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BU

BU – Die Konsequenzen des Rücktritts durch den Versicherer

In der BU treten oftmals rechtliche Auseinandersetzungen auf. Ein Grund dafür kann der Rücktritt des Versicherers vom Versicherungsvertrag sein. Rechtsexperte Björn Thorben M. Jöhnke erklärt in seiner regelmäßig erscheinenden BU-Kolumne, was die Konsequenzen für Versicherungsnehmer sein können.

Ein Artikel von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Ein Versicherungsvertrag ist grundsätzlich bindend und kann über Jahre Bestand haben. Für Versicherer können im Einzelfall Rechte entstehen, sich möglicherweise vorzeitig vom ursprünglichen Vertragsversprechen zu lösen.

Neben der Anfechtung (AssCompact berichtete: BU: Die Konsequenzen der Anfechtung durch Versicherer), Kündigung und Vertragsanpassung kann der Versicherer auch vom Versicherungsvertrag zurücktreten und sich bei Vorliegen der Voraussetzungen vom Vertrag lösen. Doch welche sind das? Wer trägt die Beweislast und welche Konsequenzen drohen dem Versicherungsnehmer? Diese und weitere Fragen werden im Folgenden beantwortet.

Voraussetzungen des Rücktritts

Den Versicherungsnehmer trifft im Vorfeld des Vertragsschlusses die Pflicht, die vom Versicherer gestellten Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Tut er dies mindestens grob fahrlässig nicht, kann gemäß § 19 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag seitens des Versicherers bestehen. Dieses Recht besteht jedoch nur dann, wenn der Vertrag bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände nicht geschlossen worden wäre.

Es muss also nicht nur mindestens grob fahrlässig eine Anzeigepflichtverletzung durch den Versicherten begangen worden sein, diese muss für den Vertragsschluss zudem kausal geworden sein. Gemäß § 19 Abs. 4 VVG ist jedoch bei Umständen, die trotzdem zu einem Vertragsschluss geführt hätten, zunächst auf eine Vertragsanpassung hinzuwirken. Betrifft die Anzeigepflichtverletzung Umstände, die einen Vertrag nicht hätten zustande kommen lassen, oder die mindestens grob fahrlässig verschwiegen wurden, besteht ein sofortiges Rücktrittsrecht. Das Rücktrittsrecht erlischt gemäß § 21 Abs. 3 VVG fünf Jahre nach Vertragsschluss. Wurde die Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt, erlischt das Rücktrittsrecht erst nach zehn Jahren.

Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

Vor Vertragsschluss stellt der Versicherer eine Vielzahl an Gesundheitsfragen, um das Risiko einzuschätzen und die Prämien zu kalkulieren. Werden diese Fragen unvollständig oder falsch beantwortet, kann die Anzeigepflicht verletzt sein. Diese erstreckt sich grundsätzlich auf alle ausdrücklich gestellten Fragen im Antragsformular.

In wenigen Ausnahmen trifft den Versicherungsnehmer eine sogenannte „spontane Anzeigeobliegenheit“ hinsichtlich Informationen, nach denen der Versicherer nicht ausdrücklich gefragt hat. Dies gilt aber nur bei Informationen, die für jeden erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in elementarer Weise betreffen und bei denen es deshalb für den Versicherten auf der Hand liegt, dass es sich um bedeutende Informationen handelt.

Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit

Um ein Rücktrittsrecht begründen zu können, muss der Versicherungsnehmer die anzeigepflichtigen Umstände entweder vorsätzlich oder grob fahrlässig verschwiegen oder falsch angegeben haben. Vorsätzlich handelt, wer um den rechtswidrigen Erfolg weiß und ihn will. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße verletzt. Maßgeblich ist dabei, dass sich der Verschuldensvorwurf nicht auf die Kenntnis/ Unkenntnis der Krankheit o. ä. bezieht, sondern auf das Verschweigen der Antwort der jeweils konkret gestellten Frage. Enthält der Gesundheitsfragebogen im Vorfeld des Versicherungsvertrages mehrdeutige oder unpräzise Fragen, die der Versicherungsnehmer anders als der Versicherer versteht, scheidet eine grobe Fahrlässigkeit hingegen in der Regel aus.

Beweislast

Jede Partei hat die für sie günstigen Umstände darzulegen und zu beweisen. Der Versicherer muss demnach die anspruchsbegründende Anzeigepflichtverletzung beweisen. Dazu gehört auch der Beweis darüber, dass der Versicherungsnehmer überhaupt Kenntnis von dem gefahrerheblichen Umstand hatte. Der Versicherte hingegen muss beweisen, dass die gesetzlich vermutete grobe Fahrlässigkeit nicht vorliegt. Er hat alle den Rücktritt hindernden Umstände zu beweisen.

Weiterhin kann der Versicherungsnehmer die Leistungsfreiheit der Versicherung durch den Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 VVG verhindern. Dazu muss der Versicherte darlegen und beweisen, dass der maßgebliche Umstand weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht kausal geworden ist.

Bedeutung und Folgen für Versicherungsnehmer

Ist der Versicherer wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten, wandelt sich das Vertragsverhältnis gemäß § 346 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Die Parteien haben grundsätzlich die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und das ursprüngliche Vertragsverhältnis besteht nicht weiter fort. Da der Versicherer aber die gesamte Vertragslaufzeit über das Leistungsrisiko getragen hat und eine Rückgewähr dessen nicht möglich ist, kann der Versicherte nach § 39 Abs. 2 VVG nur die Prämien zurückverlangen, die nach Wirksamwerden der Rücktrittserklärung geleistet wurden. Ein Anspruch auf Rückzahlung der bis dahin geleisteten Beiträge besteht also nicht.

Fazit und Praxishinweise

Tritt der Versicherer vom Versicherungsvertrag zurück, sollte umgehend juristischer Rat eingeholt werden. Denn auch Leistungsentscheidungen der Versicherer können unzulässig und rechtlich nicht haltbar sein. Auch kann unter Umständen der Versicherungsschutz wiederhergestellt werden, notfalls mittels gerichtlicher Hilfe.

Liegen die Rücktrittsvoraussetzungen vor, kann sich der Versicherer vom Vertrag lösen, der Versicherungsschutz entfällt. Diese Rechtsfolge hat weitreichende Konsequenzen für Versicherungsnehmer, welcher keine Leistungen mehr aus dem Versicherungsvertrag erhält.

Weitere wissenswerte Beiträge zum Bereich der BU sind nachstehend zu finden: „Berufsunfähigkeitsversicherung“.

Bild: © Studio_East – stock.adobe.com; © Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

 

Makler gründet Versorgungswerk für grüne Energiebranche

Die MehrWert GmbH – ein auf nachhaltige Vorsorgelösungen spezialisiertes Maklerhaus – hat ein Versorgungswerk für die Erneuerbare-Energien-Branche gegründet. Zum Auftakt startet der neue Anbieter mit drei Versicherungslösungen.

Die MehrWert GmbH für Finanzberatung und Vermittlung (MehrWert) – ein Maklerhaus für nachhaltige Vorsorge- und Finanzprodukte mit Standort im oberfränkischen Bamberg – hat ein Versorgungswerk für die Branche der erneuerbaren Energien namens „Climate Pension“ gegründet. Hintergrund dieser Neugründung ist laut MehrWert, dass für Unternehmen der Erneuerbaren Energien in Deutschland noch kein eigenes Versorgungswerk existiert. Mit Climate Pension soll diese Lücke nun geschlossen werden.

