Interview mit Betina Kirsch, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands der Versicherungsunternehmen in Deutschland e. V. (AGV)
Frau Kirsch, beginnen wir mal ganz vorn: Was ist eigentlich unter dem Begriff „New Work“ speziell auf die Versicherungswelt bezogen zu verstehen?
„New Work“ steht für einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitskultur, der von partnerschaftlichem Miteinander und Augenhöhe geprägt ist. Arbeitgeber sind heute viel offener, auf individuelle Lebensbedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen. Ein zentrales Element ist die Flexibilisierung der Arbeitsorte. Home-Office ist längst zur Regel geworden: Beschäftigte in unserer Branche arbeiten im Durchschnitt zwei bis drei Tage pro Woche mobil, in der IT sind sogar oft bis zu fünf Tage möglich. Die hybride Zusammenarbeit von Teams gehört mittlerweile zum Standard. Viele Versicherungsunternehmen bieten inzwischen sechsmonatige Sabbaticals an, und bei fast 60% der Unternehmen ist Mobilarbeit im Ausland möglich.
Ein wichtiger Aspekt von New Work ist die wertschätzende Führung. In vielen Versicherungsunternehmen ist das Du untereinander inzwischen gelebte Praxis und Ausdruck einer modernen Führungskultur.
Was würden Sie sagen: Wem nützt New Work ganz besonders? Ermöglicht New Work mehr gesellschaftlichen Gruppen die Teilhabe an der Arbeitswelt?
New Work nützt allen – aber in ganz unterschiedlicher Weise. Ganz besonders profitieren Menschen in der sogenannten „Rushhour des Lebens“ – also in Phasen, in denen Beruf, Kindererziehung oder auch die Pflege von Angehörigen unter einen Hut gebracht werden müssen. Das betrifft häufig Frauen, die in vielen Haushalten nach wie vor den Großteil der familiären Verantwortung tragen. Für sie ist Flexibilität kein „Nice-to-have“, sondern eine Voraussetzung, um überhaupt „vollzeitnah“ arbeiten zu können. Flexible Arbeitszeitkorridore und der Wegfall von Pendelzeiten ermöglichen es auch Männern, Kinderbetreuung und Haushalt partnerschaftlich besser mitzutragen.
Zugleich sehen wir, dass ältere Beschäftigte von den neuen Möglichkeiten profitieren – etwa wenn sie nach Renteneintritt weiterarbeiten möchten, aber in geringerem Umfang. Auch für die Generation Z hat New Work klare Vorteile – allerdings mit anderen Schwerpunkten. Während Flexibilität grundsätzlich begrüßt wird, erleben wir bei vielen Jüngeren ein starkes Bedürfnis nach sozialem Austausch und echten Erlebnissen im Büro. Teamtage oder informelle Office-Events werden von ihnen besonders geschätzt. Das zeigt: New Work ist kein One-size-fits-all-Konzept, sondern muss verschiedene Bedürfnisse vereinen.
Natürlich ist New Work auch ein strategischer Hebel für Arbeitgeber. Im Wettbewerb um Talente ermöglicht es, den Radius bei der Personalsuche zu erweitern – weil etwa Pendelzeiten keine Rolle mehr spielen oder Teilzeitkräfte durch flexible Modelle ihre Stunden leicht aufstocken können.
Seite 1 „New Work nützt allen – aber in ganz unterschiedlicher Weise“
Seite 2 Funktioniert New Work generell für alle Mitarbeitenden im Unternehmen? Und wie können Arbeitgeber unterschiedlichen Beschäftigtengruppen passgenaue Angebote machen?
Seite 3 Beobachten Sie denn auch eine Gegenbewegung zum New-Work-Trend? Stichwort: verpflichtende Rückkehr ins Büro oder sogar eine 6-Tage-Woche?

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