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5. August 2025
Aufsicht rügt Versicherer für Vertrieb von Nettopolicen
Aufsicht rügt Versicherer für Vertrieb von Nettopolicen

Aufsicht rügt Versicherer für Vertrieb von Nettopolicen

Die BaFin hat Kritik am Vertrieb von Nettoprodukten geäußert. Insbesondere bei der Beratung und der Bewertung des Kundennutzens sieht die Aufsichtsbehörde teilweise gravierende Mängel. Sie sieht hier nicht nur die Vermittler, sondern auch die Versicherer in der Pflicht.

Die Finanz- und Versicherungsaufsicht BaFin ist mit dem Vertrieb von Netto-Versicherungsanlageprodukten nicht zufrieden. In einer Untersuchung von 22 Versicherern hat die BaFin analysiert, ob sich die Unternehmen beim Vertrieb von Nettoprodukten an die Regeln zum Schutz von Kunden halten. Zwei der befragten Unternehmen haben sich dabei auf den Vertrieb von Nettoprodukten spezialisiert, die anderen vertreiben deutlich mehr Bruttoprodukte. Die Ergebnisse der Befragung seien „nicht zufriedenstellend“, so die Aufsicht.

Ein Bruttoprodukt ist laut Definition der BaFin ein Produkt, das bereits in der Kalkulation eine Versicherungsprovision enthält, ohne dass diese gesondert vergütet wird. Als Nettoprodukt definiert die Aufsicht ein Produkt, das ohne Zuwendungen an den Versicherungsvermittler kalkuliert ist. Daher wird der Vermittler auf Honorarbasis bezahlt. Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Nettoprodukt“ gibt es jedoch nicht, wie die BaFin mitteilt.

Gesetzlicher Schutz läuft bei Nettopolicen „ins Leere“

Die an der Abfrage beteiligten Versicherer sehen die Verantwortung für die Beratung bei den Vermittlern. Das ist der BaFin ein Dorn im Auge – die Aufsicht möchte, dass Versicherer sicherstellen, dass die Unterschiede zwischen Brutto- und Nettopolicen in der Beratung „ausreichend berücksichtigt“ werden.

Meistens führen die Unternehmen nur die unterschiedliche Art der Kostenbelastung der beiden Produktarten auf. Das ist laut der Aufsicht aber nicht ausreichend. Denn wenn Kunden Verträge von Bruttoprodukten in den ersten fünf Jahren kündigen, profitieren sie von einem gesetzlichen Schutz: Die einkalkulierten Abschlusskosten sind in diesem Fall gedeckelt. Bei der Berechnung des Rückkaufswerts zahlt der Kunde nur die anteiligen Abschlusskosten für den Zeitraum bis zur Kündigung.

Diese gesetzliche Regelung gilt zwar für Brutto- und Nettoprodukte gleichermaßen. Doch sie läuft bei der von Kunden gezahlten Vergütung für die Vermittlung eines Nettoprodukts ins Leere – denn die Vergütung, die Kunden direkt an Vermittler zahlen, sind laut der gesetzlichen Regelung keine Abschlusskosten. Dies wird im Beratungsgespräch jedoch häufig nicht erwähnt, kritisiert die BaFin.

Versicherer muss Kundennutzen der Produkte beurteilen können

Auch kritisch sieht die BaFin, dass die Mehrheit der befragten Versicherer ihren Vermittlern keine Vorgaben zur maximalen Vergütungshöhe macht. Denn wenn die vereinbarte Vergütung dem Versicherer nicht bekannt ist, ist der Kundennutzen des Produkts fraglich bzw. kann vom Versicherer nicht beurteilt werden – das ist aber eine Anforderung, die das Versicherungsaufsichtsgesetzt (VAG) ausdrücklich formuliert.

Mehrheit der befragten Unternehmen kann Kick-backs nicht ausschließen

Noch gravierender sind laut der BaFin die Lücken beim Umgang mit sogenannten Kick-back-Zahlungen. Die Mehrheit der Versicherer hat keine Kenntnis darüber, ob Vermittler Rückvergütungen von Fondsgesellschaften erhalten. Nur vier der befragten Unternehmen konnten ausschließen, dass solche Zahlungen stattfinden.