Und nach dem Beschluss der Bundesregierung, dass im Jahr 2030 mindestens 80% des in Deutschland benötigten Stroms aus den Erneuerbaren Energien kommen muss, wird die Branche in den nächsten Jahren stark wachsen. „Viele Unternehmen werden deshalb neue Mitarbeitende suchen und müssen sich mit passenden Mitarbeiterbenefits aufgrund des Fachkräftemangels attraktiv aufstellen. Mit Climate Pension können sich diese Unternehmen jetzt gezielt dafür vorbereiten“, so Gottfried Baer, Geschäftsführer bei MehrWert.

Versorgungswerk startet mit drei Vorsorgelösungen

Gegenstand des Unternehmens ist die Gestaltung und Weiterentwicklung von nachhaltigen, digital gestützten Versorgungskonzepten für Unternehmen der Erneuerbaren-Energien-Branche. Zum Start bietet Climate Pension drei Versicherungslösungen an.

Mit „Climate Pension Rente“ bietet das Versorgungswerk eine nachhaltige betriebliche Altersvorsorge an, bei der die Beiträge in nachhaltige und klimafreundliche Fonds mit verschiedenen Schwerpunkten wie beispielsweise erneuerbare Energieanlagen fließen. Der Versicherer hierfür ist die Bayerische mit ihrer nachhaltigen Marke „Pangaea Life“.

Mit „Climate Pension Gesundheit“ hat das Versorgungswerk auch eine betriebliche Krankenversicherung als Budgettarif im Angebot. Als nachhaltiger Versicherer tritt dafür die Barmenia auf.

Außerdem können die Unternehmen ihre Belegschaft zum Start mit „Climate Pension Sicherheit“ eine betriebliche Berufsunfähigkeitsrente anbieten. Diese Versicherungslösung wird vom Volkswohl Bund zur Verfügung gestellt.

Versorgungswerk bietet umfassenden Service

Climate Pension organisiert Sonderkonditionen, nachhaltige Versicherungskonzepte und verhandelt dies mit den entsprechenden Versicherern, erläutert MehrWert. Zudem betreibt das Versorgungswerk Presse-, Verbands- und Medienarbeit, liefert eine digitale Abwicklungsplattform sowie eine Mitarbeiterapp und betreibt Marketing für das Versorgungswerk. Die Beratung von Unternehmen, die Vermittlung von Versicherungsverträgen und die anschließende Betreuung erfolgt über die MehrWert GmbH und ggf. externe bAV-Makler. (as)

Bild: © Christian – stock.adobe.com

 

BU: Je früher, desto besser – und besser spät als nie?

Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung stellt sich immer häufiger die Frage: Wie früh anfangen – bieten doch viele Versicherer eine BU für Schüler. Und dann wäre noch zu klären, ab welchem Alter sich der BU-Abschluss nicht mehr lohnt. Eine Einschätzung des Maklers und BU-Spezialisten Philip Wenzel.

Ein Gastbeitrag von Philip Wenzel, Geschäftsführer der BIOMEX Biometrie Expertenservice GmbH

Wer sich nicht jeden Tag mit Berufsunfähigkeitsversicherungen beschäftigt, entwickelt häufig den Eindruck, dass diese Versicherung erst dann relevant wird, wenn man einen Beruf hat. Und wer sich noch ein wenig länger damit beschäftigt, denkt sich nicht selten, dass er der Versicherung ein Schnippchen schlagen könnte, wenn er den Vertrag erst dann abschließt, wenn er schon älter ist, weil dann die Wahrscheinlichkeit einer Berufsunfähigkeit höher ist.

Die Wahrheit ist aber, dass es sehr viele gute Gründe gibt, schon vor Eintritt ins Berufsleben eine BU-Versicherung abzuschließen. Tatsächlich gibt es mittlerweile keinen Grund mehr, sich nicht schon mit zehn Jahren abzusichern. Ein sehr gewichtiges Argument dagegen ist allerdings zu wenig Geld. Wer Kinder hat, weiß, dass sie Geld kosten. Und die 40 Euro im Monat für Nachhilfe müssen eben sein. 40 Euro für die Berufsunfähigkeitsversicherung? Die kann das Kind auch später selbst abschließen.

Abschluss in jungen Jahren ...

Wer es sich also irgendwie leisten kann, sollte eine Berufsunfähigkeitsversicherung für sein Kind übernehmen. Denn es gibt zwei Vorteile, die mit Geld zu tun haben, und zwei weitere Vorteile, die mit dem Gesundheitszustand zu tun haben.

Wie jeder Vermittler weiß, ist der monatliche Beitrag umso geringer, je jünger der Kunde ist. Das liegt daran, dass das Risiko einer Berufsunfähigkeit etwa bis zum 45. Lebensjahr immer gleich teuer ist. Das heißt, der Zehnjährige zahlt für 1.000 Euro BU-Rente bis zum Alter von 67 Jahren beispielsweise 35.000 Euro an Beiträgen. Der 40-Jährige zahlt auch 35.000 Euro. Meistens ist es sogar etwas weniger, wenn man in jungen Jahren abschließt.

... bringt etliche Vorteile

Daraus ergeben sich dann zwei Vorteile. Zum einen verteile ich die 35.000 Euro einmal auf 57 Jahre und das andere Mal auf 27 Jahre , wodurch die monatliche Belastung deutlich niedriger ist. Nämlich 51,17 Euro gegenüber 108,02 Euro. Und zum anderen ist die Zeit, bis man 40 ist, quasi gratis. Der Kunde ist für den gleichen Preis 30 Jahre länger versichert. Und wenn der Kunde keine zehn Jahre mehr ist, bleibt das Prinzip mit 20 oder 30 Jahren das gleiche. Der zweite geldwerte Vorteil ist abhängig vom Beruf. Denn wer sich schon als Schüler versichert, der zahlt die Prämie eines Schülers auch, wenn er später Schreiner wird. Die Ersparnis geht hier schnell in die Tausende. Wenn er Akademiker wird, dann würde es deutlich günstiger werden. Für diesen Fall gibt es mittlerweile aber genügend Anbieter mit einer Besserstellungsoption, die es ermöglicht, bei einem Berufswechsel dann die günstigere Prämie zu zahlen.

Verzicht auf Risikoprüfung bei Nachversicherung

Es gilt auch darauf achten, dass der Tarif bei der Nachversicherung auf die Risikoprüfung und nicht auf die Gesundheitsprüfung verzichtet. Denn bei der Risikoprüfung werden Hobbys, Rauchverhalten und der Beruf abgefragt. Wenn nur auf die Gesundheitsprüfung verzichtet wird, kann es also passieren, dass der Schüler für seinen Grundvertrag mit 1.000 Euro 52 Euro zahlt, aber die Erhöhung um 500 Euro schon 80 Euro kostet, weil er jetzt Schreiner ist.

Was die Gesundheit betrifft, so ist es erst mal logisch, dass man in jungen Jahren nur in seltenen Fällen schon schwerwiegende Diagnosen hat. Die Chancen für eine glatte Annahme sind also höher. Später weiß der Kunde vielleicht auch nicht mehr genau, was er alles hatte oder was er laut Arztakte hatte.

