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7. November 2022
Wir brauchen kluge, expansive Finanzpolitik

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Wir brauchen kluge, expansive Finanzpolitik

Inwiefern würde das die Rezession verschärfen?

Ein plötzliches Anziehen bei den Zinsen führt zu deutlich teureren Krediten. Das wiederum erschwert Investitionen und auch der Konsum bricht ein. Damit würde die Rezession noch tiefer. Die EZB muss also einerseits dafür sorgen, dass die niedrigen Inflationserwartungen verankert bleiben, aber gleichzeitig darf sie die Rezession mit ihren Maßnahmen nicht weiter befeuern – eine Gratwanderung.

Sie sagten vorher, die Lage in den USA sei eine andere. Was meinen Sie damit?

Die Situation in den USA ist vor allem aus zwei Gründen grundlegend anders: Erstens sind die USA viel weniger stark von dem Energiepreisschock des Krieges betroffen, weil sie weiter weg und, was fossile Energieträger angeht, autonom sind. In Deutschland hingegen importierten wir vor Kriegsbeginn über 50% unseres Erdgases und mehr als 30% unseres Erdöls aus Russland, was natürlich eine immense Abhängigkeit nach sich zog. Zweitens hatten die Amerikaner durch ihre massiv expansive Finanzpolitik in den Jahren 2020 und 2021 – sowohl unter Trump als auch unter Biden – ein viel stärkeres Wirtschaftswachstum, einen viel stärkeren Beschäftigungsanstieg und eine viel stärkere Nachfrage der Konsumentinnen und Konsumenten. In den USA bestand also bereits das Risiko einer Überhitzung, während Europa sich wirtschaftlich noch gar nicht von der Corona-Pandemie erholt hatte. In der Eurozone dürften bis zu 80% der Inflation importiert sein. In den USA hingegen wurden wohl eher 80% der Inflation selbst verursacht.

Die US-amerikanische Federal Reserve kann also im Gegensatz zur EZB effektiv etwas gegen die Inflation unternehmen?

Ja, aber die Fed ist spät dran. Man kann durchaus sagen, dass die amerikanische Notenbank wahrscheinlich sehr viel früher hätte anfangen müssen, die Leit­zinsen anzuheben – wahrscheinlich schon im letzten Jahr. Für die Eurozone hingegen lasse ich dieses Argument nicht gelten. Letztes Jahr existierte keine seriöse Prognose, die eine Inflationsrate deutlich über 2% vorausgesagt hätte. So gesehen unterscheidet sich die Inflation in den USA von jener im Euroraum fundamental.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 11/2022, S. 66 f., und in unserem ePaper.

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Bild: © Atlas – stock.adobe.com bzw. Prof. Marcel Fratzscher, Ph. D., DIW Berlin

 
Ein Interview mit
Prof. Marcel Fratzscher, Ph.D