Versicherungsunternehmen müssen aber prüfen, ob solche Kick-Back-Zahlungen unzulässige Fehlanreize schaffen könnten, dass Vermittler ihren Kunden nicht das geeignetste Produkt, sondern das mit der höchsten Rückvergütung anbieten.

Vermittler und Versicherer gleichermaßen in der Pflicht

Kunden sollten die Besonderheiten kennen, die Nettoprodukte im Vergleich zu Bruttoprodukten aufweisen. Nur so können sie eine fundierte Entscheidung treffen, ob diese für sie geeignet sind.

Hier sieht die BaFin nicht nur Vermittler in der Pflicht, sondern auch Versicherer. Sie müssen sicherstellen, dass Kunden hinreichend informiert sind und ihre gesetzlich festgelegten Interessen beachtet werden. Dazu gehöre auch, dass die Versicherer die Kostenbelastung der Kunden insgesamt in den Blick nehmen. Nur so können sie den Kundennutzen ihrer Produkte umfassend beurteilen.

Verbraucherschutz vermehrt im Fokus der BaFin

Die BaFin möchte sich in den nächsten Jahren vermehrt dem Verbraucherschutz widmen. Das hat sie auch in ihren strategischen Zielen für die Jahre 2026 bis 2029 festgeschrieben. Demnach will die Aufsicht die wesentlichen Risiken für Verbraucher im Finanzsektor identifizieren und geeignete Maßnahmen zum Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen ergreifen.

Die Aufsicht sieht den Verbraucherschutz als eine ihrer „Kernaufgaben“, wie Exekutivdirektorin der Versicherungs- und Pensionsaufsicht der BaFin, Julia Wiens, kürzlich im AssCompact Interview erklärte. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagte Wiens gegenüber AssCompact. „Wenn wir Anhaltspunkte haben, dass es bei Finanzunternehmen systematische Missstände gibt, dann gehen wir dem nach.“ (js)

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Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Martin Koszino… am 06. August 2025 - 09:49

Die Welt wird immer verrückter, vor ein paar Monaten ging es noch um Provisionsverbot und jetzt so ein Unfug! Wie realitätsfern kann man sein, zu behaupten, dass ein Kunde nicht verstehen würde, dass er ein Honorar oder eine Vermittlungsgebühr bezahlt, welches er aufgrund einer Rechnung auf das Konto eines Vermittlers oder eines Inkassodienstleisters überweist?
Die Tatsache, dass für die Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrages teilweise 8 Jahre Stornohaftung gelten, liegt ja nun nicht an den 2,5-4% Abschlusskosten, sondern an den teilweise absurd hohen übrigen Vertragskosten, auch wenn die teilweise Rückvergütung von Abschlusskosten bei Frühstorno dem Kunden langfristig überhaupt nichts bringt. Aus diesem Grund sind Nettopolicen ja überhaupt erst entstanden.

Wollen nun BAFin oder Versicherer dem Vermittler vorschreiben, ob er für seine Vermittlungs- und Beratungsleistung 3,4,5 oder 6% nehmen darf? Solche albernen Ideen können eigentlich nur von eingefleischten Vertretern des Provisionssystems kommen, die darauf aus sind, das alte System auf Biegen und Brechen zu erhalten. Einen gesetzlichen Schutz braucht es nicht, weil der Großteil der Nettopolicen mit sehr sehr niedrigen Kosten kalkuliert sind. Wer heute Nettopolicen vermittelt, hat per Definition das Wohl seines Kunden als oberste Priorität.
Eine Anmerkung zu den Kickbacks: Die Behauptung, Versicherer wüssten nicht, wer die Bestandsvergütung bei Fonds  bekommt, kann nur jemand glauben der erst seit gestern in der Branche ist, zumal Vermittler von Nettopolicen in der Regel auf  Fonds mit möglichst niedrigen Kosten setzen, z.B. ETF's. Ausnahmen mögen Fonds sein, die Banken oder Vertriebe auflegen, die dann in den Policen vermittelt werden. Ich glaube nicht, dass das dann Nettopolicen sind...