Und das führt zu dem zweiten „gesundheit­lichen“ Vorteil, wenn man eine Berufsunfähigkeitsversicherung früh abschließt: Je früher ich abschließe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Leistungsfall schon zehn Jahre vorbei sind. Und nach zehn Jahren ist jede Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht verjährt – also für den Kunden nach § 123 BGB.

Was ist Vermittlern zu raten?

Für Vermittler empfiehlt es sich nicht, hieraus ein Geschäftsmodell zu machen, da § 263 StGB erst verjährt, wenn der Vorteil aus dem Betrug abgegolten ist. Und das ist bei laufenden Verträgen nie der Fall. Die Rede ist also von den Fällen, die kein Betrug sind, aber dennoch den Leistungsfall erschweren, weil der Versicherer vor Gericht will. Wer früh abschließt, kann in der Regel auch dieses Kapitel abhaken.

Was tun mit den Späteinsteigern?

Trotzdem häufen sich gerade die Fälle von 50-Jährigen, die eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen. Der Grund dafür könnte sein, dass vor zwanzig Jahren Versicherungen bis Endalter 60 abgeschlossen wurden, weil es nicht anders ging oder eine Rentenversicherung die Zeit bis zur Rente überbrücken sollte. Ein Neuvertrag ist nicht unmöglich, aber man sollte unbedingt sauber bei den Gesundheitsfragen arbeiten. Das liegt zum einen daran, dass die Wahrscheinlichkeit eines Leistungsfalls in den ersten zehn Jahren sehr hoch ist und die Berufsunfähigkeitsversicherung anfechten kann. Aber viel wichtiger ist, dass die meisten Risikoprüfer sehr misstrauisch werden, wenn ein Interessent in diesem Alter anfragt. Der Risikoprüfer fürchtet, es handelt sich hier um einen der Kandidaten, die denken, sie könnten der Versicherung ein Schnippchen schlagen und eine BU-Versicherung kurz vor Eintritt der BU abschließen.

Mit offenen Karten spielen und Mehrvertragslösung im Blick haben

Deshalb schließe ich in diesen Fällen gern erst den einen Vertrag bis 2.000 Euro ab und wenn dieser policiert ist, den zweiten – inklusive Labor beim gleichen Versicherer. Wenn es schiefläuft, besteht wenigstens ein kleiner Vertrag ohne Ausschluss. Und wenn es gut läuft, ist das Thema Vorvertraglichkeit vom Tisch. Am Ende sind wir aber Vermittler und nicht Erziehungsberechtigte. Der Kunde darf entscheiden, wie er will. Es ist ja auch okay, wenn der Kunde erst spät merkt, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung wichtig ist. Für diese späte Einsicht muss er dann aber bezahlen – mit höheren Beiträgen und einer strengeren Risikoprüfung.

Augen auf in manchen Fällen

Nur bei einem Interessenten werde ich, unabhängig vom Alter, sehr misstrauisch und lehne auch immer wieder ab. Und zwar dann, wenn der Vertrag ohne erkennbaren Grund noch am besten heute abgeschlossen werden soll. Dann ist es nicht selten so, dass eine Operation oder Untersuchung ansteht oder ein Verdacht im Raum steht. In diesen Fällen erkläre ich dann ganz genau, dass ich in der Regel auch angeben muss, was ich schon weiß, auch wenn noch kein Arzt etwas dazu aufgeschrieben hat. Denn Betrüger sind selten konsequent. Bei Versicherungsbeginn ist alles halb so wild, aber dann beim Leistungsantrag lagen die Beschwerden schon seit Jahren vor. Und dann wird es quasi nachträglich zur Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht. All das und Geld kann ich mir aber sparen, wenn ich schon so früh wie möglich eine Berufsunfähigkeits­versicherung abschließe. Und wer sein Kind mag, erspart ihm den Ärger noch als Schüler.

Diesen Artikel lesen Sie auch in der Sonderedition Arbeitskraftabsicherung, die der AssCompact 05/2023 beigeheftet ist, und in unserem ePaper.

Bild oben: © Brian Jackson – stock.adobe.com; Porträtfoto: © Philip Wenzel

 
Ein Artikel von
Philip Wenzel

Grundfähigkeitsversicherung: Inflation der Leistungsauslöser?

In der Grundfähigkeitsversicherung ist eine hohe Dynamik zu beobachten. Inzwischen ist nicht mehr nur die Rede vom Verlust von Grundfähigkeiten, sondern von Leistungsauslösern. Bei der Anzahl von Grundfähigkeiten und Leistungsauslösern scheinen sich die Versicherer gegenseitig überbieten zu wollen.

