AssCompact suche
Home
Steuern & Recht
16. Juli 2022
„In der Provisionszahlung steckt selbst eine Art Versicherung“

1 / 2

Hand holding megaphone over chalkboard background with copy space

„In der Provisionszahlung steckt selbst eine Art Versicherung“

Die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA hat eine Konsultation zum Kleinanlegerschutz gestartet. Steht damit erneut eine Debatte um ein Provisionsverbot in der EU an? AssCompact hat beim BDVM nachgefragt, der über den Dachverband BIPAR selbst an einer Stellungnahme mitgewirkt hat.

Ein Interview mit Dr. Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender Vorstand beim Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler e.V.
Herr Dr. Jenssen, täglich grüßt das Murmeltier: Steht die Branche mit der EIOPA-Konsultation zu Versicherungsanlageprodukten vor einer erneuten Debatte rund um ein Provisionsverbot?

Viele Menschen glauben, dass, wenn man auf ein Honorar-system umsteigen würde, sich alle Probleme im Vermittlungsgeschäft von selbst erledigen würden. Gucken wir uns doch mal Branchen an, wo gegen Honorar bezahlt wird: Anwälte zum Beispiel. Warum gibt es regelmäßig BGH-Urteile zu fehlerhaften oder sogar aufgeblähten Honorarabrechnungen? Warum gibt es diese Probleme, wenn doch das Honorarsystem eindeutig überlegen sein soll? Dieser Glaubenssatz ist einfach eine Illusion. Und diese Illusion jedes Mal, wenn wieder eine Konsultation zu diesem Thema ansteht, in den Griff zu bekommen, ist mühsam, aber für den BDVM ungemein zentral und wichtig.

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ein generelles Verbot bei der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten ist damit wieder auf dem Tisch. Ob es ein generelles Provisionsverbot geben wird, der Pfad in Richtung Honorarberatung eingeschlagen wird oder alles so bleibt, wie es ist, das ist offen. Sicher ist nur: Die Konsultation wird etwas bewegen und auch etwas verändern.

In der Diskussion um die Vergütungsmodelle wurden schon einige Argumente ausgetauscht. Kurz und knapp: Warum noch mal ist das Provisionssystem vorteilhaft?

Das provisionsbasierte Vergütungsmodell ist das sozialere System, denn in der Provisionszahlung steckt im Kern bereits eine Art Versicherung! Wenn ein Versicherungsnehmer im Beratungs- oder Regulierungsfall Support braucht, dann bekommt er die Unterstützung vom Vermittler und die Leistung muss nicht extra bezahlt werden. Das heißt, diejenigen, die keinen Schaden haben, zahlen vielleicht einen Tick zu viel; die, die einen Schaden erlitten haben, zahlen aber massiv zu wenig. Wenn man sich nun an einen Honorarberater wenden muss, dann sagt der: „Das ist überhaupt kein Problem. Pro Stunde 145 Euro plus Mehrwertsteuer und ich bin gerne für dich da.“ Wenn der Versicherungsnehmer also zusätzliche Belastungen am wenigsten braucht, das heißt vor allem im Schadenfall, dann würde in einem honorarbasierten System die höchste Rechnung anfallen. Außerdem garantiert das Provisionssystem einen niederschwelligen Zugang zur Versicherungs- und Finanzberatung für alle Menschen.

Wenn in dieser Debatte über die unterschiedlichen Vergütungssysteme sozialer Sprengstoff drin ist, warum führen wir sie dann überhaupt?

Die Debatte wird geführt, weil man die Kosten für die Vermittlung der Produkte reduzieren will. Dabei wurde sich über die Kostenbelastung lange Zeit gar kein Kopf gemacht. Erst mit dem mittlerweile jahrelang anhaltend niedrigen Zinsniveau wird die Kostenbelastung relevant. Parallel dazu prangern beim Thema Provisionen insbesondere die EIOPA – die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung – und die EU-Kommission die Interessenkonflikte zwischen Vermittlern und Versicherern an. Die Versicherer besitzen zudem häufig keine Vertriebsstrukturen mehr, Steuerung, Kontrolle und Verwaltung wurden vollständig ausgelagert. Die neuen Strukturen müssen vom Kunden bezahlt werden und das kostet Geld. Wenn der Versicherer den Vertrieb wieder selbst steuern würde, dann könnte die reine Vermittlung etwas günstiger werden. Ein Stück weit handelt es sich aber auch um eine ideologische bzw. dogmatische Debatte.

Also liegen die hohen Kosten nur an den Versicherern? Die EIOPA spricht schließlich auch von „einer Bekämpfung schädlicher Interessenskonflikte im Verkaufsprozess“.

Ich denke, der Vertrieb ist insgesamt zu teuer, ja. Da muss man sich auch an die eigene Nase fassen. Weiterbildung, Beratungsdokumentation, Verträge auf Papier: Da darf man sich nicht wundern, wenn die Kosten weiter steigen. Und sicher: Das Provisionssystem hat auch immer wieder zu Exzessen geführt. Das braucht keiner zu beschönigen. Wir hätten in Deutschland – das möchte ich ganz deutlich sagen – auch deutlich weniger Probleme, wenn wir 2018/2019 die Deckelung der Provision zum Beispiel auf 4% zugelassen hätten. Aber zur Klarstellung: Es ist mitnichten der Fall, dass ein Makler nur provisionsgetrieben Produkte vermittelt. Und genau diesen Punkt versucht der BDVM zusammen mit der Dachorganisation BIPAR – der europäischen Vereinigung der Versicherungsvermittler – sowohl den Europaabgeordneten als auch der EU-Kommission und EIOPA zu verdeutlichen.

Warum überhaupt hat die EIOPA eine Konsultation zum Schutz des Kleinanlegers gestartet?

Übergeordnetes Ziel der EU-Kommission ist die Kapitalmarktunion – also eine Vertiefung der Kapitalmärkte in den EU-Mitgliedsstaaten. In direktem Zusammenhang damit steht die „Retail Investment Strategy“ der EU, die Zugang und Beteiligung von Kleinanlegern an den Kapitalmärkten verbessern soll. Privates Kapital soll dadurch verstärkt mobilisiert und dem Unternehmenssektor zur Verfügung gestellt werden, auch um die ökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie zu mildern.

Was genau guckt sich denn die EIOPA im Markt für Kleinanleger an?

Im Fokus der EU stehen Unterschiede bei Kosten und Beratung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten in der Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten, wozu zum Beispiel eine fondsgebundene Lebensversicherung zählt. Hier will man EU-weite Standards etablieren und bestehende Unterschiede beseitigen. Bei diesem EU-Vorhaben arbeiten die jeweiligen EU-Aufsichtsbehörden wie die EIOPA mit, die anders als die nationalen Aufsichtsbehörden auch eine Art politischen Auftrag haben. Die EU-Aufsichtsbehörden sind nicht nur zur Kontrolle der Märkte da, sondern immer auch zur Politikberatung. Das nutzt die EIOPA „eiskalt“ aus.

Seite 1 „In der Provisionszahlung steckt selbst eine Art Versicherung“

Seite 2 Wie ist die EIOPA-Konsultation angelegt und wie praxistauglich waren die Fragen?

 
Ein Interview mit
Dr. Hans-Georg Jenssen