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10. August 2022
„Wir erwarten nicht, dass eine Immobilienblase platzt“

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„Wir erwarten nicht, dass eine Immobilienblase platzt“

Der Immobilienmarkt befindet sich im Spannungsfeld zwischen gestiegenen Zinsen, hohen Bau- und Rohstoffpreisen, Inflation und der unsicheren politischen Lage aufgrund des Kriegs in der Ukraine. Zur Entwicklung auf dem Markt und den Herausforderungen für Immobilienmakler hat AssCompact nachgefragt bei VON POLL IMMOBILIEN.

Interview mit Daniel Ritter, geschäftsführender Gesellschafter VON POLL IMMOBILIEN, und Wolfram Gast, Chief Digital Officer bei VON POLL IMMOBILIEN
Die EZB hat lange gezögert, nun aber die Zinswende eingeleitet. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie auf den Immobilienmarkt?

Daniel Ritter: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat das erste Mal seit elf Jahren den Leitzins erhöht. Wird das den Markt zusätzlich beeinflussen? Eindeutig vorhersehbar ist das nicht, denn einerseits haben die Banken eine gewisse Zinserhöhung aus Risikogesichtspunkten bereits vorweggenommen. Andererseits ist der Finanzierungszins nicht direkt an den Leitzins gekoppelt. Ein künftiger Anstieg der Leitzinsen muss daher nicht automatisch auch zu steigenden Finanzierungszinsen führen.

Erwarten Sie einen Rückgang der Nachfrage nach Wohnimmobilien bei Kapitalanlegern? Viele sehen ein Ende des Immobilienbooms nahen.

Daniel Ritter: Wir erwarten nicht, dass eine Immobilienblase platzt. Zwar werden die Immobilienpreise größtenteils stagnieren bzw. in gewissen Segmenten teilweise auch stark sinken, allerdings werden sehr gute und stark nachgefragte Mikrolagen weniger betroffen sein.

Ein Nachfragerückgang ist dagegen bei sanierungsbedürftigen Bestandsbauten wahrscheinlich, mit folglich sinkenden Preisen in diesem Segment. Denn aufgrund neuer gesetzlicher Anforderungen an klimaeffiziente Gebäude und die anvisierte Umstellung der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien steigen die Finanzierungskosten, zusätzlich verschärft durch Liefereng­pässe, Handwerkermangel und generell steigende Energiekosten. Gleiches gilt bei Mehrfamilienhäusern, beim Bauträgergeschäft und beim Verkauf von Grundstücken für Neubauten, bei denen Kaufinteressenten und Investoren vermehrt mit Planungsunsicherheiten rechnen müssen.

Wie sieht es beim Kauf einer Immobilie zur privaten Nutzung aus? Sollten Interessenten gerade jetzt zuschlagen?

Daniel Ritter: Grundsätzlich gehen wir aufgrund der aktuellen Lage nicht davon aus, dass die Hypothekenzinsen in nächster Zeit signifikant zurückgehen werden. Bestenfalls werden sie sich auf dem aktuellen Niveau bei durchschnittlich ca. 3,2% bis 3,3% bei zehnjähriger Kreditlaufzeit und ca. 30% Eigen­kapitalanteil einpendeln – mit leichten Ausschlägen nach oben oder unten. Bei einer anhaltenden Inflation sind jedoch weitere Zinssteigerungen wahrscheinlich.

Wir beobachten aber auch, dass Käufer vermehrt zu Kompromissen und Abstrichen bereit sind, um sich den Wunsch von den eigenen vier Wänden erfüllen zu können – auch aus Angst vor weiter steigenden Zinsen, vor einer zunehmenden Geldentwertung sowie vor mit der Inflation einhergehenden Erhöhungen der Mietkosten.

Lassen Sie uns auf die Angebotsseite schauen. Sind Verkäufer angesichts von Inflation und der unsicheren Lage infolge des Kriegs in der Ukraine zurückhaltender oder wächst eher die Sorge vor sinkenden Preisen?

Daniel Ritter: Im Vergleich zur Marktsituation vor neun bis zwölf Monaten ergibt sich durch das aktuelle Zinsniveau rein rechnerisch ein Kaufkraftverlust bei den Interessenten von ca. 20% bis 30%. Dazu ein Beispiel: Ein Immobilienkäufer, der vor einem Jahr eine Immobilie in Höhe von 500.000 Euro bei gleichem Eigen­kapitaleinsatz finanzieren konnte, muss für den identischen Kaufpreis nun monatlich durchaus 1.000 Euro mehr aufbringen. Dies kann insbesondere außerhalb der besten Lagen zu einer kleiner werdenden, zahlungskräftigen Käuferklientel führen und sich damit auch teilweise auf die Preisentwicklung auswirken.

Verkäufer sollten bei einer realistischen Preisfindung daher künftig im Blick behalten, dass die Anzahl der potenziellen Käufer aufgrund steigender Hypothekenzinsen, fehlender Planungssicherheiten, gestiegener Bau- und Sanierungs­kosten und einer vorsichtigeren Kreditvergabe der Banken sinkt. Deswegen werden auch Interessenten künftig kritischer auf Immobilienangebote schauen.