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26. September 2025
Anscheinsbeweis entfällt: Fifty-fifty-Haftung bei Kreuzungsunfall
Anscheinsbeweis entfällt: Fifty-Fifty-Haftung bei Kreuzungsunfall

Anscheinsbeweis entfällt: Fifty-fifty-Haftung bei Kreuzungsunfall

An einer Kreuzung kam es zu einem Unfall, der vor dem Landgericht Stralsund verhandelt wurde. Beide Beteiligten hatten demnach Verkehrsverstöße begangen. Das Gericht hob den Anscheinsbeweis auf und sprach beiden Parteien eine Fifty-fifty-Haftung zu.

In dem Urteil des Landgerichts (LG) Stralsund vom 26.06.2025 ging es um einen Verkehrsunfall an einer Kreuzung, bei dem beide Parteien Verkehrsverstöße nachgewiesen wurden. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kollision an einer Kreuzung wartepflichtig und fuhr auf der bevorrechtigten Straße, während die Beklagte links abbog und dabei die Kurve schnitt.

Der Kläger behauptete, er sei mit der Fahrzeugfront bis an die Haltelinie der Straße herangefahren und dort vollständig zum Stehen gekommen. Sein Fahrzeug habe sich im Kollisionszeitpunkt nicht mehr bewegt. Zu dem Zusammenstoß sei es nur gekommen, weil die Beklagte die Kurve massiv „geschnitten“ habe. Bei dieser Sachlage hafte die Beklagtenseite, also die Fahrerin und ihr Haftpflichtversicherer, allein.

Die gegnerische Partei ging jedoch von einer Alleinhaftung der Klägerseite aus. Tatsächlich habe nämlich die Beklagte den Einmündungsbereich nicht geschnitten. Vielmehr sei sie in einer weitläufigen Kurvenbewegung äußerst rechts gefahren. Zum Zusammenstoß sei es letztlich nur gekommen, weil der Kläger die Vorfahrt der Beklagten missachtet habe.

Entscheidung des Gerichts: Fifty-fifty-Haftung

Nach sorgfältiger Untersuchung des Falls kam das Landgericht zu dem Urteil, dass sich für beide Seiten eine hälftige Mithaftung ergebe.

Dass der Unfall für eine der beiden Seiten unabwendbar, also auch für einen sogenannten Idealfahrer nicht zu vermeiden gewesen wäre, hat sich demnach nicht bestätigt. Der Gerichtssachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Unabwendbarkeit für jede Seite denkbar und jeweils nicht ausschließbar erscheine, aber eben nicht positiv festgestellt werden könne.

Anscheinsbeweislagen beiderseits neutralisiert

Des Weiteren beschäftigte sich das Gericht mit dem Anscheinsbeweis. Im Verkehrsrecht gilt für Unfälle an Kreuzungen häufig der sogenannte Anscheinsbeweis zugunsten des Unfallgegners: Wer Vorfahrt hat, wird zunächst als unfallfrei angesehen, während der Abbieger in der Beweislast steht, den Unfall nicht verschuldet zu haben. In diesem Fall konnte das Gericht jedoch feststellen, dass der Kläger selbst gegen Verkehrsregeln verstoßen hatte, indem er sich nicht korrekt auf seiner Fahrspur hielt. Dadurch wurde der volle Schutz des Anscheinsbeweises aufgehoben.

Auch die Kosten des Rechtsstreits wurden entsprechend geteilt. Das Urteil zeigt, dass der Anscheinsbeweis zwar ein starkes Beweismittel ist, seine Wirkung aber entfällt, wenn der Vorfahrtberechtigte selbst gegen Verkehrsregeln verstößt. Zum anderen unterstreicht die Entscheidung, dass bei wechselseitigen Verkehrsverstößen die Haftung nicht automatisch allein beim Abbieger liegt, sondern die tatsächliche Verantwortung der Beteiligten genau geprüft werden muss. (bh)

LG Stralsund, Urteil vom 26.06.2025 - Az: 2 O 261/24