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13. Juli 2021
Aufklärungsbedürftige Risiken bei Kapitalanlage in Sachwerten

Aufklärungsbedürftige Risiken bei Kapitalanlage in Sachwerten

Während zahlreiche Gläubiger die ersten Abschlagszahlungen aus der Insolvenzmasse erhalten, beschäftigt der P&R-Skandal weiterhin die deutschen Gerichte. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Kleve nimmt auch Vermittler in die Haftung. Rechtsanwalt Jürgen Evers überzeugt die Urteilsbegründung nicht.

Das Landgericht (LG) Kleve hatte sich damit zu befassen, welche aufklärungsbedürftigen Risiken bei Sachwertanlagen bestehen (Urteil vom 22.12.2020 – 4 O 326/19). Der Fall zeigt, dass Instanzgerichte in dieser Frage von einem Konsens weit entfernt sind.

Was war passiert?

Ein Anleger forderte Schadensersatz für seine missglückte Kapitalanlage in Seefrachtcontainer des mittlerweile insolventen Emittenten P&R. Als Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG verfügte er über ein Anlagevermögen von rund 420.000 Euro. Seine Risikobereitschaft war in einer Basisanalyse mit „ausgewogen“ beschrieben. Er wurde als „Risikotyp 3“ eingestuft. Danach erwarte er zwar höhere Erträge, aber nicht um jeden Preis. Werteinbußen sei er zwar bereit, in gewissem Maße temporär in Kauf zu nehmen. Prinzipiell sollten Ertragschancen und Risiken aber in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Der Anleger erwarb 19 Container zum Kaufpreis von 38.570 Euro. Über die Vermögen der Gesellschaften der Unternehmensgruppe der Emittentin wurde im Juli 2018 das Insolvenzverfahren eröffnet. Dabei stellte sich heraus, dass rund 1 Million der buchmäßig erfassten 1,6 Millionen Container tatsächlich nicht existierten. Die Schadensersatzklage des Anlegers war erfolgreich.

Beratungspflichten richten sich nach Person und Anlageziel

In der Begründung ließ sich die Zivilkammer des Gerichts von folgenden Erwägungen leiten: Inhalt und Umfang der Beratungspflichten bei der Vermittlung einer Kapitalanlage seien von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen. Die konkrete Gestaltung der Beratungspflicht hänge maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab. Bezogen auf die Person des Anlegers sei dies insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft, ob es sich um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handele und welches Anlageziel er verfolge. Die Kenntnis davon könne der Berater aus langjährigen Geschäftsbeziehungen gewonnen haben. Verfüge er nicht über entsprechendes Wissen, müsse er Informationsstand und Anlageziel erfragen.

Ausschlaggebend für die Beratungsgestaltung sei gemäß Urteilsbegründung des Gerichts, ob das beabsichtigte Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage diene oder spekulativen Charakter habe. Eine empfohlene Kapitalanlage müsse unter Berücksichtigung des Anlegerziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, also „anlegergerecht“ sein. In Bezug auf das Anlageobjekt habe sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben. Über die mit der Kapital­anlage verbundenen Risiken sei aufzuklären. Nach der FinVermV seien folgende Risiken aufklärungspflichtig: das Risiko des Verlustes der gesamten Kapitalanlage; das Ausmaß von Preisschwankungen (Volatilität) und Beschränkungen des für solche Finanzanlagen verfügbaren Marktes; der Umstand, dass jeder Anleger aufgrund von Geschäften mit den betreffenden Finanzanlagen möglicherweise finanzielle und sonstige Verpflichtungen einschließlich Eventualverbindlichkeiten übernehmen muss, die zu den Kosten für den Erwerb der Finanzanlagen hinzukommen; Einschusspflichten oder ähnliche Verpflichtungen sowie die Möglichkeit, dass dem Anleger aus den Geschäften weitere Kosten und Steuern entstehen können.

Erhebliche Risiken bei der Anlage in Seefrachtcontainer

Welches Anlageziel der Anleger konkret verfolgt habe, ließ die Kammer offen. Jedenfalls sei er nicht über die Risiken seiner Investition aufgeklärt worden, weshalb er nicht anlagegerecht beraten worden sei. Ein Anleger, der Geld in den Kauf von Seefrachtcontainern investiere, müsse darauf hingewiesen werden, dass auch nach der mit dem Anlagemodell vorgesehenen Eigentumsverschaffung an den Containern ein erhebliches Risiko durch die Haftung für den Container und nicht bezahlte Standgebühren bestehe, das über den Totalverlust hinaus bis zur Privatinsolvenz des Anlegers gehen könne.

Entscheidung kann nicht überzeugen

Die Kammer ließ sich von früheren in eine ähnliche Richtung weisenden Entscheidungen leiten. Diese krankten ausnahmslos daran, dass sie sich nicht damit auseinandersetzten, dass bei der Vermittlung von Sachwertanlagen zwischen relevanten und konzeptionell geringen (Rest-)Risiken zu unterscheiden ist. Ein Risiko ist konzeptionell gering, wenn der Investition des Anlegers ein Sachwert gegenübersteht. Dies waren im Streitfall die Seefrachtcontainer, die vertragsgemäß gegen Beschädigung, Verlust oder Diebstahl zu versichern und die zudem im Falle des Totalverlustes nach dem mit dem Emittenten geschlossenen Vertrag durch zu übereignende gleichwertige Container gleichen Typs und Baujahres zu ersetzen waren. Soweit es um die Risiken der Betriebsgefahr des Containers und etwaige Standgebühren geht, sind diese überhaupt nicht relevant, da nicht ersichtlich ist, dass der Sachwert der Container durch diese Kosten aufgezehrt werden könnte. Dem entspricht auch die Tatsache, dass diese theoretischen Risiken bei dem jahrzehntelang marktpräsenten Angebot des Emittenten nicht ein Mal praktisch geworden sind. Die Anlage scheiterte vielmehr an dem betrügerisch handelnden Management – ein nicht aufklärungsbedürftiges allgemeines Lebensrisiko. Die „Restrisiken“ der von der Kammer fest­gestellten Art sind ebenso allgemeiner Natur, Anlegern regelmäßig bekannt und damit nicht aufklärungsbedürftig. Hiervon abweichende tatsächliche Feststellungen hat die Kammer nicht getroffen. Das Risiko einer Privatinsolvenz des Anlegers war ohnehin abwegig, da dieser über ein Anlagevermögen in nicht unbeträchtlicher Höhe verfügte. Endlich hat die Kammer nicht geprüft, ob es auch an der Kausalität der Pflichtverletzung fehlt. Die Prüfung war geboten, da der Anleger ein Totalverlustrisiko in Kauf genommen hat, was dafür spricht, dass er die Anlage auch trotz weiterer mit ihr verbundener Gefahren – eher theoretischer Natur – gezeichnet hätte.

Über den Autor

Jürgen Evers ist Rechtsanwalt der Kanzlei EVERS Rechtsanwälte für Vertriebsrecht.

Den Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2021, Seite 110, und in unserem ePaper.

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Bild: © Viesturs – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Jürgen Evers