<h5>Ein Gastbeitrag von Dr. Jörg Schulz, Geschäftsführer der infinma GmbH</h5><p>Die Grundfähigkeitsversicherung (GF) wurde einst eingeführt als leicht verständliche und kostengünstige Alternative für die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), vor allem für Menschen, die eher körperlich tätig sind, aufgrund von Vorerkrankungen keine BU mehr bekommen oder sich diese schlicht nicht leisten können.</p><p>Allerdings hat in den letzten etwa zwei Jahren ein regelrechter Wettbewerb um die Anzahl an Leistungsauslösern bzw. versicherten Grundfähigkeiten eingesetzt. Eine ähnliche Entwicklung konnte man vor vielen Jahren auch in der Dread-Disease-Versicherung beobachten. Dieser Wettbewerb war dem Produkt an sich nicht dienlich, lief doch der Vergleich der versicherten Krankheiten häufig auf einen Streit unter Gutachtern hinaus. Maßgeblich für einen solchen Wettbewerb sind und waren aber nicht zuletzt auch Ratingagenturen, die in aller Regel eine Vielzahl an Leistungsauslösern auch besonders gut bewerten.</p><h5>Modulare Produkte im Trend</h5><p>Das Produkt Grundfähigkeitsversicherung hat sich längst wegentwickelt von der Absicherung der wichtigsten körperlichen Fähigkeiten wie Sehen, Hören, Sprechen, Gehen, Stehen, Hand- bzw. Armgebrauch und Ähnlichem. Die Versicherer gestalten ihre Produkte zunehmend modular. Das geht naturgemäß zulasten der Transparenz und Vergleichbarkeit. Bei einem Anbieter lassen sich schon jetzt 1.024 unterschiedliche Produktkonstellationen ermitteln. Das liegt auch daran, dass immer neue Grundfähigkeiten „erfunden“ bzw. hergeleitet werden. So werden inzwischen beispielsweise auch Beeinträchtigungen der Lungen-, Herz- oder Nierenfunktion als Grundfähigkeit abgesichert. Auch Grundfähigkeiten wie Smartphone/Tablet bedienen, auf einer Tastatur tippen, Pedelec fahren oder E-Mobilität kommen immer häufiger in den Leistungskatalogen der Anbieter vor. Diese Entwicklung ging also zu einem großen Teil von den Versicherern selber aus.</p><h5>Je mehr Leistungsauslöser, desto besser</h5><p>Wenn nun bei der Beurteilung von Grundfähigkeitsversicherungen etwas despektierlich von einer Inflation der Leistungsauslöser gesprochen und eine Entfremdung der Grundfähigkeitsve­rsicherung von ihrem ursprünglichen Gedanken bemängelt wird, dann ist das jedoch nur die eine Seite der Medaille. Aus Kundensicht muss man deutlich sagen: Je mehr Leistungsauslöser, desto besser. Wenn ein Kunde nicht mehr in der Lage ist, eine Wasserflasche auf- und wieder zuzudrehen, dann möchte er, dass seine Grundfähigkeitsver­sicherung leistet. Dabei ist es ihm egal, ob die ver­sicherte Grundfähigkeit nun mit Fingerfertigkeit, Handgebrauch oder Greifen überschrieben ist. </p><p>Die Absicherung mehrerer Grundfähigkeiten, die ähnliche körperliche Beeinträchtigungen umfasst, könnte auch dadurch sichergestellt werden, dass die Grundfähigkeiten nicht immer kleinteiliger definiert werden, sondern im Gegenteil viel globaler. So könnten unter der Überschrift Gebrauch der oberen Extremitäten all die konkreten Beispiele und damit Leistungsauslöser aufgelistet werden, die man ansonsten unter den oben genannten Grundfähigkeiten wiederfindet. Im Leistungsfall ist die O von  einigen bemängelte Inflation also für den Kunden alles andere als nachteilig.</p><h5>Die Crux mit den abgeleiteten Grundfähigkeiten</h5><p>Ein häufiges Argument vieler Versicherer gegen „neue“ bzw. zusätzliche Auslöser sind die sogenannten abgeleiteten Grundfähigkeiten. Es wird dann so argumentiert, dass jemand, der nicht mehr gehen kann, auch nicht schieben und ziehen können wird. Das mag in vielen Fällen sogar stimmen. Das Problem ist aber, dass die Argumentation oft anders herum nicht passt. Wer nicht mehr ziehen oder schieben kann, zum Beispiel weil das Objekt zu schwer ist, der wird möglicherweise trotzdem noch gehen können. Jemand, dem die Fingerfertigkeit abhandengekommen ist, kann seine Hand (in Grenzen) trotzdem noch gebrauchen. Abgeleitete Leistungsauslöser sind daher in aller Regel qualitativ nicht gleichwertig. </p><p>Der Versicherer, der Gehen auf der einen und Schieben und Ziehen auf der anderen Seite absichert, bietet einen qualitativ höheren Ver­sicherungsschutz, als der Anbieter, der nur Gehen absichert. Im Übrigen: Was spricht eigentlich gegen die Nennung aller drei genannten Grundfähigkeiten? </p><p>Die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit ihrer Produkte steht in vielen anderen Fällen auch nicht im Vordergrund. Oder ist es vielleicht doch die Furcht vor zusätzlichen Leistungsfällen?</p><!--text-long-pagebreak--><!--sub-title||Die Frage des Preises--><h5>Die Frage des Preises</h5><p>Natürlich darf der Preis-Aspekt bei einer Diskussion der Leistungsauslöser nicht außen vor bleiben; jedes versicherte Risiko hat schließlich seinen Preis. Für den Kunden ideal wäre vermutlich ein Baukasten, in dem 40, 50 oder vielleicht sogar 60 Leistungsaus­löser enthalten sind und jeder dieser Leistungsauslöser ein Preisschild erhält. Aus dem Gesamtsortiment kann der Kunde sich dann seinen individuellen Versicherungsschutz zusammenstellen. An einem solchen Produkt dürften aber viele Marktbeteiligte wenig Interesse haben. </p><p>Der Versicherer möchte vermutlich nicht preisgeben, wie die einzelnen Grundfähigkeiten kalkuliert sind, lässt sich daraus doch auch die Wahrscheinlichkeit des Leistungseintritts zumindest tendenziell ermitteln. Die Entwickler von Vergleichsprogrammen werden Amok laufen, weil sowohl die Prämienberechnung sehr komplex wird als auch die unmittelbare Vergleichbarkeit nahezu verhindert wird. Auch Ratingagenturen dürften von einem so individuellen, kundenfreundlichen Produkt wenig begeistert sein, leben sie doch in großem Maße davon, Dinge zu standardisieren und Angebote zu vergleichen, die in der Praxis nicht wirklich vergleichbar sind. </p><h5>Zwei Seiten einer Medaille </h5><p>Es zeigt sich also, dass die Aussage „Inflation der Leistungsauslöser“ kontrovers diskutiert werden kann. Für den Kunden ist grundsätzlich eine hohe Flexibilität und die damit verbundene Individualisierungsmöglichkeit seines Produktes positiv zu bewerten. Fraglich ist allerdings, ob ein derartiges Produkt marktbreit Akzeptanz finden würde. Nehmen wir einmal an, in einem Tarif könnten aus 50 zur Verfügung stehenden Leistungsauslösern maximal 20 gewählt werden. Dann ergeben sich hieraus nach den Regeln der Kombinatorik 47.129.212.243.960 verschiedene Varianten. Die hierbei zugrunde liegende Formel lautet: n! / ((n – m)! * m!) mit n = 50 Leistungsauslöser und m = maximal 20 wählbare.</p><p>Bei der Grundfähigkeitsversicherung bleibt es also spannend. Ein großer Vorteil dieses Produktes ist sicher, dass es sehr flexibel – im Sinne von Absicherung neuer Fähigkeiten – reagieren kann. Damit kann vor allem der sich dynamisch entwickelnden Arbeitsumwelt mit immer neuen Berufen und damit verbundenen Fähigkeiten Rechnung getragen werden.</p><h5>Diesen Artikel lesen Sie auch in der Sonderedition Arbeitskraftabsicherung, die der AssCompact 05/2023 beigeheftet ist, und in unserem <a target="_blank" href="https://epaper.asscompact.de/de/profiles/53e4066999da-asscompact/editio…; target="_blank" >ePaper</a>.</h5><p><i class="font-twelve-italic" >Bild oben: © Oporty786 – stock.adobe.com; Porträtfoto: © infinma</i></p><div id="bbgreadlog-getimage"><img src="/bbgreadlog/getimage/2C4DCB19-44DF-4CA5-A2E8-5DF12A6BAFE7"></div>

 
Ein Artikel von
Dr. Jörg Schulz

Nachversicherung und Dynamik: Die BU als Lebensbegleiterin

Möglichst früh eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen bringt Vorteile. Doch im Lauf des Lebens kann sich der Absicherungsbedarf ändern. Deshalb gilt es für Vermittler beim Abschluss einer BU unter anderem die Themen Dynamik und Nachversicherungsmöglichkeiten besonders im Blick zu haben.

