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20. Juni 2022
Female Finance: „Um eine Sonderbehandlung geht es nicht“

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Businesswoman holding a lightbulb with coins stack on table, saving energy and money concept

Female Finance: „Um eine Sonderbehandlung geht es nicht“

Also lohnt es sich, in jedem Alter noch mit dem Anlegen zu beginnen bzw. dazu zu beraten?

Selbstverständlich lohnt sich eine Beratung, insbesondere eine Finanzplanung, immer. Denn sie bietet zum einen nachvollziehbaren Überblick und ist somit die beste Basis für alle weiteren Entscheidungen.

Denn gerade in einem Umfeld aus Niedrigzinsen ist Kapitalanlage keine Kür, sondern schon lange Pflicht. Das eigentliche Mindestziel „Vermögens­erhalt“ kann nicht wie früher durch konservative „Sparstrategien“ erfüllt werden, sondern alle müssen sich in risikoreichere Anlagen bewegen, und zwar in jedem Alter. Mit zunehmendem Alter sinkt jedoch der Raum für Fehler bzw. deren Korrektur und je näher der Ruhestand rückt, desto höher ist das Vermögen, das es zu schützen gilt. Also kommt der Herleitung der Handlungsstrategie (bestehend aus Anlagestrategie und weiteren Aspekten wie zum Beispiel Asset Protection durch eine aktive Nachfolgeplanung) eine noch größere Bedeutung zu als in jungen Jahren.

Welche Unterschiede sollte denn der Finanzplan einer 25-Jährigen im Gegensatz zu dem einer 55-Jährigen aufweisen?

Typischerweise wird der Finanzplan einer 55-jährigen Frau schon allein aufgrund des höheren Alters und des damit verbundenen höheren Vermögens etwas umfangreicher ausfallen.

Hinsichtlich der Themen steht bei einer jungen Frau in erster Linie der Vermögensaufbau im Fokus. Um hier ein Ziel zu formulieren, ist aber auch bei einer so jungen Frau schon ein Blick auf die Ruhestandsplanung sinnvoll. Viele junge Frauen möchten wissen, wie viel Kapital sie zusätzlich zu anderen Einnahmen eigentlich benötigen, um eine gewisse monatliche Liquidität im Ruhestand sicherzustellen. Ein absolut sinnvoller Weg, sich der eigenen Anlagestrategie zu nähern, und außerdem hilfreich bei Gehaltsverhandlungen …

Hinzu kommt die Absicherung gewisser Risiken, von den klassischen biometrischen Risiken bis hin zu Fragen nach Eheverträgen und dem Ausgleich von Erziehungszeiten.

Bei älteren Frauen bleibt das Thema Ruhestandsplanung – je nach Vermögensgröße und Lebensstil – natürlich auch ein Schwerpunkt. Hier geht es oft mehr um den Erhalt des bereits aufgebauten Vermögens und durchaus auch um Fragen der aktiven Gestaltung einer Nachfolgeplanung.

Neben all Ihren Qualifikationen sind Sie außerdem Testamentsvollstreckerin (AGT). Wenn frau sich ein Vermögen aufgebaut hat, wie sieht denn dann eine gute Beratung zur Nachfolgeplanung aus?

Nach meiner Erfahrung lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass sich Frauen deutlich proaktiver mit dem Thema Nachfolgeplanung beschäftigen als Männer. Das Thema Testament brennt den meisten meiner Mandantinnen als ein Thema unter den Nägeln und kommt daher meist schon im ersten Gespräch auf den Tisch. Da kann es hier und da durchaus mal eine kleine Herausforderung sein, den Ehemann oder Lebenspartner mit ins Boot zu holen.

Dabei stellen alle Mandantinnen und Mandanten nach Umsetzung aller Aspekte der Nachfolgeplanung fest, wie erleichternd es ist, wenn alles geregelt ist.

Dabei ist es gerade für Frauen unheimlich wichtig, das Thema aktiv anzugehen und hier nichts dem Zufall oder der Verantwortung des Partners oder der Partnerin zu überlassen: Frauen leben statistisch gesehen länger, sind also mit höherer Wahrscheinlichkeit diejenigen, die mit den Folgen der gesetzlichen Erbfolge, einer verfrühten Schenkung oder anderen Zufälligkeiten leben müssen.

Wie ist Ihre Erfahrung mit Female Robos? Wie stehen Sie dazu? Ersatz, Ergänzung oder …?

Grundsätzlich gilt auch hier: Alles, was die Aufmerksamkeit für das Thema „Female Finance“ steigert und Frauen die Berührungsängste vor dem Thema Finanzen nimmt, finde ich sehr gut.

In den USA gibt es ein extrem erfolgreiches Beratungsunternehmen für Frauen, das zunächst als Female Robo begonnen hat und heute alle Vermögensgrößen und Anforderungsbereiche abdeckt. Auch hier scheint die Erkenntnis gereift zu sein, dass „nur“ eine Investmentlösung zu schaffen, nicht ausreicht bzw. eigentlich noch viel mehr Potenzial bestand.

In Deutschland sind wir noch beim ersten Schritt. Es gibt Robos extra für Frauen und für die Investmentlösung an sich können sie auch eine gute Möglichkeit sein, insbesondere für eher jüngere Frauen, die vielleicht mit kleineren Beträgen starten möchten. Aber Robos bieten keine Beratung und, wie das Beispiel aus den USA zeigt, Beratung lässt sich nicht digitalisieren. Da Frauen aber gerade an die Beratung höhere Ansprüche haben, ist es spannend zu beobachten, welche Lösungen hier gefunden werden.

Sie haben in einem Vortrag gesagt, dass Sie eine Chance für Beraterinnen darin sehen, dass Female FinTechs und Finfluencerinnen die Nachfrage nach individueller Beratung (noch) nicht decken können. Wie kann die Zusammenarbeit gelingen? Wo sehen Sie Probleme?

Ich bin davon überzeugt, dass die Kombination aus standardisierten und digitalisierten Lösungen und auf Wunsch individueller Beratung ein Erfolgsmodell sein kann. Das Vorbild aus den USA zeigt es ja deutlich.

Es gibt auch bereits einige Female FinTechs, die diese Idee verfolgen und Gespräche mit Beraterinnen suchen. Für beide Seiten kann diese Zusammenarbeit große Mehrwerte bieten. Die größten Probleme sehe ich aktuell zum einen in der Passgenauigkeit der Anfragen; hier liegt die Aufgabe vor allem aufseiten der Beraterinnen, das eigene Geschäftsmodell und die Zielgruppe zu definieren. Das größere Problem sehe ich aber vor allem in der fehlenden Skalierbarkeit. Der Engpass sind die fehlenden Beraterinnen, die auf einem entsprechenden fachlichen Niveau arbeiten können. Denn für viele FinTechs stellt sich hier die zentrale Frage nach Transparenz und Glaubwürdigkeit: Sind Kooperationen mit Banken eine umsetzbare Lösung für eine Klientel, die sich online informiert, kritisch und kostensensibel ist? Oder sind unabhängige Beraterinnen die Lösung, von denen es aber schlicht zu wenige gibt?

 
Ein Interview mit
Lisa Hassenzahl