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9. März 2022
„Branche jongliert mit Begriffen, die noch keine Standards sind.“

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„Branche jongliert mit Begriffen, die noch keine Standards sind.“

Die Schwierigkeiten haben wir bereits oben thematisiert. Welche Vorteile ergeben sich denn für Finanzberaterinnen und -berater durch die EU-Regulierung?

Zunächst erachten wir als sehr positiv, dass eine Angleichung der gesetzlichen Pflichten sowohl im Versicherungsvermittlungs- als auch im Finanzanlagenvermittlungsbereich beim Thema „Nachhaltigkeit“ stattfindet. Allerdings geben die ergänzten Richtlinien derzeit nur recht pauschal vor, was genau zu beachten ist. Was wir nicht wissen, ist, wie genau das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft abzufragen ist: Ist das in drei Fragen zu machen oder braucht es dafür künftig 30 Fragen oder noch mehr? Wie sieht es dauerhaft mit Atomkraft oder Waffenproduzenten aus? Genügen auch die UN-Nachhaltigkeitskriterien? Die Branche jongliert mit Begrifflichkeiten, die aber wegen der noch unscharfen Taxonomie in vielen Bereichen keine verbindlichen Standards darstellen.

Und wie agiert nun der AfW-Verband in einer solch ungewissen Situation?

Man muss sich abstimmen! Es gibt verschiedene Brancheninitiativen wie das German Sustainability Network (GSN) von V.E.R.S. Leipzig, die Initiative „Nachhaltigkeit in der Lebensversicherung“, das Forum Nachhaltige Geld­anlagen (FNG), den Arbeitskreis „Beratungsprozesse“ oder auch das Deutsche Institut für Normung (DIN), die sich intensiv mit dem Thema befassen und teilweise für sich anstreben, Nachhaltigkeitsaspekte in der Beratung in eine einheitliche und allgemein gültige Form zu gießen. Der AfW ist in all diesen Netzwerken selbstverständlich auch vertreten. Unser Ziel als Verband für Vermittler­innen und Vermittler ist, dass wir möglichst branchenweit einheitliche Standards haben. Allerdings sind hier auch ganz unterschiedliche Partikularinteressen im Spiel, die eine solch wünschenswerte Standardisierung erschweren. Am Ende kommt dann vielleicht auch noch die BaFin mit einem Rundschreiben um die Ecke und stellt alles auf den Kopf, was man sich gerade mühsam erarbeitet hat. Nach heutigem Stand der Dinge kann ich nicht abschätzen, ob und wann die Initiativen gemeinsame und untereinander geteilte Standards anbieten können. Vielleicht wird es das auch gar nicht geben. Aber das wäre ein ärgerlicher Zustand. Die Präsenz der maßgeblichen Maklerpools und Verbünde beim AfW gemeinsam mit der guten Kooperation mit dem VOTUM Verband könnten aber für die Entwicklung einheitlicher Standards oder zumindest von gemeinsamen, klaren Positionen ein Vorteil sein.

Wie bewertet abschließend der AfW-Verband die „neue“ Pflicht, dass Vermittlerinnen und Vermittler in der Beratung Nachhaltigkeitskriterien einfließen lassen müssen?

Wir begrüßen alle Schritte in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Das ist eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, insbesondere auch für die nachfolgenden Generationen. Wir halten insofern auch die Einführung von Beratungspflichten zur Berücksichtigung der Nachhaltigkeitspräferenzen für absolut richtig und notwendig. Zudem ist es aus Sicht des AfW auch eine große Chance, was Neugeschäft und Umsatz betrifft. Diejenigen Vermittlerinnen und Vermittler, die diese Chance bereits ergriffen haben, berichten davon, dass sie mit dem Thema Nachhaltigkeit offene Türen einrennen, insbesondere bei den jüngeren Kundinnen und Kunden!

Ist es tatsächlich Aufgabe von Finanzberaterinnen und -beratern, diesen gesellschaftlichen Wandel mitzu­gestalten?

Unsere Branche kennt das doch bereits: Auch bei der privaten Altersvorsorge übernehmen Beraterinnen und Berater durch Vermittlung entsprechender Produkte eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die vom Gesetz­geber gewollt ist. Ganz ähnlich verhält es sich nun beim Thema „Nachhaltigkeit“. Der Gesetzgeber hat entschieden, dass die Mitgestaltung des Wandels jetzt auch Aufgabe der Finanzberaterinnen und -berater ist. Gigantische Finanzströme sollen in nachhaltige Bahnen gelenkt werden und da spielen die Beraterinnen und Berater nun eine große Rolle. Ich möchte aber dabei betonen, dass an erster Stelle stets der Anlegerschutz steht und erst dann kommen andere Themen wie Nachhaltigkeit.

Das Interview führte Dr. Alexander Ströhl, AssCompact

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2022, S. 96 ff., und in unserem ePaper.

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Bild: © j-mel – stock.adobe.com

 
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