<h5>Ein Beitrag von Jenny Suttrup Produktmanagerin Biometrie bei der VOLKSWOHL BUND Lebensversicherung a.G.</h5><p>Wer sich schon als Schüler, Auszubildender oder im Studium gegen Berufsunfähigkeit versichert, trifft unbestritten eine sehr gute Entscheidung. Die Argumente sind bekannt: Der Schutz ist in jungen Jahren sehr günstig, außerdem gibt es in der Regel noch keine relevanten Vorerkrankungen, die den Beitrag erhöhen oder den Abschluss beim Wunschver­sicherer ganz verhindern. Außerdem ist ein Kind, das den Schulalltag aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bewältigen kann, sofort mit einer BU-Rente versorgt. Ebenso ein Auszubildender oder Student, der nicht mehr in der Lage ist, seine Ausbildung oder sein Studium weiterzuführen.</p><p>Jetzt folgt das Aber: Wer weiß denn, was noch kommt? Für junge Leute ist die Berufswahl noch in weiter Ferne, privat kann noch alles passieren und nicht zuletzt haben die vergangenen Monate uns allen vor Augen geführt, wie deutlich unser Geld über die Zeit an Wert verlieren kann.</p><p>Mehr denn je ist deshalb die Möglichkeit zur Erhöhung der Absicherung und zur Nachver­sicherung eines der wichtigen Entscheidungs­kriterien für eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), die ja im besten Fall 30 oder gar 50 Jahre eine Lebensbegleiterin sein soll.</p><h5>Indexdynamik als Schutz vor Inflation</h5><p>Tarife, die man wahlweise mit einer Dynamik entsprechend dem Verbraucherpreisindex ausstatten kann, sind hier klar im Vorteil. Die Indexdynamik macht die Entscheidung zwischen den üblichen 3 oder 5% Beitragsdynamik überflüssig. Außerdem schützt sie den Kunden vor einer vorzeitigen Festlegung, die später oft nicht mehr angepasst werden kann. Darüber hinaus läuft eine Indexdynamik meist bis zum Vertragsende, während eine Beitragsdynamik häufig schon Jahre vor dem Ende des Vertrags bedingungsgemäß ausgebremst wird.</p><p>Besonders komfortabel wirkt eine Indexdynamik übrigens dann, wenn sie sich nach dem wiederholten Widerspruch des Kunden nicht für alle Zeiten in Wohlgefallen auflöst, sondern jederzeit wieder eingeschlossen werden kann.</p><h5>Bei Bedarf die Rente einfach erhöhen …</h5><p>Wenn es gut läuft, steigen mit dem Lebensalter auch die Einkünfte. Dann sind womöglich die 1.000 Euro, die der Kunde im Studium versichert hat, nicht mehr zeitgemäß. Wohl dem, der früheinen Tarif gewählt hat, der Erhöhungen bei vielen verschiedenen Anlässen zulässt. Beim Berufsstart etwa, bei Gehaltserhöhungen, zur Hochzeit, zur Geburt von Kindern oder beim Wechsel in eine Selbstständigkeit. Die Nachversicherung sollte selbstverständlich möglich sein, ohne dass der Kunde noch einmal eine Gesundheitsprüfung durchlaufen muss. Vorsicht bei Höchstgrenzen: Manche Anbieter beschränken die Summe der maximalen Erhöhungen auf eine bestimmte Summe während der Laufzeit. Das kann dazu führen, dass die Rentenhöhe später unangemessen gedeckelt wird.</p><h5>… oder den Beitrag zeitweise senken</h5><p>Kulant sollte sich eine BU auch dann zeigen, wenn das Geld mal nicht so locker sitzt. Ein Wechsel von einer Vollzeitstelle in die Teilzeit und wieder zurück – auch das muss eine BU abfangen und die temporäre Senkung der Beiträge möglich machen. Wer wegen Elternzeit, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit knapp bei Kasse ist, der vertraut seinem Versicherer umso mehr, wenn er ihm die Beiträge stundet, und das am besten noch zinslos.</p><!--text-long-pagebreak--><!--sub-title||Nach einem Berufswechsel Beiträge sparen--><h5>Nach einem Berufswechsel Beiträge sparen</h5><p>Was passiert, wenn sich der Kunde nach ein paar Jahren beruflich umorientiert und nicht mehr in dem Beruf arbeitet, der bei Abschluss seiner BU zugrunde gelegt wurde? Teurer sollte es nicht werden, günstiger schon. Eine Berufswechselprüfung ohne erneute Gesundheits­prüfung ist ein gutes Argument für die Wahl einer BU, schließlich sind heutzutage geradlinige Berufskarrieren nicht mehr an der Tagesordnung. Am besten, dieses Recht wird dem Kunden schwarz auf weiß verbrieft.</p><h5>Wo landet die Regelarbeitszeit in Zukunft?</h5><p>Für einen Schüler von heute ist es durchaus denkbar, dass sich zum Ende seiner beruflichen Laufbahn die Regel­arbeitszeit noch einmal nach hinten verschiebt. Die Kalkulation von heute ist dann überholt. Trotzdem darf seine BU ihn auch dann nicht im Stich lassen. Deshalb sollten die Bedingungen auch bei diesem Szenario rechtzeitige Anpassungen zulassen.</p><h5>Aktuelle Ratings bieten Orientierung</h5><p>Wie ausschlaggebend die Nachversicherungsmöglichkeiten für die Qualität einer BU sind, zeigt sich auch in den Aktivitäten der Rating-Agenturen. Um den Vermittlern hier den Tarifvergleich zu erleichtern, gibt es mittlerweile Studien, die explizit die Möglichkeiten der Nachversicherung bewerten. So hat das Analysehaus MORGEN & MORGEN im April dieses Jahres die Ergebnisse seines ersten BU-Nachversicherungsratings veröffentlicht. </p><p>Diesen Artikel lesen Sie auch in der Sonderedition Arbeitskraftabsicherung in AssCompact 05/2023 und in unserem<a target="_blank" href="https://epaper.asscompact.de/de/profiles/53e4066999da-asscompact/editio…; target="_blank" >ePaper</a>.</p><p><i class="font-twelve-italic" >Bild oben: © PauloCsar – stock.adobe.com; Porträtfoto: © VOLKSWOHL BUND</i></p><div id="bbgreadlog-getimage"><img src="/bbgreadlog/getimage/5C633124-ED99-4416-A2A2-1A6D516857D3"></div>

 
Ein Artikel von
Jenny Suttrup

BU-Absicherung: „In 99% der Fälle wird am Kunden vorbei beraten“

Hat sich das Interesse am Thema Berufsunfähigkeit infolge der Pandemie verändert? Welche Trends zeigen sich in der Arbeitskraftabsicherung und inwiefern schlägt sich die Dynamik in der Grundfähigkeitsversicherung in der Vermittlung nieder? AssCompact hat bei einem BU-Spezialisten nachgefragt.

Interview mit Guido Lehberg, Versicherungsmakler und „DER BU-Profi
Herr Lehberg, es heißt, die Deutschen schauen seit der Corona-Pandemie mehr auf ihre Absicherung. Hat sich das Interesse für eine Berufsunfähigkeitsversicherung verändert?

Ich habe insgesamt nicht das Gefühl, dass sich viel am Interesse an die BU verändert hat. Das Interesse war zuvor schon groß und ist es nach wie vor. Ein paar Anfragen haben wir allerdings schon bekommen, die explizit eine BU abschließen wollen, um vor einer kommenden Coronainfektion geschützt zu sein, und eine Kundin hat sogar wegen einer Long-Covid-Erkrankung im Freundeskreis den Schritt in Richtung BU gemacht. Es gibt also schon Fälle, der große Ansturm ist es jedoch (noch) nicht.

Mit Blick auf die Kunden: Wo besteht der größte Aufklärungsbedarf und wo gibt es aktuell die größten Hemmnisse zum Abschluss einer BU?

Die BU-Absicherung wird in 99% der Fälle am Kunden vorbei beraten. Im ersten Beratungstermin stellen wir unseren Kunden das Leistungsversprechen vor und kaum jemand hat die Kernelemente vorher gekannt. Verstehen die Kunden, wie schnell eine BU auch in Bürojobs eintreten kann, ist die Bereitschaft für den Abschluss sehr hoch. Ähnliches gilt für die Rentenhöhe. Solange mit der Formel „80% vom Netto sind ausreichend“ geworben wird, sind die meisten Menschen deutlich unterversichert.

