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17. März 2022
Nachhaltigkeit im Vermittleralltag: Was läuft gut, woran hapert es?

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Nachhaltigkeit im Vermittleralltag: Was läuft gut, woran hapert es?

Die Umlenkung von Finanzflüssen hin zu werteorientierten Investments und Vorsorgelösungen beginnt auch durch Kundengespräche im Vermittlungsalltag. Doch was bedeutet der Begriff „Nachhaltigkeit“ in der Vermittlungstätigkeit und wie gelingt die Umstellung auf ein nachhaltiges Vermittlerbüro?

Interview mit Gottfried Baer, Geschäftsführender Berater bei der MehrWert GmbH, und Volkmar Haegele, selbstständiger Versicherungsmakler und Finanz­anlagenvermittler bei grün vorsorgen
Lieber Herr Baer, lieber Herr Haegele, welche Emotion löst bei Ihnen der Begriff „Nachhaltigkeit“ spontan aus?

Gottfried Baer Einerseits viele positive Emotionen, weil ich Nachhaltigkeit mit dem Herzen betreibe. Andererseits auch negative Empfindungen, weil der Begriff „Nachhaltigkeit“ leider zu beliebig geworden ist.

Volkmar Haegele Ich verbinde mit Nachhaltigkeit sehr viel Freiheit und Lebensqualität, auch ein Stück Leidenschaft. Leider ist die Dehnbarkeit des Begriffs eine große Her­aus­forderung, auch innerhalb der Branche. Ich halte Begrifflichkeiten wie „Zukunftsfähigkeit“ oder „Generationengerechtigkeit“ für angemessener, da sie einem bewusst machen, dass jede unserer gegenwärtigen Handlungen in der Zukunft Wirkung zeigen wird – und das ist unsere (Eigen-)Verantwortung als Vermittler.

Sie beide gelten neben anderen als Vorreiter der Nachhaltigkeitswende in der Maklerschaft: Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

VH Diese Bewusstseinsbildung begann bei mir während meines beruflichen Werdeganges, als ich bei der Bundeswehr als Umweltschutzoffizier mehrere Jahre lang der oberste Nachhaltigkeitsbeauftragte einer Brigade war. Durch die Erfahrung in Auslandseinsätzen und vor allem durch private Einflüsse entwickelte sich daraus im Laufe der Zeit eine Lebenseinstellung, die sich seit Jahren auch zunehmend beruflich auswirkt.

GB Ich bin in der Landwirtschaft groß geworden. Der grüne Daumen wurde mir also in die Wiege gelegt. Die Themen meiner Jugend, allen voran Umwelt­themen wie das Waldsterben in Deutschland in den 1980er-Jahren, haben mich sehr beeinflusst. Die Zündung im Beruf war darin begründet, dass ich nicht nur wertekongruent leben, sondern auch arbeiten wollte. Damals, 2009, waren im Segment nachhaltiger Finanzdienstleistungen nur wenige Kirchen- und Umweltbanken aktiv, sodass ich als freier Vermittler eine große Chance sah.

Welchen Stellenwert genießt das Thema „Nachhaltigkeit“ innerhalb der Vermittlerschaft?

VH Das, was der oder die Einzelne unter „Nachhaltigkeit“ versteht, ist bestimmt sehr vielfältig. Obwohl alle wissen, dass wir Menschen mit unserer Umwelt seit Jahrzehnten nicht fair umgehen, wollen wir doch unsere Gewohnheiten beibehalten. Ich denke, hier trifft möglicherweise der Widerstand gegen immer neue staatlich verordnete Veränderungen mit Haftungsrelevanz auf vertriebsgesteuerte „Megatrends“, die neue Umsatzpotenziale versprechen. Das ist ein Spannungsfeld.

GB Zur Klarstellung: Keinesfalls möchten wir beide so verstanden werden, dass wir die „guten Grünen“ und alle anderen die „Schlechten“ sind. Durch meine Dozententätigkeit in der Weiterbildung habe ich gemerkt, dass sich die Mehrheit der Vermittlerschaft tatsächlich noch wenig mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Die regulatorischen Veränderungen werden die Vermittlerschaft nun zu einer Reaktion zwingen. Das bedeutet aber auch: die intrinsische Motivation dürfte häufig auf der Strecke bleiben. Eine proaktive Umstellung im Vermittlerbetrieb wird nur von wenigen Vermittlerinnen und Vermittlern konsequent verfolgt.

Wie erklären Sie sich denn dieses gering ausgeprägte Interesse?

GB Ich glaube, dass dieses Interesse von der Altersstruktur in der Vermittlerschaft beeinflusst wird. Der Vermittler, der heute um die 60 Jahre alt ist, sagt sich natürlich: „Ich betreibe mein Büro noch fünf Jahre und dann verkaufe ich es.“ Völlig klar, dass dieser Vermittler Nachhaltigkeit nicht mehr anpackt. Gleichzeitig bin ich mir sehr sicher, dass unter den 30- bis 35-jährigen Vermittlerinnen und Vermittlern ein deutlich höherer Anteil den Fokus auf Nachhaltigkeit setzt.

VH Aus meiner Sicht erzeugt das Zusammenspiel aus Wissens­defiziten und reaktivem Verhalten dieses geringe Interesse. Nachhaltigkeit ist recht komplex. Das beginnt bei allerlei Fachbegriffen und umweltbezogenen Zusammenhängen und endet bei einer Regulierung, die noch nicht abgeschlossen ist. Noch dazu muss ich als Vermittler eine authentische Sprache entwickeln, die auch junge Menschen anspricht. Diese komplexe Gemengelage produziert einfach eine reflexhafte Abwehrhaltung unter der Vermittlerschaft …

GB … apropos Wissensdefizite: Hier gibt es auch ein Wertschätzungsproblem: Bei wirklich guten Ausbildungsangeboten, die rasch einen vierstelligen Betrag kosten können, ebbt die Weiterbildungs­bereitschaft stark ab ...

… womit wir wieder beim Thema intrinsische Motivation wären …

GB … genau, man erkennt immer wieder: Diese entscheidende intrinsische Motivation beim Thema „Nachhaltigkeit“ ist einfach nicht sehr ausgeprägt.

 
Ein Interview mit
Gottfried Baer
Volkmar Haegele