Herr Prof. Dr. Hackethal, SAFE hat im April ein Working Paper zu den Folgen der zunehmenden Aktiengeschäfte per Smartphone veröffentlicht. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?
Zunächst einmal, dass das mobile Trading bereits mit der Einführung entsprechender Apps klassischer Broker an Bedeutung gewonnen hat. Es ist also kein komplett neues Phänomen, sondern schon seit einigen Jahren vorhanden. Die Apps werden aber immer einfacher und trennen sich immer stärker von den Desktop-Varianten. Insgesamt hat sich der Trend zum Traden via Smartphone zudem verstärkt.
Welche Rolle spielen Neobroker wie TradeRepublic dabei?
Neobroker sind die logische Konsequenz dieser Entwicklung, weil sie nur mobil arbeiten. Besonders spannend ist aber der hybride Kunde. Die große Mehrzahl nutzt verschiedene Kanäle. Daraus ergibt sich die spannende Frage, ob die Menschen am Smartphone anders handeln als am Desktop.
Tun sie das?
Ja. Das Smartphone verleitet Menschen dazu, riskantere Geschäfte einzugehen wie etwa den Kauf von Lottery Stocks. Börsen sind keine Lotterien, aber es gibt Aktien, die wie Lotterien sind. Sie bieten eine große Wahrscheinlichkeit, Verluste zu machen, und eine kleine Wahrscheinlichkeit, große Gewinne zu machen. Menschen handeln am Smartphone viel impulsiver. Abends bei einem Glas Wein wird dann schnell mal noch etwas getradet, ohne sich Gedanken zu machen.
Warren Buffett hat in diesem Zusammenhang von einer casinoähnlichen Atmosphäre gesprochen …
Ein Casino ist es nicht unbedingt. Aber solche Aktiengeschäfte sind vermutlich für Leute, die sonst vielleicht ins Casino gehen würden. Wir führen derzeit unter anderem eine Studie durch, in der wir der Frage nachgehen, inwieweit Neobroker als Ersatz für Sportwetten gedient haben, nachdem viele Sportevents als Wettgrundlage pandemiebedingt ausgefallen sind. Haben diese Leute dann auf Aktien gewettet? Das wäre dann zumindest eine naheliegende Hypothese.
Hat das auch Folgen für die langfristige Geldanlage wie etwa für die Altersvorsorge?
Die Vereinfachung des Tradens, reduzierte Kosten und der soziale Aspekt, dass Trades leichter geteilt werden, hat zunächst einmal die Marktzutrittsbarrieren für viele Menschen gesenkt. Die psychologischen und finanziellen Kosten sind deutlich gesunken. Dadurch beschäftigen sich mehr Menschen mit Kapitalanlage.
Verbrennen die sich aber nicht direkt die Finger und bleiben dann wieder weg vom Kapitalmarkt?
Neueinsteiger machen natürlich auch negative Erfahrungen. Es besteht aber die Hoffnung, dass gerade die Jüngeren zunächst mit kleineren Beträgen arbeiten und sehen, dass Kapitalmärkte kein Teufelszeug sind. Die meisten werden relativ schnell feststellen, dass Zockereien wie GameStop zwar Spaß machen, aber für die Altersvorsorge nicht taugen. Dafür suchen sie sich dann eher solide Investments. Das zeigt auch der zweite riesige Trend: ETF-Sparpläne. Damit kann mobiles Trading zur Eingangstür für einen kapitalbasierten Vermögensaufbau und auch zu Versicherungslösungen mit einer Kapitalmarktkomponente werden.
Hypes wie GameStop haben auch gezeigt, wie fragil die Situation teilweise noch ist. Wie sinnvoll ist es, wenn Neobroker den Handel bestimmter Aktien aussetzen wie zeitweise bei GameStop?
Es ist nicht die Aufgabe eines Brokers zu entscheiden, was gehandelt werden darf oder nicht. Das wäre aufsichtsrechtlich auch gar nicht zulässig. GameStop war in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall, aus dem sich lernen lässt. Unsere Studie hat jedenfalls gezeigt, dass Aktien, über die man redet, beim mobilen Trading eine noch größere Rolle als am Desktop spielen. Es gibt kaum einen Anbieter, bei dem die Top- und Flop-Listen nicht relativ prominent auf dem Bildschirm eingebunden sind. Das gab es zwar schon immer, auf Smartphones ist allerdings weniger Platz auf dem Screen. Es ist aber kein reines Anlagephänomen. Amazon weist Kunden auch darauf hin, was andere kaufen.