Dürfen wir denn fragen, wie das Geschäft bei Ihnen läuft – und mit welcher Zielgruppe?

Uns mangelt es nicht an Neukunden, sondern eher an Personal, um die Interessenten zeitnah gut zu versorgen. Es läuft also hervorragend. Unsere Zielgruppe sind akademische Berufe aus den Bereichen „Kammerberufe“, „Technische Berufe“, „Versicherungsangestellte“ sowie „Unternehmensberater und Consultants“. Also insgesamt eine sehr besondere Klientel, da wir hierbei über einen sehr hohen Bedarf an Absicherung und auch an Beratung sprechen.

Diverse Ratings bescheinigen den BU-Produkten auf dem Markt inzwischen ein relativ hohes Niveau. Gibt es zwischen den (guten) Produkten überhaupt noch so viele Unterschiede? Und macht dies die Auswahl für Vermittler eher schwieriger als einfacher?

Es gibt bei den BU-Tarifen auf dem Markt tatsächlich eine große Menge an Unterschieden. Hauptsächlich bei den Annahmerichtlinien, der Versicherbarkeit – wie Vorerkrankungen, Hobbys und so weiter – sowie bei den Möglichkeiten der technischen Ausgestaltung wie beispielsweise Nachver­sicherungsgarantie oder Dynamiken, um nur einige zu nennen. Um diese wichtigen Unterschiede zu finden, helfen leider die Ratings nicht, sondern nur der sorgfältige Blick in die Bedingungen und Annahmerichtlinien sowie eine Strategie für die Risikovoranfragen.

Sehen Sie in Sachen Transparenz die Anbieter mehr in der Pflicht?

Da sehe ich tatsächlich aktuell am wenigsten Handlungsbedarf.

Wie beurteilen Sie denn die Zusammenarbeit zwischen Vermittlern und Versicherern?

Das kommt auf den Versicherer an. Es gibt Versicherer, bei denen die Zusammenarbeit Hand in Hand und auf Augenhöhe läuft, und Versicherer, denen der Vermittler egal zu sein scheint. Auf der anderen Seite erlebe ich aber auch viele Ver­sicherer, die sich beklagen, dass die Vermittler unsauber arbeiten. Meine Erfahrung ist dabei: Wenn ich kompetent, verbindlich und höflich auf den Versicherer zugehe, bekomme ich meistens ebenfalls Kompetenz, Verbindlichkeit und Höflichkeit zurück.

Zunehmend rückt neben der klassischen BU die Grundfähigkeitsversicherung in den Vordergrund. Der Markt scheint hier recht dynamisch. Wie nehmen Sie die Entwicklung wahr?

Die Ansicht teile ich und freue mich über den Trend.

Welche Rolle spielt die Grundfähigkeitsver­sicherung in Ihrem Beratungsalltag?

Eine große Rolle. Die Grundfähigkeitsver­sicherung war im Jahr 2022 für etwa 15 bis 20% des Biometrieumsatzes bei uns verantwortlich. Das klingt auf den ersten Blick nicht nach viel, ist aber im Vergleich zum Vorjahr – da waren es rund 5% des Gesamtumsatzes – ein deutliches Wachstum. Für mich gehört das Thema in jedes Beratungsgespräch analog zur BU.

Gerade wird viel über die Definition der Leistungsauslöser in der Grundfähigkeitsversicherung gesprochen. Welche Bedeutung hat dies für die Auswahl des passenden Produkts?

Die Bedeutung der Definition der Leistungsauslöser in der Grundfähigkeitsversicherung ist elementar. Je konkreter sie ist, desto leichter ist es für den Kunden, den Verlust nachzuweisen. Daher liegt mein größtes Augenmerk darauf, wie schwer es ist, eine Fähigkeit in gesunden Tagen auszuüben. Denn je eher ich diese Fähigkeit nicht mehr ausführen kann, desto eher gibt es die Leistung.

Um noch einmal auf die aktuellen Entwicklungen einzugehen: Sehen Sie derzeit besondere Trends im Bereich der Arbeitskraftabsicherung?

Ein Trend geht aktuell dahin – endlich, muss man sagen –, höhere Renten möglich zu machen. Viele Versicherer erhöhen dazu die Grenze, ab der ein medizinisches Zeugnis bei Abschluss gebraucht wird. Und auch die Höhe der maximal möglichen Rente durch die Nachversicherung wird deutlich erhöht. Weitere Trends, die ich wahrnehme, sind das Thema Nachhaltigkeit sowie Ideen für Hilfen, bevor der Kunde berufsunfähig wird. In diesen Bereichen stecken die meisten Versicherer aber noch in der Entwicklungsphase und suchen noch nach passenden Konzepten.

Dieses Interview lesen Sie auch in der AssCompact Sonderedition Arbeitskraftabsicherung in AssCompact 05/2023 und in unserem ePaper.

Bild oben: © Andrii Yalanskyi – stock.adobe.com: Porträtfoto: © Sebastian Berger

 
Interview mit
Guido Lehberg

Mehrheit der Familien nicht gegen Berufsunfähigkeit abgesichert

Weniger als die Hälfte der Familien in Deutschland haben eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Bei kinderlosen Paaren sind es sogar noch weniger. Die meisten verzichten aufgrund vermeintlich hoher Kosten auf den Schutz. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag der R+V Versicherung ergeben.

Weniger als jede zweite Familie in Deutschland hat sich gegen den Verlust der eigenen Arbeitskraft abgesichert. Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts Mentefactum im Auftrag der R+V Versicherung haben nur 43% der Familien in Deutschland eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgeschlossen.

Kinder beeinflussen die Entscheidung zum Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. In Familien, in denen Kinder leben, liegt der Anteil derer mit einer BU-Absicherung bei 47%. Bei kinderlosen Paaren sind es hingegen nur 39%. Auch die Wahrnehmung der Gefahr einer Berufsunfähigkeit wird davon geprägt, ob Kinder mit im Haushalt leben. In Haushalten mit Kindern geben 38% der Befragten an, sehr große oder eher große Angst davor zu haben, berufsunfähig zu werden. Bei Paaren ohne Kinder sind es dagegen nur 26%.

Hohe Kosten häufigster Grund für Verzicht auf BU-Absicherung

Als häufigster Grund für den Verzicht auf eine BU werden die vermeintlich hohen Kosten genannt. 48% gaben dies als Grund an, einen Abschluss zu scheuen. 25% der Befragten glauben auch, dass sie kaum ein Risiko haben, berufsunfähig zu werden, 18% geben an, sich noch nicht genug mit dem Thema auseinander gesetzt zu haben.

Viele liegen auch mit den Ursachen für eine potenzielle Berufsunfähigkeit daneben. 65% der Teilnehmer glauben, dass eine Krankheit für sie persönlich die größte Gefahr für ihre Arbeitskraft darstellt. Jeweils 54% sind der Ansicht, dass ein Unfall oder Burn-out für sie zu einer Berufsunfähigkeit führen könnte. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) sind es jedoch tatsächlich psychische Leiden wie Depressionen oder Burn-out, die am häufigsten zu einer Berufsunfähigkeit führen (30%). Schwere Unfälle sind dagegen lediglich in 8% der Fälle der Auslöser für eine BU.

