Mit Urteil vom 10.07.2025 hat das Landgericht (LG) Kleve verschiedene Fragen zur Berufsunfähigkeitsversicherung entschieden. Interessant ist dabei unter anderem die Behandlung des sogenannten Progressionsschadens in der Einkommensteuer, der entsteht, wenn Leistungen nicht laufend, sondern erst verspätet in einer Summe ausgezahlt werden. Darauf weist auch Peter Dörrenbächer, Fachanwalt für Versicherungsrecht, in einem aktuellen Beitrag auf anwalt.de hin.
Als Leitsatz hat das Gericht Folgendes formuliert: „Wenn sich der Berufsunfähigkeitsversicherer mit der Auszahlung der Berufsunfähigkeitsrente im Verzug befindet, hat der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Ersatz der durch die kumulierte Auszahlung mehrerer Renten entstehenden höheren Einkommensteuer (Progressionsschaden).“
Langer Rechtsstreit um Berufsunfähigkeit führt zur Nachzahlung
Zum Fall: Ein Bautechniker machte Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung geltend. Nach Ablehnung vonseiten des Versicherers und langer medizinischer sowie gerichtlicher Auseinandersetzung kam das Gericht auf Basis eines Gutachtens zu dem Ergebnis, dass der Versicherungsfall aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung eingetreten sei. Der Versicherer musste nun rückständige Rentenzahlungen an den Mann auszahlen. Mit Zinsen und vom Versicherten zu viel bezahlen Beiträgen belief sich die Summe auf etwas mehr als 70.000 Euro.
Verzugsschadenprinzip: Progressionsschaden ist ersatzfähig
Diese Nachzahlung führte dazu, dass in dem Jahr der Auszahlung das zu versteuernde Einkommen des Mannes stark anstieg. Die Folge war eine höhere Steuerbelastung. Das Gericht hat entschieden, dass dieser sogenannte Progressionsschaden ersatzfähig ist, wenn der Versicherer seine Leistungspflicht schuldhaft verzögert oder verweigert (Verzugsschadenprinzip). Der Versicherer muss daher nicht nur die Renten und die Beitragsrückerstattung zahlen, sondern auch den durch die verspätete Zahlung verursachten Steuerschaden.
Steuerliche Erfassung von BU-Renten nach Zuflussprinzip
„Der Gesetzgeber behandelt BU-Renten steuerlich nach dem Zuflussprinzip (§ 11 EStG). Das bedeutet: Die Rente wird erst in dem Jahr versteuert, in dem sie tatsächlich auf dem Konto landet – nicht in dem Jahr, für das sie bestimmt war“, erklärt Anwalt Peter Dörrenbächer. Er rechnet vor: Eine monatliche BU-Rente von 2.000 Euro würde bei einem Steuersatz von 25% zu einer jährlichen Steuerlast von 6.000 Euro führen. Werden aber drei Jahresrenten, in dem Fall rund 70.000 Euro, auf einmal gezahlt, kann der Spitzensteuersatz von 42% greifen. Damit explodiere die Steuerlast auf über 20.000 Euro.
Progressionsschaden kann per Feststellungsklage geltend gemacht werden
Aus Sicht des Anwalts ist ein weiterer Aspekt des Urteils besonders praxisrelevant: Den Progressionsschaden könnten Versicherte bereits im Wege der Feststellungsklage geltend machen, bevor der konkrete Schaden überhaupt bezifferbar ist. Niemand wisse, wie lange es dauert, bis der Versicherer zahlt und wie hoch die Steuerlast dann ausfällt. Diesbezüglich beuge man auch einer möglichen Verjährung vor. (bh)
LG Kleve, Urteil vom 10.07.2025 – Az: 6 O 1/22
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