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Steuern & Recht
9. März 2022
„Branche jongliert mit Begriffen, die noch keine Standards sind.“

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„Branche jongliert mit Begriffen, die noch keine Standards sind.“

… Sie sprechen hier die Ergänzung der Vertriebsrichtlinie IDD und der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II hinsichtlich des Themas Nachhaltigkeit an …

Richtig. Damit sind wir dann außerhalb der Pflichten nach der Trans­parenzverordnung. Wirklich neue Beratungspflichten ergeben sich aus diesen sogenannten delegierten Verordnungen des europäischen Gesetzgebers. Beide Verordnungen existieren bereits seit mehreren Jahren und wurden nun um das Thema Nachhaltigkeit erweitert. Vermittlerinnen und Vermittler müssen im Beratungsgespräch ergänzend zum Thema „Nachhaltigkeit“ weitere Aspekte erfragen. IDD und MiFID II sind hier relativ gleichlautend und schreiben vor, dass Vermittlerinnen und Vermittler die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kundinnen und Kunden abzufragen und sie zum Thema Nachhaltigkeit zu beraten haben. Dazu kommt noch ein sogenannter Geeignetheitstest, das heißt eine Prüfung des Versicherungs- oder Kapitalanlageprodukts dahingehend, ob es für die Kundin/den Kunden vor dem Hintergrund seiner Präferenzen überhaupt geeignet ist. Wo es dann wirklich spannend wird, ist die Regelmäßigkeit dieser Geeignetheitsprüfung. Nehmen wir als Beispiel eine nachhaltige, fondsgebundene Lebensversicherung: Muss ich als Vermittler jährlich prüfen, ob dieses Produkt noch den Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entspricht? Beides – also sowohl das Fondsportfolio als auch die Präferenzen – können sich ja im Laufe der Jahre verändern. Wie geht man dann damit um? Und nicht zuletzt ist darauf zu achten, dass mit einem angeblich nachhaltigen Investment kein „Greenwashing“ betrieben wird sowie die Nachhaltigkeitspräferenzen korrekt dokumentiert werden.

Worin bestehen denn hinsichtlich des Themas Nachhaltigkeit gegenwärtig Schwierigkeiten für das Vermittlungsgeschäft?

Das größte Problem ist, dass Vermittlerinnen und Vermittler noch gar nicht wissen können, was unter Nachhaltigkeit konkret zu verstehen ist. Hier liegt der Ball beim europäischen Gesetzgeber – Stichwort „Taxonomie“. Die Taxonomie verfolgt das Ziel, ein EU-weites Klassifizierungssystem für die Bewertung ökologischer Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten zu etablieren. Bei der Diskussion um Atomstrom und Erdgas sieht man sehr plastisch, wie kompliziert das sein kann und auch wie interessengetrieben hier agiert wird.

Hinzu kommt, dass die EU-Kommission gerade erst entschieden hat, dass die Anwendung der sogenannten technischen Regulierungsstandards (RTS) für die Bestimmung der Nachhaltigkeitsfaktoren vom 01.01.2022 um ein Jahr auf den 01.01.2023 verschoben wird. Für das Vermittlungsgeschäft hat das zur Folge, dass man aufgrund fehlender Standards schwerlich klare, wirklich belastbare Aussagen gegenüber den Kundinnen und Kunden treffen kann. Außerdem hat die fehlende Vorgabe zur Folge, dass auch die Vermittlerschaft dem Vorwurf des „Greenwashing“ ausgesetzt ist. Es gibt einfach derzeit nur sehr wenige Siegel oder am Markt, darunter sicherlich dasjenige des Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG), die ein nachhaltiges Investment wirklich sicherstellen. Wenn zum 02.08.2022 die ergänzenden Beratungspflichten in Kraft treten, wird das Dilemma unmittelbar zutage treten. Ich kann doch nicht Kunden über nachhaltige Geldanlagen beraten, wenn seitens des Gesetzgebers keine klaren Definitionen für nachhaltige Geldanlagen vorgegeben sind. Das ist schlicht nicht machbar. Da müssen alle Beteiligten aufpassen, dass dadurch beim Thema Nachhaltigkeit bei der Vermittlerschaft und deren Kunden nicht das Momentum durch Unklarheit, Überbürokratisierung und pures Zerreden verloren geht. Das wäre bedauerlich.

 
Ein Interview mit
Norman Wirth