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7. Juni 2021
Wird Erwerbsunfähigkeits- von Grundfähigkeitsversicherung verdrängt?

Wird Erwerbsunfähigkeits- von Grundfähigkeitsversicherung verdrängt?

infinma hat seine Marktstandards für die Erwerbsunfähigkeitsversicherung aktualisiert. 50 Tarife von 19 Gesellschaften wurden überprüft, 32 Tarife von 13 Gesellschaften konnten zertifiziert werden. Den Tarifrückgang sieht infinma unter anderem in Verdrängungseffekten zwischen EU und BU sowie einer unattraktiven Preisgestaltung.

Die infinma Institut für Finanz-Markt-Analyse GmbH hat ihre Marktstandards für die Berufsunfähigkeitsversicherung wieder auf die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU) übertragen und nun aktualisiert. Im Rahmen der Untersuchung „Marktstandards in der EU – Stand 04/2021“ wurden 50 Tarife von 19 Gesellschaften analysiert und in insgesamt 17 Qualitätskriterien gegen den Marktstandard verglichen. Die betrachteten Qualitätskriterien: Prognosezeitraum, rückwirkende Leistung, Spezifikation der Erwerbstätigkeit, Arbeitsumfang, EU aufgrund von Pflegebedürftigkeit, Leistungszeitpunkt, Meldefristen, Beitragsstundung, zeitlich befristetes Anerkenntnis, Kostenübernahme bei Auslandsaufenthalt, Geltungsbereich, Mitwirkungspflichten Gesundheit, Mitwirkungspflichten Beruf, Einmalzahlungen, Nachversicherung ohne Anlass, Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten sowie BU-Umtausch-Option. Infinma hat Produkte berücksichtigt, die in Deutschland bzw. in Österreich angeboten werden.

Marktstandards sind kein Rating

Die Analyse basiert wie gewohnt auf der Erhebung aller zu einem Qualitätskriterium am Markt tatsächlich vorhandenen Ausprägungen. Diejenige Ausprägung, die von den Anbietern in ihren Produkten am häufigsten verwendet wird, definiert den jeweiligen Marktstandard im Sinne eines Branchendurchschnittswertes. Infinma weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Qualitätskriterien weder gewichtet noch aggregiert werden, es den Anbietern also nicht möglich sei, eine für den Kunden unterdurchschnittliche Regelung in einem Kriterium durch eine besonders vorteilhafte Formulierung bei einem anderen Kriterium auszugleichen. Es handle sich bei den Marktstandards von infinma im Vergleich zu anderen Bewertungsverfahren gerade nicht um ein Rating.

Etliche Tarife liegen über den Marktstandards

Einige diesmal in Bezug auf die EU definierte Marktstandards sind beispielsweise das Anerkennen einer Erwerbsunfähigkeit, wenn die betreffende Person außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit von mehr als drei Stunden täglich auszuüben. In 43 der 50 untersuchten Tarife ist dies der Fall. Abweichend hiervon gibt es aber auch Versicherer, die einen Arbeitsumfang von mindestens zwei Stunden täglich nennen. Jemand, der beispielsweise in der Lage ist, zweieinhalb Stunden täglich zu arbeiten, würde bei diesen also schon keine Leistungen mehr bekommen. Ein paar Versicherer liegen in diesem Kriterium aber auch über dem Marktstandard, indem sie auch eine Teilleistung gewähren, wenn die betreffende Person zwischen drei und sechs Stunden arbeiten kann.

Was die Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten angeht, so legt sich der Marktstandard aktuell dadurch fest, dass 19 Tarife keine Stundung bei Zahlungsschwierigkeiten anbieten. Allerdings liegen hier laut infinma 31 Tarife über diesem Marktstandard, da sie bei Zahlungsschwierigkeiten eine Stundung von bis zu sechs, zwölf, 18 oder 24 Monaten anbieten. Vier Tarife bieten in der Elternzeit sogar eine Stundung von bis zu 36 Monaten.

Erwerbsunfähigkeitsversicherungen werden häufig von jüngeren Menschen, wie Schülern, Studenten oder Azubis, abgeschlossen; oder von Menschen mit einem hohen Anteil körperlicher Tätigkeit, für die eine BU nicht bezahlbar wäre. Wenn diese Personen entweder erstmalig eine berufliche Tätigkeit aufnehmen oder sich die berufliche Tätigkeit so ändert, dass der Anteil der körperlichen Arbeit deutlich verringert wird, kann es sinnvoll sein, eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung in eine Berufsunfähigkeitsversicherung umzutauschen. Ist eine entsprechende Umtausch-Option vorhanden, so besteht in der Regel die Möglichkeit, diesen Umtausch ohne erneute Gesundheitsprüfung vornehmen zu können. Der Marktstandard ist hier aber laut infinma noch, dass 23 EU-Tarife keine BU-Umtausch-Option beinhalten. 27 Tarife liegen hier allerdings über dem Marktstandard, indem sie entweder eine BU-Umtausch-Option für Schüler, Studenten und Azubis oder eben für alle Versicherten anbieten.

32 Tarife von 13 Versicherern werden zertifiziert

An diejenigen Versicherer und Tarife, die in allen getesteten Kriterien den festgestellten Marktstandard aus Kundensicht erfüllen oder sogar übertreffen, verleiht infinma entsprechende Zertifikate. Diesmal konnten insgesamt 32 Tarife von 13 Gesellschaften die Voraussetzungen für die Erlangung dieser Auszeichnung erfüllen. Im Vergleich zum Vorjahr ist diesmal die Credit Life als neuer zertifizierter Anbieter dazugekommen. Die weiteren zertifizierten Gesellschaften sind dieselben geblieben: AXA, die Continentale, DBV, Dialog, EUROPA, Generali, Hannoversche, HDI, INTER, MetallRente, VOLKSWOHL BUND und Zurich.

Tarifrückgang: „Erwerbsunfähigkeit“ negativ belegt, Produktpflege nicht intensiv genug

Den auch schon von MORGEN & MORGEN in deren EU-Rating für den deutschen Markt festgestellten Tarifrückgang (AssCompact berichtete) kommentiert der geschäftsführende Gesellschafter von infinma, Dr. Jörg Schulz, folgendermaßen: „Das ist einerseits auf Fusionen innerhalb eines großen öffentlich-rechtlichen Versicherungskonzerns zurückzuführen, aber auch auf die Einstellung der EU bei einigen Anbietern. Möglicherweise zeigen sich hier erste Verdrängungseffekte zwischen der immer beliebter werdenden Grundfähigkeitsversicherung und der Erwerbsunfähigkeitsversicherung.“ Der Begriff „Erwerbsunfähigkeit“ dürfte laut Schulz durch die gesetzliche Erwerbsminderungsrente negativ belegt sein. Man müsse aber auch feststellen, dass die Preisgestaltung der EU das Produkt vielfach unattraktiv mache. Der Unterschied zur qualitativ höherwertigen BU gerade in den akademischen Berufen sei oft zu klein. „Auch qualitativ könnte die EU gerade im Vergleich zur SBU sicher noch zulegen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Produktpflege in anderen Absicherungsprodukten intensiver betrieben wird“, meint Geschäftsführer-Kollege Marc Glissmann. (ad)

Nähere Informationen zu den „Marktstandards in der EU – Stand 04/2021“ finden sich hier.

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Bild: © Coloures-Pic – stock.adobe.com