Herr Dr. Schluckebier, Sie sind seit letztem Jahr Versicherungsombudsmann, und das nach einer Karriere als Richter, die Sie sogar bis an den Bundesgerichtshof und an das Bundesverfassungsgericht geführt hat. Was hat Sie bewogen, dem Ruf an die Schlichtungsstelle zu folgen?
Zum einen war das die Überzeugung, nahe an den Alltagsproblemen vieler Menschen noch etwas zur Streitkultur und zum Rechtsfrieden beitragen zu können. Gereizt hat mich zum anderen auch, das unbürokratische, effektive und schnelle, privat organisierte Streitbeilegungsverfahren mitgestalten und erleben zu können. Beim Bundesverfassungsgericht, wie zuletzt am Ende meiner beruflichen Laufbahn, ist man als Richter doch häufig sehr weit weg von den Folgewirkungen der Entscheidungen. Das ist hier, beim Versicherungsombudsmann, ganz anders.
Die Versicherer haben sich verpflichtet, der Entscheidung des Ombudsmannes zu folgen – bis zu einem Streitwert von 10.000 Euro. Wie ist die Akzeptanz bei Schlichtungssprüchen mit einem höheren Streitwert?
Die Empfehlungen des Ombudsmanns bei Streitwerten zwischen 10.001 und 100.000 Euro werden von den Beteiligten überwiegend positiv aufgenommen. Sie erhalten so auch ein laienverständliches Rechtsgutachten. Die Empfehlungen und gutachtlichen Stellungnahmen sind oft auch Grundlage für weitere Verhandlungen zwischen den Beteiligten. Selbst wenn diese sich nicht einigen können, haben sie so eine solide rechtliche Grundlage für ihre Entschließung über ihr weiteres Vorgehen.
Beschwerden in der Rechtsschutzversicherung machen den zahlenmäßig größten Teil der Fälle Ihrer Schlichtungsstelle aus. Woran liegt das?
Im Jahr 2019 haben sich die Zahlen ein wenig verschoben: Immerhin aber ist die Rechtsschutzversicherung bei den Beschwerden die zweitstärkste Sparte hinter der Lebensversicherung. Das liegt an der gesellschaftlichen Entwicklung, aber auch an der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Immer mehr Menschen sind rechtsschutzversichert. Verschiedene Phänomene führen zu Konflikten, die bei den Rechtsschutzversicherern viele Deckungsanfragen auslösen. Hinzu kommen noch ungeklärte Rechtsfragen, oft solche nach der Reichweite und Auslegung von Risikoausschlussklauseln. Und der Bundesgerichtshof (BGH) entwickelt seine Rechtsprechung fort. Daraus resultieren ebenfalls Folgefragen, deren Beantwortung schwierig und umstritten ist. Jüngstes Beispiel ist die Spruchpraxis des BGH zur zeitlichen Einordnung des Rechtsschutzfalles in ihrer Relevanz etwa für die Zuordnung des Rechtsschutzfalles zu bestimmten Leistungsarten oder für die Geltung von Risikoausschlüssen. Konkret: Wenn ein Versicherungsnehmer Vertragsrechtsschutz vereinbart hat und er aus Vertrag in Anspruch genommen wird, nachdem zuvor jemand anderes unter seiner „gestohlenen Identität“ betrügerisch Internetgeschäfte unter seinem Namen gemacht hat und er sich gegen die Inanspruchnahme aus Vertrag verteidigen will , dann ziehen Versicherer zum Teil die Folgerung aus der neuen BGH-Rechtsprechung, der Fall sei nicht in der Leistungsart „Vertragsrechtsschutz“ versichert. Warum? Nach dieser Rechtsprechung komme es für die Bestimmung des Rechtsschutzfalls auf den Vortrag des sich verteidigenden Rechtsschutz-Versicherungsnehmers an. Der Versicherungsnehmer behauptet hier nun ja selbst gerade, es sei gar kein Vertrag mit ihm zustande gekommen. Deshalb sei also, so der Versicherer, kein Vertragsrechtsschutz gegeben. Das ist nur ein Beispiel für solche Folgeprobleme.
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