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4. August 2016
Von Entsolidarisierung und unsolidarischem Verhalten innerhalb der Versichertengemeinschaft

Von Entsolidarisierung und unsolidarischem Verhalten innerhalb der Versichertengemeinschaft

Im Zusammenhang mit den derzeit noch sehr umstrittenen Gesundheitstarifen werden unter anderem auch ethisch-moralische Fragen aufgeworfen, die eine kaum zu lösende Abgrenzungs- und Beweisproblematik mit sich bringen: Was genau eine gesunde Lebensweise ist und wie diese gemessen werden soll, ist ungleich schwerer zu beantworten als die Frage, ob ein Schaden tatsächlich entstanden oder eher fingiert ist.

Gesundheitstarife sind gesellschaftlich zwar noch sehr umstritten (siehe dazu auch „Bonusprogramme der Krankenversicherung im Visier der Grünen“), doch immer mehr Menschen finden es richtig, wenn eine gesunde Lebensweise finanziell anerkannt wird. Das ergibt eine Online-Umfrage der weltweit tätigen Markenberatung Prophet zum Thema „Individuelle Gesundheitstarife: Sollten Krankenkassen eine gesunde Lebensweise finanziell belohnen?“

Demnach meinen über drei Viertel der Bundesbürger, dass die Krankenkasse sie mit einem reduzierten Tarif oder Bonus belohnen sollte, wenn sie gesund leben und sich fit halten. Für den Nachweis ihres gesunden Verhaltens sind über zwei Drittel der Befragten bereit, ihrer Kasse per Armband oder Fitness-App Zugang zu relevanten Gesundheitsdaten zu geben. Entscheidend für die Bereitschaft zur Herausgabe von Daten ist allerdings, dass die Krankenkassen verantwortungsvoll mit den persönlichen Gesundheitsdaten umgehen. Dreiviertel der Befragten plädieren in diesem Zusammenhang dafür, dass nicht eine App, sondern ihr Hausarzt gegenüber der Krankenkasse eine gesunde Lebensweise bestätigen sollte.

Beweisproblematik mit gesellschaftlichem Zündstoff

„Unsere Umfrage belegt den gesellschaftlichen Trend zum gesunden Leben und zu einer ausgewogenen Ernährung. Weil die Menschen mit einem bewussten Lebensstil weniger Gesundheitskosten verursachen, erhoffen sie sich von der Krankenkasse eine finanzielle Belohnung“, bewertet Prophet-Partner Felix Stöckle die Ergebnisse der Umfrage, stellt allerdings damit einhergehend auch eine gewisse Form der „Entsolidarisierung“ innerhalb der Gesellschaft fest: „Etliche Versicherte sehen offenbar nicht ein, dass sie mit ihren Beiträgen das ungesunde Verhalten von anderen unterstützen und fordern vielmehr die Honorierung ihrer eigenen Bemühungen.“ Dies werfe auch ethisch-moralische Fragen auf. „Bei den ersten Gesundheitstarifen, die Versicherungen gerade entwickeln, gibt es nur einen Bonus für Menschen, die auf den Erhalt ihrer Gesundheit großen Wert legen und entsprechend leben. Alle anderen zahlen den Normaltarif. Würde dieser Ansatz flächendeckend umgesetzt, würde der Normaltarif über die Zeit automatisch zu einem Malus-Tarif. Es ist also eine gesellschaftlich relevante Frage, ob wir diese Auflösung des Solidartarifs tatsächlich wollen.“ Es dürfe nicht passieren, dass beispielsweise die jungen Gesunden einen Bonus erhielten, während ältere Menschen, die nach einem Leben harter Arbeit gesundheitliche Probleme bekämen, mit einem Malus abgestraft würden.

Daher ergebe eine Malus-Regelung überhaupt nur dann Sinn, wenn sie sich auf Verhaltensweisen beschränke, die durch den Einzelnen auch tatsächlich beeinflussbar seien. Jemand, der unter diesen Umständen kein Interesse daran habe, sich über seinen Lebensstil Gedanken zu machen und sich damit in gewisser Weise selbst unsolidarisch verhielte, würde dann mit einem Malus bestraft. Eine kaum zu lösende Abgrenzungs- und Beweisproblematik mit reichlich gesellschaftlichem Zündstoff!

