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14. Juni 2021
Wann dürfen überhängende Äste abgeschnitten werden?

Wann dürfen überhängende Äste abgeschnitten werden?

Dürfen überhängende Äste vom Baum eines Nachbarn auf eigene Faust entfernt werden, selbst wenn der Baum dadurch abzusterben droht? Das musste nun der BGH im Fall eines Mannes entscheiden, der sich von den auf sein Grundstück fallenden Ästen und Kiefernadeln gestört fühlte. Dabei berief er sich auf sein Selbsthilferecht.

Stehen Bäume nah an der Grenze zwischen zwei Grundstücken, können sich daran immer wieder Nachbarschaftsstreitigkeiten entzünden. Und mit der Zeit wächst nicht nur die Pflanze, sondern auch der Unfrieden in der Nachbarschaft. So geschehen im Streit um eine Schwarzkiefer, die mittlerweile ungefähr 15 Meter hoch ist und die streitenden Nachbarn sogar bis zum Bundesgerichtshof (BGH) geführt hat.

Baum ragt weit auf Nachbargrundstück

Die Schwarzkiefer steht seit mittlerweile rund 40 Jahren direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze der beiden Nachbarn. Seit mindestens 20 Jahren ist der Baum so groß und ragt so weit auf das Grundstück des Nachbarn, dass Äste, Nadeln und Zapfen auf dessen Grund und Boden fallen.

Eigentümer klagen gegen Astzuschnitt

Der Nachbar forderte daraufhin die Grundstücksbesitzer auf, die Äste der Kiefer zurückzuschneiden. Die kamen der Aufforderung jedoch nicht nach. Schließlich schnitt der Nachbar die überhängenden Zweige selbst ab. Das wiederum erregte das Missfallen der Eigentümer. Sie forderten den Mann auf, keine überhängenden Äste oberhalb von fünf Metern Höhe mehr abzuschneiden. Andernfalls sei die Standfestigkeit des Baums gefährdet. Das wollte der Nachbar nicht akzeptieren. Der Fall landete vor Gericht.

In den Vorinstanzen waren die Baumbesitzer mit ihrer Klage noch erfolgreich. Vor dem BGH sah die Sache etwas anders aus. Die Bundesrichter haben das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Urteilsbegründung mittlerweile überholt

Das Berufungsgericht hatte seine Entscheidung mit § 910 BGB begründet und argumentiert, dass diese Vorschrift nur Beeinträchtigungen erfasse, die unmittelbar von den überhängenden Ästen ausgehen – nicht aber mittelbare Folgen, wie den Abfall von Nadeln und Zapfen. Der BGH machte jedoch deutlich, dass diese Begründung seit einem einschlägigen Urteil vom 14.06.2019 (Az.: V ZR 102/18) mittlerweile überholt sei.

Gefahr des Absterbens der Kiefer ist zumutbar

Das Landgericht Berlin wird sich nun ein weiteres Mal mit dem Fall zu beschäftigen haben. Die Richter müssen klären, ob die Nutzung des Nachbargrundstücks durch die überhängenden Äste der Kiefer beeinträchtigt wird. Sollte das der Fall sein, dann ist die Entfernung des Überhangs durch den Nachbarn zulässig. Die Eigentümer des Baums könnten unter diesen Umständen auch nicht geltend machen, dass ein Zuschneiden der hohen Äste die Standfestigkeit des Baums gefährden könnte und unter Umständen ein Absterben der Kiefer droht.

Selbsthilferecht ist weitreichend

Der BGH macht dazu deutlich, dass das Selbsthilferecht aus § 910 Abs. 1 BGB nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach und allgemein verständlich ausgestaltet sei. Es unterliege daher insbesondere keiner Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung. Des Weiteren liege die Verantwortung dafür, dass Äste und Zweige nicht über die Grenzen des Grundstücks hinauswachsen, beim Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Baum steht. Kommt der Eigentümer seiner Verpflichtung jedoch nicht nach und lässt die Zweige des Baumes über die Grundstücksgrenze wachsen, dann kann er nicht von seinem Nachbarn verlangen, das Abschneiden zu unterlassen und die Grundstücksbeeinträchtigung einfach hinzunehmen.

Naturschutzrecht könnte noch Abhilfe schaffen

Eine kleine Hoffnung bleibt den Eigentümern der Schwarzkiefer aber noch. Die Bundesrichter machten in ihrer Urteilsbegründung auch deutlich, dass das Selbsthilferecht durch naturschutzrechtliche Regelungen, etwa durch Baumschutzsatzungen oder -verordnungen, eingeschränkt sein könnte. Auch das wird das Berufungsgericht bei seiner erneuten Beurteilung zu berücksichtigen haben.

Natürliche Immissionen sind grundsätzlich hinzunehmen

Anders sieht es übrigens aus, wenn der Baum ordnungsgemäß bewirtschaftet wird und sich vollständig auf der Seite des Eigentümers befindet. Unter solchen Umständen muss der Nachbar die „Verunreinigungen“ durch Äste, Zapfen und Blätter akzeptieren, die Wind und Wetter auf sein Grundstück regnen lassen (AssCompact berichtete). (tku)

BGH, Urteil vom 11.06.2021 – V ZR 234/19

Bild: © Nathalie Pothier – stock.adobe.com