Da kann man die Bestellung aber im Zweifel einfach stornieren. Die Aktie hat man dann und im Zweifel auch die Verluste. Wie könnte man dem impulsiven Handeln entgegentreten?
Auch da kann man sich an Amazon orientieren. Wenn ich abends den Impuls spüre zu traden, kann ich die Aktie erst einmal auf eine imaginäre Merkliste setzen und eine Nacht darüber schlafen. Am nächsten Tag wird man dann oft zum Entschluss kommen, dass man das Geschäft gar nicht so dringend machen will. Es ist bei Aktien schließlich selten so, dass es heute die Chance des Lebens gibt, für die es morgen schon zu spät ist.
Verändern mobile Trading, Neobroker und Co. auch die Rolle professioneller Vermittler?
Neobroker und mobile Trading an sich sind natürlich eine Konkurrenz. Bei den meisten Vermittlern lautet die Devise jedoch „Matching people with portfolios“. Mit anderen Worten: Wie bekomme ich den Match hin zwischen einem Portfolio aus Wertpapieren und Versicherungskomponenten und der einzelnen Person oder Familie? Dieser auch psychologische Service ist bisher noch dem Menschen vorbehalten. Rein den aktiven Fonds oder die klassische Kapital-Lebensversicherung zu verkaufen, hat dagegen keine Zukunft.
Neben Neobrokern gibt es in diesem Jahr einen weiteren Anlagetrend: SPACS. Was halten Sie von diesem Trend?
Der SPACS-Trend ist vor allem eine der vielen Folgen der großen Suche von Kapital nach Verwendung. Nüchtern betrachtet ist das kein revolutionäres neues Anlagemodell, sondern nur eine neue Strukturierung – und diese schafft an sich noch keine Rendite. SPACS nehmen noch nicht einmal Transaktionskosten raus, im Gegenteil. Der einzige erkennbare Vorteil ist, dass man ein Vehikel hat, das schon an den Börsen notiert und somit schnell handelbar ist.
Nicht nur in SPACS, sondern auch in Kryptowährungen ist viel Geld geflossen. Sie sind aber auch weiterhin sehr umstritten. Sind Kurse von 50.000 Dollar pro Bitcoin aus Ihrer Sicht noch lange nicht das Ende oder eine substanzlose Blase?
Bei vielen neuen Anlagethemen geht es um Geschichten. Das gilt auch für Kryptowährungen. Der Wert von Bitcoin ist im Grunde durch nichts gestützt. Streng genommen kann man das auch über Zentralbankgeld und selbst über Gold sagen, aber bei diesen beiden herrscht ein historischer gesellschaftlicher Konsens, dass dahinter bestimmte Werte stecken.
Wenn es keinen Wert gibt, woran kann man sich dann orientieren?
Der Economist hat dazu eine Rechnung aufgestellt. Wenn man den Gesamtwert des Goldes auf der Welt zusammenzählt und Bitcoin würde Gold als vermeintlichen Inflationsschutz und sicheren Hafen ablösen, wäre der Gleichgewichtspreis von Bitcoin 120.000 Dollar. Durch diese Zahl wird eine Erzählung daraus. Die Geschichte lautet: Bitcoin löst Gold ab. Und dann ist man bei einem Preis von 120.000 Dollar. Das kann man weitererzählen und das macht es greifbar. Ansonsten wäre alles vollkommen willkürlich.
Also Bitcoin weiter Richtung 120.000 Euro?
Diese Rechnung wäre zu einfach. In dem Moment, wo die ersten abziehen und den Glauben verlieren, kann die Geschichte auch schnell implodieren. Es könnte zudem gut sein, dass Bitcoin reguliert wird, zum Beispiel aufgrund des immensen Stromverbrauchs, der damit verbunden ist. Wer nachhaltig anlegen will, kann keine Bitcoins aufnehmen. In Zukunft könnte es auch beispielsweise einen digitalen Euro oder Dollar geben, der Bitcoin ablöst. Trotz einer scheinbar greifbaren Story bleibt Bitcoin daher mit immensen Risiken behaftet.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 06/2021, Seite 48 f., und in unserem ePaper.
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