Drei „Maschen“ mit denen Schäden vorgegaukelt werden

Sonnenklar ist hingegen die Sachlage bei einer anderen Art unsolidarischen Verhaltens: beim Versicherungsbetrug. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) e.V. hat aktuell bekannt gegeben, dass der geschätzte Gesamtschaden durch Versicherungsbetrug in der Schaden- und Unfallverfallversicherung bei gut 4 Mrd. Euro im Jahr liegt. Wird der Sachbearbeiter des Versicherers stutzig, schaltet er häufig einen Sachverständigen ein. Am Beispiel der Fahrrad-Versicherungsfälle erläutert der GDV, dass in etwa zwei Drittel der begutachteten Velo-Fälle tatsächlich etwas nicht stimme und zählt drei „Maschen“ auf, mit denen Versicherungsbetrüger Schäden ihrer Fahrräder vorgaukeln: Bei der ersten Masche wird der Schaden selbst fingiert. So gab beispielsweise ein Geschädigter an, ihm sei sein Fahrrad aus dem Keller gestohlen und durch das Kellerfenster abtransportiert worden. Diese Angaben konnten jedoch nicht stimmen, da das Kellerfenster viel zu klein für das Fahrrad war, es passte nicht durch die Öffnung.

Bei Masche zwei werden die Umstände eines Schadens fingiert: Ein angegebener Totalschaden kann nicht durch einen leichten Zusammenstoß mit einem anderen Fahrradfahrer entstanden sein. Das Schadenbild passt nicht zum beschriebenen Unfallhergang.

Der Wert des Fahrrades wird im dritten Fall fingiert: Auf dem handschriftlichen Kaufbeleg des Fahrradhändlers wird eine Zahl vor der ursprünglichen Kaufsumme ergänzt – aus 300 Euro wird so ein Preis von 1.300 Euro. Durch einen Abgleich des Fahrradtyps mit dem Originalkaufpreis lässt sich dieser Trick jedoch schnell erkennen. Aber auch durch spezielle Geräte können Kaufbelege auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Wird eine Betrugsabsicht nachgewiesen, muss der Versicherer nicht für den Schaden aufkommen. Er kann stattdessen den Versicherungsvertrag kündigen, Sachverständigenkosten vom Anspruchsteller zurückverlangen und den Fall, schon im Interesse der ehrlichen Kunden, zur Anzeige bringen. Denn Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt! (ad)

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Bruno Steiner am 04. August 2016 - 09:29

Da passen diese beiden §§ ja ideal dazu, oder???
Auszüge bzw. teilweise Zitierung der Gesetzestexte bzw. §§ Versicherungsaufsichtsgesetz (§ 89 VAG wird § 314 VAG )

s. § 314 Zahlungsverbot; Herabsetzung von Leistungen (§ 314 wird in 6 Vorschriften zitiert)
Oder
alt § 89 Zahlungsverbot; Herabsetzung von Leistungen
(1) Ergibt sich bei der Prüfung der Geschäftsführung und der Vermögenslage eines Unternehmens, dass dieses für die Dauer nicht mehr imstande ist, seine Verpflichtungen zu erfüllen, die Vermeidung des Insolvenzverfahrens aber zum Besten der Versicherten geboten erscheint (welche Ironie oder Verarschung der VN?), so kann die Aufsichtsbehörde das hierzu Erforderliche anordnen, auch die Vertreter des Unternehmens auffordern, binnen bestimmter Frist eine Änderung der Geschäftsgrundlagen oder sonst die Beseitigung der Mängel herbeizuführen.

"Alle Arten Zahlungen, besonders Versicherungsleistungen, Gewinnverteilungen und bei Lebensversicherungen der Rückkauf oder die Beleihung des Versicherungsscheins sowie Vorauszahlungen darauf, können zeitweilig verboten werden."

(2) Unter der Voraussetzung in Absatz 1 Satz 1 kann die Aufsichtsbehörde, wenn nötig, die Verpflichtungen eines Lebensversicherungsunternehmens aus seinen Versicherungen dem Vermögensstand entsprechend herabsetzen. Dabei kann die Aufsichtsbehörde ungleichmäßig verfahren, wenn es besondere Umstände rechtfertigen, namentlich wenn bei mehreren Gruppen von Versicherungen die Notlage des Unternehmens mehr in einer als in einer anderen begründet ist.
(3) Die Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 können auf eine selbständige Abteilung des Sicherungsvermögens (§ 66 Abs. 7) beschränkt werden.

und der Hammer: "Die Pflicht der Versicherungsnehmer, die Versicherungsentgelte in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen, wird durch die Herabsetzung nicht berührt.
Das ist meiner Meinung nach geradezu pervers!

Gespeichert von Jan Lanc am 04. August 2016 - 10:23

Herr Steiner, stimme ihnen voll und ganz zu.