Kunden anspruchsvoll, wenn es um BU-Versicherung geht

Bei der Frage, welche Punkte beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung für sie wichtig wären, geben über 90% der Befragten an, dass Sicherheit, die Rente auch wirklich zu bekommen und Transparenz bei Abschluss und Abwicklung als „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“ an. Jedoch erreichen alle im Ranking genannten Punkte sehr hohe Werte. Die Kunden seien in puncto Berufsunfähigkeit ausgesprochen anspruchsvoll, kommentieren die Autoren.

Für die Umfrage befragte das Meinungsforschungsinstitut Menefactum bundesweit 1.005 berufstätige Männer und Frauen zwischen 20 und 45 Jahren, die in einer Partnerschaft leben. (js)

Lesen Sie auch: Rating Berufsunfähigkeit: Immer mehr Tarife mit Höchstwertung | AssCompact – News für Assekuranz und Finanzwirtschaft

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LV 1871 bietet BU ab Grundschuleintritt an

Die LV 1871 hat das Eintrittsalter für ihre Golden BU von zehn auf sechs Jahre gesenkt. Damit ist der Münchner Versicherer laut eigenen Angaben der erste Versicherer in Deutschland, der einen vollwertigen Berufsunfähigkeitsschutz bereits ab Grundschuleintritt anbietet.

Die Lebensversicherung von 1871 a. G. München (LV 1871) hat eine neue Generation ihrer Golden BU auf den Markt gebracht, mit der erstmals eine Berufsunfähigkeitsversicherung bereits ab Grundschuleintritt abgeschlossen werden kann. Das Eintrittsalter ist von zehn auf sechs Jahre gesenkt worden. Damit bietet die LV 1871 laut eigenen Angaben als erster Versicherer in Deutschland einen vollwertigen Berufsunfähigkeitsschutz bereits bei Einschulung.

Risikoprüfung mit wenigen Fragen

LV 1871 Vorstand Klaus Math kommentiert die Vorteile einer frühzeitigen Absicherung: „Zum einen ermöglicht der in jungen Jahren meist noch sehr gute Gesundheitszustand eine günstige Risikobewertung; zum anderen kann sich die Risikoeinstufung nicht mehr verschlechtern, auch wenn beispielsweise nach Abschluss der Schulausbildung ein risikoreicher Beruf ergriffen werden sollte.“

Die Risikoprüfung von Schülerinnen und Schülern beinhaltet nur wenige Fragen, bei einem positiven Votum erhalten sie vollwertigen Berufsunfähigkeitsschutz für die gesamte Schullaufbahn und das Berufsleben bis zum Renteneintritt, so die LV 1871.

Die sogenannte Zukunftsgarantie ermöglicht eine spätere Anpassung des Vertrags an sich ändernde Lebensumstände. Beispielsweise besteht die Möglichkeit, die Berufsunfähigkeitsrente beim Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums ohne erneute Risikoprüfung zu verdoppeln.

Lebenslange Rente als optionaler Baustein

Als optionalen Baustein bietet der Versicherer eine lebenslange Rente an. Damit können Schüler und Schülerinnen bei einem Leistungsfall in jungen Jahren ihren Lebensstandard im Alter sichern, obwohl keine Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung und damit auch kein Aufbau einer gesetzlichen Altersversorgung erfolgt.

Vermittler und Vermittlerinnen können den Antrag für die Golden BU über die Angebotssoftware automatisiert prüfen lassen. Sofern die Angaben wahrheitsgemäß und vollständig sind, ist die automatisierte Risikoeinschätzung selbstverständlich und verbindlich. (js)

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Dienstunfähigkeit: 15 Tarife erhalten „ausgezeichnete“ Bewertung

Das Analysehaus MORGEN & MORGEN hat zum zweiten Mal die Dienstunfähigkeitsklauseln, die sich in der normalen Berufsunfähigkeitsversicherung von einigen Versicherern finden lassen, bewertet. Die Absicherung für Beamte ist von hoher Komplexität geprägt und variiert deshalb stark in ihrer Ausprägung. 15 Tarife von 13 Anbietern konnten die Höchstnote im Rating erreichen.

Das Analysehaus MORGEN & MORGEN hat kürzlich zum zweiten Mal sein aktuelles Rating zur Dienstunfähigkeit (DU) veröffentlicht. Der Blick von MORGEN & MORGEN fällt auf die Dienstunfähigkeitsklausel, weil sie in ihrer Ausgestaltung stark variiert und von hoher Komplexität geprägt ist. Zurzeit lässt sich eine DU-Klausel in 24 Berufsunfähigkeitstarifen von 21 Anbietern finden. Diese wurden im Rahmen des Ratings detailliert analysiert und aufgrund der Qualität ihrer Bedingungen bewertet. Damit sind in zweiten Jahrgang drei zusätzliche Tarife im Vergleich zum vergangenen Jahr in die Bewertung aufgenommen worden.

Rating legt Wert auf Einschluss einer „echten DU-Klausel“

Die DU ist an das Beamtenrecht angelehnt. Beamte haben gegenüber ihrem Dienstherrn besondere Rechte und Pflichten. Im Falle einer Dienstunfähigkeit prüft der Dienstherr, ob und in welchem Umfang der Beamte oder die Beamtin die Dienstpflicht weiterhin erfüllen kann. Im Ernstfall kann dies eine Ruhestandsversetzung oder Entlassung für den Beamten oder die Beamtin nach sich ziehen, was natürlich finanzielle Auswirkungen hat. Zusätzlich hat der jeweilige Versicherer das Recht, eine eigene Prüfung der tatsächlichen Berufsunfähigkeit (BU) vorzunehmen. Das bedeutet, der Versicherte muss dann einen zweiten Prozess durchlaufen, um eine Leistung aus der privaten Arbeitskraftabsicherung zu erhalten.

„Im Rating legen wir besonderen Wert darauf, dass der Versicherer auf sein eigenen Prüfrecht verzichtet und das Ergebnis des Dienstherrn anerkennt. Somit wird eine erneute Erstprüfung für Versicherte vermieden“, kommentiert Andreas Ludwig, Bereichsleiter Rating & Analyse bei MORGEN & MORGEN. Dieser Verzicht auf eine erneute Prüfung gilt als „echte DU-Klausel“.

Neben der echten DU-Klausel müssen die Tarife noch zwei weitere Mindestkriterien erfüllen, um eine Bewertung der beiden Höchstkategorien (vier oder fünf Sterne) zu erhalten: Sie müssen auf unübliche Einschränkungen verzichten und es muss sich um eine vollständige Klausel handeln, das bedeutet, alle Status eines Beamten und einer Beamtin werden anerkannt, auf Probe, auf Widerruf oder auf Lebenszeit.

Knapp drei Viertel der Tarife mit vier oder fünf Sternen bewertet

Der zweite Jahrgang attestiert dem Markt der DU-Klauseln einen guten Stand, so die Analysten. So erhalten 15 Tarife die Höchstnote von fünf Sternen und damit ein „ausgezeichnetes“ Ergebnis. Zwei weitere Tarife erhalten vier Sterne („sehr gut“) und drei weitere drei Sterne („durchschnittlich“). Zudem werden drei Tarife als „schwach“ bewertet (zwei Sterne) und ein Tarif erhält nur einen Stern und damit die Bewertung „sehr schwach“.

