Wann endet eine ärztliche Behandlung? Die Frage scheint leicht zu beantworten. Wenn es jedoch um den Geltungsbereich einer Unfallversicherung geht, wird die Sache schnell komplizierter. So kompliziert, dass ein Rechtsstreit um Tagegeld aus einer Unfallversicherung letztendlich sogar vor dem Bundesgerichtshof (BGH) landete.
Arzt vorordnet Krankengymnastik
Ein Mann hatte sich bei einem Unfall am Finger verletzt und eine Woche später einen Arzt aufgesucht. Die letzte Behandlung durch den Facharzt erfolgte rund zwei Monate später am 16.06.2016. Im Zuge des Termins verschrieb der Arzt dem Verletzten aufgrund eines Bewegungsdefizits noch zehn Sitzungen Krankengymnastik.
Behandlung vermeintlich abgeschlossen
Der Unfallversicherer des Verletzten beauftragte den Facharzt anschließend, ein Gutachten zu dem Fall abzugeben. Auf die Frage, wann die Behandlung voraussichtlich abgeschlossen sei, antwortete der Arzt: „Die Behandlung wurde am 16.06.2016 abgeschlossen.“ Am 01.02.2017 suchte der Versicherte den Facharzt jedoch erneut auf, weil er weiterhin unter Bewegungseinschränkungen litt.
Versicherter fordert 5.645 Euro Tagegeld
Der Unfallversicherer leistete Tagegeld gemäß seiner Versicherungsbedingungen. Das heißt, der Versicherte erhielt bis zum 16.06.2016 Zahlungen und dann wieder am 01.02.2017 – und zwar nur für diesen einen Tag. Das wollte der Versicherte nicht hinnehmen. Er forderte auch Tagegeld für den Zeitraum vom 17.06.2016 bis zur erneuten Vorstellung bei seinem Arzt am 01.02.2017 in Höhe von 5.645 Euro.
AVB decken nur ärztliche Behandlung ab
Der Unfallversicherer lehnte diese Forderung ab. In seinen AVB heiße es schließlich: „Das Tagegeld wird für die Dauer der ärztlichen Behandlung, längstens für ein Jahr, vom Unfalltag an gerechnet, gezahlt.“ Und die ärztliche Behandlung sei gemäß der Aussage des behandelnden Arztes am 16.06.2016 abgeschlossen worden. Der Fall landete schließlich vor Gericht.
Vom Arzt beauftragte Behandlung = ärztliche Behandlung
Nachdem das Berufungsgericht noch zugunsten des Versicherers entschieden hatte, machte der BGH nun klar, dass dass die maßgebliche ärztliche Behandlung nicht mit der letzten Vorstellung beim Arzt ende. Vielmehr umfasse die ärztliche Behandlung in der Regel auch die Dauer der vom Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen.
Krankengymnastik muss wahrgenommen werden
Das Urteil des BGH ist jedoch noch nicht das Ende des Falles. Der BGH hat das Verfahren nämlich an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dort muss geprüft werden, ob sich der Versicherte auch tatsächlich der verordneten Krankengymnastik unterzogen hat. Falls er das getan hat, steht ihm für den Zeitraum der Behandlungsdauer Tagegeld aus der Unfallversicherung zu. (tku)
BGH, Urteil vom 04.11.2020, Az.: IV ZR 19/19
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