Die Politik hat bei Weitem keine einfache Aufgabe. Denn wir leben in der Zeit des demografischen Wandels, der in einer Gesellschaft schwere Folgen hinterlässt. Aufgabe der Steuerleute eines Landes: Lösungen finden. Entgegenwirken. Reformen auf den Weg bringen, die die Stabilität der Gesellschaft fördern.
Eine solche Lösung hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) diese Woche beim Maschinenbaugipfel des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau in Berlin verkündet: die Aktivrente, die auch bei der Regierungsbildung im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Auf sie habe man sich innerhalb der Koalition geeinigt, Start soll der 01.01.2026 sein. In Kürze soll es dazu vonseiten des Finanzministeriums unter Lars Klingbeil (SPD) auch einen Gesetzentwurf geben. Dem Handelsblatt liegt der Referentenentwurf vor.
Aktivrente: Das ist geplant
Im Wesentlichen gestalten sich die Pläne zur Aktivrente auch so wie im Koalitionsvertrag ursprünglich vorgesehen. Nach dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters können Beschäftigte freiwillig weiterarbeiten und bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei verdienen. Ziel des Ganzen ist, Arbeit auch in der Rente attraktiv zu halten und somit eine Abschwächung des Fachkräftemangels, der sich in den nächsten Jahren deutlich verschlimmern dürfte durch den Einzug der Boomer in die Rente. Bis 2039 überschreiten laut Statistischem Bundesamt etwa 13,4 Millionen Erwerbstätige das gesetzliche Renteneintrittsalter von 67 Jahren und scheiden damit voraussichtlich aus dem Arbeitsleben aus.
Einschränkungen und Kosten
Der Entwurf legt auch zwei Einschränkungen dar, nämlich: Die Aktivrente wird nur für Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Selbstständige sollen von der Regelung ausgenommen sein. Und: Die Rente ab 63 soll sich damit nicht kombinieren lassen, sondern sie soll erst ab Erreichen des gesetzlichen Rentenalters genutzt werden können.
Das Handelsblatt meldet außerdem unter Berufung auf den Entwurf, dass die Aktivrente und die steuerfreien Überstundenzuschläge, die darin ebenso enthalten sind, zu Mindereinnahmen von 620 Mio. Euro jährlich führen würden. Für Finanzminister Klingbeil seien die Steuerausfälle somit „überschaubar“. 260 Mio. Euro würden auf den Bund entfallen, der Rest auf Länder und Kommunen.
BVK: „keine ausreichende Altersvorsorge“
Der Beschluss der Aktivrente stößt nicht überall auf Zustimmung, so hagelt es u. a. Kritik vom Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK). Eine ausreichende Altersvorsorge werde damit ab dem 01.01.2026 nicht möglich. Präsident Michael H. Heinz: „Wir sehen nicht, dass sich damit eine ausreichende Altersvorsorge lösen lässt. Die Koalition rechnet selbst nur mit ungefähr 25.000 Aktivrentnern, die monatlich 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können, trotz des Weiterbezugs ihrer Rente. Das wird vielleicht das Fachkräfteproblem in unserem Land etwas entschärfen, ist aber keine nachhaltige Lösung für die Altersvorsorge.“
Auch kritisiert der Verband, dass Selbstständige nicht miteinbezogen werden: „Das Modell begünstigt zudem Menschen, die gesundheitlich und fachlich dazu noch in der Lage sind, nach Rentenbeginn weiterzuarbeiten – vorrangig Akademiker und gut verdienende Fachkräfte. Wenn schon, dann sollten unbedingt Selbstständige in das Modell der Aktivrente einbezogen werden. Denn gerade sie sind vielfach Fachleute, auf die nicht verzichtet werden kann. Das gehört sich aus Gründen des Gleichheitsgebotes nach Artikel 3 des Grundgesetzes.“
Verband der Selbstständigen: „Schlag ins Gesicht“
Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), schlägt einen ähnlichen Ton an: „Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Selbstständigen. Dies widerspricht klar dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes. Es ist verfassungsrechtlich bereits problematisch, wenn Menschen über der gesetzlichen Altersgrenze steuerlich behandelt werden sollen als Jüngere. Wenn Menschen gleichen Alters jedoch aufgrund ihrer Entscheidung für eine Selbstständigkeit im Alter so unterschiedlich besteuert werden, ist dies für mich eine klare Form der Diskriminierung und Einschränkung der freien Berufswahl.“
Nach Einschätzung des VGSD wäre eine auf Arbeitnehmer beschränkte Aktivrente ein fatales Signal für alle Selbstständigen und Unternehmer in Deutschland und würde zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die Regierung Merz führen, die mit dem Versprechen angetreten war, für einen wirtschaftspolitischen Aufbruch zu sorgen, so die Stellungnahme des VGSD.
Konflikt mit Artikel 3?
Tatsächlich hatte der Fachbereich WD 4 „Haushalt und Finanzen“ der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages bereits im Juni ein 28-seitiges Dokument vorgelegt mit dem Titel „Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Einkommensteuerbefreiung (sogenannte Aktivrente)“. Konkret fraglich ist, wie schon vom BVK und VGSD erläutert, der Artikel 3 des Grundgesetzes, laut dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.
Es gibt also ein Bewusstsein im Bundestag ob der zu klärenden Verfassungskonformität des Vorhabens. Denn derartige Gutachten werden nicht für jedes geplante Gesetz erstellt, sondern sind, so heißt es im Dokument, „eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages“.
In der „Verfassungsrechtlichen Rechtfertigung“ des WD 4 wird argumentiert, dass die geplante Freistellung eines Teils der Einnahmen von Aktivrentnern von der Einkommensteuer „außersteuerliche Lenkungsziele“ verfolgt werden. Für solche Lenkungsziele darf der Staat steuerliche Vorteile einsetzen, um ein Gemeinwohlziel zu verfolgen – in diesem Fall um dem Fachkräftemangel stärker entgegenzuwirken.
Grundsätzlich funktioniert die Einkommensteuer nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, simpel ausgedrückt: Wer mehr bekommt, kann auch mehr an den Staat abgeben. Neben der Frage, ob Selbstständige ungerecht behandelt werden, dürften sich also auch jüngere Arbeitnehmer benachteiligt fühlen, die beim gleichen Einkommen mehr Last tragen als „Aktivrentner“. Spannend dabei: Im Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes werden mehrere Merkmale genannt, aufgrund derer jeder Mensch vor Diskriminierung geschützt ist: u. a. Herkunft, Geschlecht, Rasse, Sprache, Glauben. Das Alter fehlt in dieser Aufzählung jedoch … (mki)
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