie. Ursache einer solchen Untertarifierung sind Wettbewerbsüberlegungen seitens der Versicherer. So gewährt ein Versicherer beim Kauf eines Elektroautos, weil es eben ein gutes Risiko ist, einen 10%-igen Rabatt auf die Kfz-Versicherung, auch wenn auf Basis einer aktuariellen Kalkulation höchstens ein Rabatt in Höhe von zum Beispiel 7% gerechtfertigt wäre. Will ich als Versicherer in dieses Risiko einer Untertarifierung investieren? Hier führen wir mit den Vertriebsvorständen von Versicherern mitunter spannende Diskussionen!