Die Analysten heben hervor, dass im Rating keine DU-Versicherung besser bewertet sein kann als die ihr zugrundeliegenden Bedingungen im Rating Berufsunfähigkeit. Dies liegt dem Umstand zu Grunde, dass sich immer Umstände ergeben können, aus deinen eine beamtete Person aus dem Beamtenverhältnis ausscheidet, aber nicht beamtet weiter tätig ist, so MORGEN & MORGEN.

Marktangebot deckt relevante Leistungseinschlüsse größtenteils ab

Das Rating zeigt zudem, dass „vor allem die relevanten Leistungseinschlüsse zum Großteil vom aktuellen Marktangebot abgedeckt werden“ (siehe Grafik).

 

Dienstunfähigkeit: 15 Tarife erhalten „ausgezeichnete“ Bewertung

 

So verzichten alle DU-Klauseln auf unübliche Einschränkungen und auf die Verweisung in der Nachprüfung. 20 der analysierten Tarife weisen eine „vollständige“ Klausel auf und auch 20 verzichten auf eine altersbedingte Leistungsbegrenzung bei Beamten auf Probe oder auf Widerruf, damit eine mögliche Leistung nicht an das Erreichen einer Altersgrenze geknüpft ist. Eine „echte“ bzw. „fast echte“ DU-Klausel weisen 17 Tarife auf. Während bei einer „echten“ Klausel der Versicherer die Entscheidung des Dienstherrn anerkennt, ohne eine weitere Prüfung anzuordnen, behält sich der Versicherer bei einer „fast echten“ Klausel vor, zu prüfen, ob die DU ausschließlich auf medizinischen Gründen resultiert und keine wirtschaftlichen oder disziplinarischen Gründe vorliegen.

Weitere 17 Tarife versichern die spezielle DU, in Form eines obligatorischen oder optionalen Versicherungsschutzes über den allgemeinen Dienst hinaus. Ein Verzicht auf zeitliche Befristung von Beamten auf Probe und auf Widerruf ist in 14 der Klauseln beinhaltet.

Das Rating der DU-Klauseln kommt, nachdem das Ratinghaus in vergangenen Wochen bereits die aktuellen Auflagen der Ratings zur BU, der BU-Nachversicherung, der Grundfähigkeitsversicherung und der EU-Versicherung veröffentlicht hat.(js)

Die Ergebnisse des MORGEN & MORGEN DU-Rating können hier eingesehen werden.

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„Unsere Initiative ist kein Freifahrtschein in die BU“

Der Münchner Versicherer die Bayerische lehnt seit einiger Zeit Menschen mit einem psychotherapeutischen Hintergrund, die eine BU abschließen möchten, nicht mehr pauschal ab, sondern setzt stattdessen auf individuelle Prüfungen. Über die Hintergründe und welche Erfolge die Initiative bereits mit sich gebracht hat, darüber spricht AssCompact mit Martin Gräfer, Vorstandsmitglied der Versicherungsgruppe die Bayerische.

Ein Interview mit Martin Gräfer, Mitglied der Vorstände der Versicherungsgruppe die Bayerische
Herr Gräfer, die Corona-Pandemie und die wirtschaftliche Unsicherheit drücken vielen Deutschen weiter auf die Seele. Eine Psychotherapie kann den Menschen helfen. Für eine BU-Absicherung ergibt sich daraus ein Problem. Verschlimmert eine pauschale Verweigerung nicht das Stigma, das psychischen Erkrankungen sowieso anhaftet?

Natürlich tut es das, und an dieser Fehlentwicklung wollen wir etwas ändern! Aber betrachten wir doch einmal die Zahlen: Jedes Jahr sind 28 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Den allermeisten davon kann die psychotherapeutische Behandlung sehr helfen, und das führt auch dazu, dass eine Vorgeschichte in der psychotherapeutischen Behandlung mehr Resilienz, mehr psychische Stabilität und mentale Gesundheit bedeutet. Allein aus diesem Grund und auch, weil die Gründe für die Inanspruchnahme von psychotherapeutischer Unterstützung so unterschiedlich und individuell sind, kann die pauschale Ablehnung dieser Menschen nicht richtig sein.

Warum tun sich Versicherer im Allgemeinen damit so schwer? Und wie oft wird die Bayerische bei Anfragen mit dem Thema konfrontiert?

Versicherer lieben möglichst exakte Risikoprofile. Biometrische Risiken, und dazu zählt die psychotherapeutische Vergangenheit ebenso wie ein Bandscheibenvorfall, sind besonders schwer zu berechnen. Wenn bei der Voranfrage zur BU-Versicherung beim Bandscheibenvorfall der Orthopäde um eine Expertise gebeten wird, kann mit psychotherapeutischer Expertise ebenso die „Rückfallwahrscheinlichkeit“ für psychische Erkrankungen eingeschätzt werden. Dazu muss man sich, und das klingt zunächst aufwändig, mit individuellen Fällen befassen und kann nicht nach einer Bewertungsmatrix vorgehen. Seit wir dies tun, stellen wir fest, dass viele Personen versicherbar sind – wenn auch manches mal unter erschwerten Bedingungen. Das allein ist schon ein Erfolg für uns und ein Beleg, dass dieser Vorstoß der richtige Weg war. Welchen Anteil diese Art der Anfragen an der Gesamtzahl haben, lässt sich aktuell noch nicht gesichert sagen. Wir können aber sehen, dass knapp 40% der Anfragen mit psychotherapeutischer Vergangenheit eine Versicherung ohne Einschränkungen angeboten werden konnte.

Also keine pauschale Ablehnung mehr. Wie sieht denn der neue Ansatz Ihres Hauses genau aus?

Unsere Risikoprüfer wurden durch eine Psychologische Psychotherapeutin geschult und besonders sensibilisiert. Im Zweifelsfall hilft die Therapeutin bei der Entscheidungsfindung. Nach wie vor gibt es aber auch Fälle, die wir aufgrund des individuellen Risikos ganz klar ablehnen müssen.

Müssen Kunden deshalb länger auf eine Antwort warten?

Aktuell stellen wir keine Verzögerungen fest.

Und gibt es trotzdem Einschränkungen?

Wer regulär in unsere BU aufgenommen wurde, hat keine Einschränkungen. Es gibt aber Fälle, in denen wir einem komplexeren Risikoprofil mit eingeschränkten Versicherungsleistungen begegnen, ohne jedoch die Aufnahme pauschal zu verweigern.

Wie kommt das Vorgehen bei Versicherungsmaklern an? Und worauf sollten Vertriebspartner besonders im diesem Zusammenhang achten?

Als wir unsere Initiative angekündigt hatten, gab es einige kritische Stimmen und Skeptiker. Die Erfahrungen der ersten Monate mit dem angepassten Vorgehen haben aber die letzten Kritiker überzeugt. Wichtig ist es für unsere Vertriebspartner, ehrlich und transparent mit den Interessenten zu kommunizieren. Unsere Initiative ist keinesfalls ein Freifahrtschein in die BU. Wir prüfen nur individueller als davor und kommen dadurch zu besseren Ergebnissen.

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Ein Interview mit
Martin Gräfer